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Arztbrief: Künstliches Hüftgelenk bei Arthrose

Unser Experte Ulrich Nöth ist Chefarzt der Orthopädie im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau. Die Klinik ist das von den niedergelassenen Orthopäden Berlins für die Implantation eines künstlichen Hüftgelenkes am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).

ERKLÄRUNG Vier Millionen Schritte macht ein Mensch pro Jahr - damit gehören die Hüftgelenke zu den am stärksten beanspruchten Gelenken im menschlichen Körper. Das Hüftgelenk verbindet Becken und Oberschenkel. Zwischen Oberschenkelkopf und Beckenpfanne liegt schützendes Knorpelgewebe, das wie ein Stoßdämpfer wirkt. Bei einer Hüftarthrose, Mediziner sprechen von einer Coxarthrose, wird die Knorpelschicht durch die immensen Kräfte über die Jahre abgeschliffen und der Knochen freigelegt. Heftige Schmerzen und Bewegungseinschränkungen können dann das Leben des Betroffenen zur Tortur machen. Abhilfe kann ein neues künstliches Hüftgelenk verschaffen. Bereits im Jahr 1890 entwickelte der Berliner Prothesenpionier Themistokles Gluck erste Hüftprothesen aus Elfenbein. Heute werden Prothesen aus modernen Materialien wie Kunststoff, Titan oder spezieller Keramik produziert und mit schonenden Operationstechniken implantiert.

Eine Hüftprothese ersetzt das verschlissene Gelenk und besteht aus vier Komponenten: Die Gelenkpfanne wird durch eine hohle Halbkugel (1) aus Titan ersetzt, die mit einem Kunststoff- oder Keramik-Inlay (2) ausgekleidet ist und die Funktion des Knorpels übernimmt. Den Oberschenkelkopf ersetzt eine Gelenkkugel (3), die mit einem Schaft (4) in den Oberschenkel verspannt oder einzementiert wird.
Eine Hüftprothese ersetzt das verschlissene Gelenk und besteht aus vier Komponenten: Die Gelenkpfanne wird durch eine hohle Halbkugel (1) aus Titan ersetzt, die mit einem Kunststoff- oder Keramik-Inlay (2) ausgekleidet ist und die Funktion des Knorpels übernimmt. Den Oberschenkelkopf ersetzt eine Gelenkkugel (3), die mit einem Schaft (4) in den Oberschenkel verspannt oder einzementiert wird.

© Fabian Bartel

SYMPTOME Die Hüftarthrose entwickelt sich lange Zeit, ohne zu schmerzen. Erste Symptome sind sogenannte Anlaufschmerzen, die beim Beginn einer Bewegung, vor allem nach längerer Ruhepause, auftreten, aber nach einigen Schritten wieder nachlassen. Die schützende Knorpelschicht kann so stark abgenutzt werden, dass Knochen auf Knochen reibt. Und das macht sich deutlich bemerkbar: massive Schmerzen bei jeder Bewegung, Wetterfühligkeit, steife Hüfte und unsicherer Gang. Mit zunehmender Knorpelabnutzung schränkt sich die Beweglichkeit immer stärker ein und die Hüftgelenke schmerzen selbst bei völlig ruhigem Sitzen - Mediziner sprechen dann auch vom Ruheschmerz.

URSACHEN „Der Verschleiß der schützenden Knorpelschicht ist ein schleichender Prozess, der oft Jahrzehnte andauert“, sagt Ulrich Nöth, Chefarzt der Orthopädie im Waldkrankenhaus Spandau und Leiter des größten Endoprothetikzentrums der Hauptstadt. Bei vielen Betroffenen setzt der Verfall bereits ab dem 35. Lebensjahr ein, bei manchen sogar schon in der Jugend. Mit zunehmendem Alter wird der Knorpel dünner, brüchiger und rissig. Durch den sich zurückziehenden Knorpel erhöht sich im Gelenk der Druck auf den darunter liegenden Knochen. Und der reagiert mit sogenannten Osteophyten - Knochenanbauten, die sich um die Gelenkfläche bilden, um die Last auf dem Gelenk besser zu verteilen. Doch dieser eigentlich als Schutzmechanismus gedachte Wachstumsschub hat einen gewichtigen Nachteil: Das Gelenk wird mit zunehmender Verknöcherung immer unbeweglicher.

Die wesentlichen Ursachen für den Verschleiß der Hüftgelenke sind Überbelastungen durch harte, monotone körperliche Arbeit oder sehr intensiven oder auch einseitigen Sport. Immer wieder würden bei Nöth beispielsweise 25- bis 30-jährige Männer vorstellig, die bereits unter einem Hüftschaden, der sogenannten Pistol-Grip-Fehlstellung leiden. Viele von ihnen haben sehr früh, etwa im Alter von zehn Jahren, intensive Sportarten wie Fußball gespielt. Die Folge: Durch die starke Belastung ist ihr Schenkelhals leicht abgeknickt und hat bereits Knochenwucherungen gebildet, die in ihrer Form an einen Pistolengriff erinnern. „Diese Osteophyten entfernen wir bei einer Hüftgelenkspiegelung, sonst droht ein Totalschaden des Knorpels“, sagt Nöth.

Aber nicht nur zu viele oder einseitige Aktivitäten schaden dem Knorpel, sondern auch das Gegenteil. Denn durch die Bewegung wird das Knorpelgewebe überhaupt erst mit Nährstoffen aus der Gelenkflüssigkeit versorgt. Mangelnde Aktivität führt also dazu, dass der Knorpel quasi verhungert. „Wie so oft ist die goldene Mitte gefragt“, sagt Nöth.

Hüftarthrosen können darüber hinaus auch Folge von Verletzungen sein - und sich erst Jahre nach einem Unfall bemerkbar machen. Chronische Gelenkentzündungen wie bei Rheuma oder Gicht können ebenfalls den Knorpel schädigen. Auch Übergewicht und angeborene Fehlstellungen wie eine Hüftpfannenfehlstellung, die sogenannte Hüftdysplasie, verursachen oft einen vorzeitigen Verschleiß. Und schließlich zeigen Studien, dass auch erbliche Veranlagung und Stoffwechselerkrankungen eine Arthrose begünstigen.

DIAGNOSE Eine Hüftgelenksarthrose diagnostizieren Ärzte hauptsächlich anhand der durch den Patienten geschilderten Beschwerden, einer körperlichen und einer Röntgenuntersuchung, die den Grad der Knorpelabnutzung erkennbar macht. Da der Knorpel auf dem Röntgenbild selbst nicht zu sehen ist, schließen Mediziner indirekt auf den Zustand des Gelenkes - nämlich über die Größe des Gelenkspalts, also den Abstand der beiden gegenüberliegenden Knochen. Je kleiner dieser ist, desto dünner ist die trennende Knorpelschicht.

Da mit der Röntgenuntersuchung nur die Knochen untersucht werden können, setzen Mediziner ergänzend auch den Ultraschall ein, um Knorpel, Muskeln und Bänder zu begutachten.

Die Magnetresonanztomografie (MRT) eignet sich gut, um auf dem Röntgenbild nicht sichtbare Weichteile wie Knorpel, Muskeln und Bänder zu untersuchen. Diese ist allerdings aufwendiger und kostspieliger als Ultraschall und Röntgenuntersuchung.

THERAPIE

Knorpelersatz.Abgenutztes Knorpelgewebe kann sich nicht aus eigener Kraft regenerieren und ist für immer verloren. Die Hüftgelenkarthrose an sich ist also nicht heilbar. Allerdings können bereits bei jüngeren Patienten kleinere lokal begrenzte Knorpelschäden an der Hüftpfanne und manchmal auch am Hüftkopf mit künstlich gezüchtetem Knorpelgewebe ausgebessert werden. „Dazu züchten wir körpereigene Knorpelzellen zwei Wochen lang in Reinraumatmosphäre, also absoluter Sterilität, zu Knorpelgewebe heran“, sagt Chefarzt Nöth. Die so gewonnenen Knorpelzellen, im Fachjargon Chondrozyten genannt, können dann entweder als kleine Knorpelkügelchen oder alternativ auf einer Matrix, also einer Art Netz, an dem sie haften, in den Knorpeldefekt implantiert werden. „Mit diesen Verfahren können wir dem Patienten im Idealfall noch einmal zehn Jahre Beschwerdelinderung ermöglichen“, so Nöth.

Konservative Therapie. Eine sogenannte konservative Therapie einer Hüftgelenkarthrose zielt darauf ab, ohne Operation den Verlauf des Knorpelverfalls zu verlangsamen und Beschwerden zu lindern. In einem sehr frühen Stadium helfen gewichtsreduzierende Diäten, um den Druck auf das Gelenk zu mildern, orthopädisches Schuhwerk gegen Gelenkfehlstellungen und Physiotherapie gegen Verspannungen und Schmerzen.

Um Schmerzen und Entzündungen im Gelenk zu bekämpfen, verschreiben Ärzte auch Medikamente. Die Wirkstoffe Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Diclofenac oder Ketoprofen verringern Schmerzen und hemmen Entzündungen. Diese Arzneien zählen zu den sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), da sie kein Kortison enthalten. Aber auch kortisonhaltige Präparate kommen zum Einsatz, um starke Entzündungen zu mildern - meist werden solche Kortikoide direkt in das entzündete Gelenk gespritzt.

Implantation eines künstlichen Hüftgelenkes. Helfen solche konservativen Verfahren nicht, kann ein künstliches Gelenk der Ausweg sein. „Das Einsetzen neuer Hüftgelenke gehört zu den erfolgreichsten Therapien der Orthopädie und ist mittlerweile ein Routineeingriff“, sagt Ulrich Nöth, der schon tausende Prothesen implantiert hat. Allein im Jahr 2012 pflanzten Berliner Kliniken knapp 3000 künstliche Hüften ein. Eine Möglichkeit der Operation ist die Totalendoprothese (TEP), bei der das gesamte Gelenk ausgetauscht wird. Die Hüftgelenkprothese setzt sich aus vier Komponenten zusammen (siehe Grafik Seite 93): einer hohlen, meist aus Titan gefertigten Halbkugel, die die Gelenkpfanne ersetzt, einem sogenannten Inlay aus Kunststoff oder Keramik, das in die Halbkugel gesetzt wird, einer Gelenkkugel, die den Oberschenkelkopf ersetzt, und einem zwölf bis 18 Zentimeter langen Schaft, der die Gelenkkugel im Oberschenkelknochen verankert.

Auf dem Markt gibt es etliche Prothesenmodelle, die sich vor allem in den verbauten Materialien und der Konstruktionsweise unterscheiden. „Die Wahl der richtigen Gleitpaarung entscheidet über die Lebensdauer der Prothese und die Lebensqualität das Patienten“, sagt Nöth. Als Gleitpaarung bezeichnen Mediziner die verwendeten Materialien der Gelenkkugel und des Inlays. „Dabei sollten Alter und Aktivität des Patienten beachtet werden.“ Besonders langlebig ist die Kombination eines Keramikkopfes mit einem Keramik-Inlay. Keramik ist der härteste Werkstoff, der momentan einsetzbar ist.

Keramikgleitpaarungen sind besonders langlebig: Prothesen können mit der Zeit auslockern, das heißt, dass sich beispielsweise das Inlay aus der Gelenkpfanne löst. Verantwortlich dafür ist Abrieb, also feine Partikel, die sich durch die Reibung im Gelenk von den verbauten Materialien lösen. Gleitet allerdings Keramik über Keramik, entsteht durch die glatten Oberflächen kaum Abrieb.

Doch jeder, dem schon mal Geschirr zu Bruch gegangen ist, kennt den entscheidenden Nachteil dieser Gleitpaarung: Sie ist fragil und eignet sich daher nicht für ältere Menschen mit Sturzgefahr. „Die Kombination Keramik auf Keramik passt besonders für jüngere Menschen, die keinen intensiven Sport betreiben“, sagt Nöth.

Als Standard, der bei rund 80 Prozent der Patienten verbaut wird, gilt die Kombination eines Keramikkopfs mit einem Kunststoff-Inlay. Diese Zusammenstellung stellt einen Kompromiss zwischen Bruchgefahr und Langlebigkeit dar - sie bricht nicht so schnell wie Keramik auf Keramik, erzeugt aber etwas mehr Abrieb. Sie wird vor allem bei Patienten zwischen 60 und 80 Jahren verwendet.

Betagten und sturzgefährdeten Patienten implantiert Nöth einen Metallkopf zusammen mit einem Kunststoff-Inlay. „Zwar erzeugt diese Prothese relativ viel Abrieb“, sagt Nöth. „Doch bei den meist hochbetagten Patienten ist die Lebensdauer der Prothese kein Problem.“

Auch die Wahl des Schaftes, mit dem die Prothese im Oberschenkelknochen verankert wird, sollte auf die Lebensumstände abgestimmt werden. „Besonders bei jungen Patienten, die oft noch sehr stabile Knochen haben, bietet sich eine Kurzschaft-Prothese an“, sagt Ulrich Nöth. Der Schaft dieser Prothese ist im Vergleich zu anderen Modellen deutlich kürzer - dadurch müssen Chirurgen weniger Knochenmaterial entfernen, um den Schaft einsetzen zu können. Der Vorteil: Lockert sich die Prothese später, ist immer noch genug Knochensubstanz vorhanden, um darin einen Standardschaft verankern zu können. Bei gut erhaltenem Knochen kann der Schaft zementfrei verspannt werden, wird also nur durch die Knochenspannung gehalten.

Ist der Knochen jedoch porös, wie bei Patienten, die unter Osteoporose leiden, muss der Schaft in den Oberschenkelknochen einzementiert werden.

Um eine Hüftprothese einzusetzen, verwenden Mediziner verschiedene Zugänge. Im herkömmlichen sogenannten offenen Verfahren operieren Chirurgen über einen größeren Hautschnitt seitlich der Hüfte und durchtrennen Muskeln, um das Gelenk freizulegen. Diese Methode wendet Nöth allerdings nur noch selten an. In 95 Prozent der Fälle operiere er minimalinvasiv und muskelschonend über einen acht Zentimeter langen Hautschnitt, ohne dabei Muskeln zu durchtrennen. Dazu nutzt er Lücken zwischen den Muskeln. „Im Vergleich zum Muskelschnitt ist das Risiko, Nerven zu verletzten, die für die Bewegung des Beines verantwortlich sind, bei diesem weichteilschonenden Verfahren geringer“, erklärt Ulrich Nöth. Weitere Vorteile seien eine kleinere Narbe und eine schnellere Belastbarkeit, da die für den sicheren Stand verantwortlichen Muskeln nicht verletzt würden. „Nach zwei bis vier Tagen können die Patienten wieder erste Schritte machen und sogar Treppen steigen.“

Nach der OP müssen die Muskeln, die über die Jahre durch die Beschwerden und das schmerzvermeidende Gehen geschwächt und deformiert sind, in einer Rehabilitation oder ambulanten Krankengymnastik wieder aufgebaut werden.

Eine Hüftprothese ist übrigens kein Grund, auf Sport zu verzichten. Schwimmen, Wandern, Radfahren, sogar Joggen sind je nach Alter und Konstitution des Patienten möglich. Im Schnitt hält eine solche Prothese 15 bis 20 Jahre. Je belastender der Sport für das Gelenk ist, desto schneller nutzt es sich aber auch ab. „Der Verschleiß einer Prothese ist abhängig von Aktivität und Körpergewicht“, sagt Nöth. Übergewichtige verschleißen ihre Prothesen schneller als Normalgewichtige und Leistungssportler schneller als Menschen, die gar keinem Sport nachgehen.

Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken, die diese Erkrankung behandeln, verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.

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