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"In den vielen Jahren, in denen ich mit Salers-Rindern zu tun hatte, ist mein Respekt vor den Tieren ständig gewachsen". (Erich Degreif, Öko-Landwirt)

© Kitty Kleist-Heinrich

Frühling in Brandenburg: Die faire Jagd

Das ist alles nicht ganz einfach, und man muss ein bisschen nachdenken, bevor man bestellt. Aber auch das gehört im übertragenen Sinn mit zur Grassbeef-Idee. Und es passt zum Produkt und seinem Macher.

Der Blick auf das, was wenig später als Fleisch vom Feinsten verkauft wird, fällt jetzt über Kimme und Korn einer 308 Winchester. Er fällt auf einen zwei Jahre alten rotfelligen Bullen. Das Tier steht in einer Herde, die den ganzen Tag schon aufgeregt ist, weil sie geplagt wird von beißwütigen Bremsen. Immer wieder schlagen die Rinder mit den Köpfen, nicht eine Sekunde ist Ruhe. Jetzt reißt auch der Jungbulle den Kopf hoch, dann dreht er sich weg.

Öko-Landwirt Erich Degreif, 69, hat in Stücken 150 Hektar Gelände gepachtet. Dort grasen seine Rinder.
Öko-Landwirt Erich Degreif, 69, hat in Stücken 150 Hektar Gelände gepachtet. Dort grasen seine Rinder.

© Kitty Kleist-Heinrich

Erich Degreif lässt die Flinte sinken. Wartet noch einen Moment, ob sich eine weitere Gelegenheit aus dieser Position ergibt. Schweiß rinnt ihm über den Nacken. Die Sonne sticht, es ist heiß, erst recht hier oben im Führerhäuschen des alten Treckers. Nein, keine weitere Gelegenheit von hier. Degreif manövriert erneut um die Herde aus rund 180 Tieren herum, den Bullen lässt er dabei nicht aus den Augen. Als würde der etwas merken, behält er umgekehrt Degreif im Blick. Jäger und Gejagter, Auge in Auge. „Ja, du“, murmelt Degreif. Es naht Highnoon auf einer verdorrten Weide.

Erich Degreif ist einer von wenigen Rinderhaltern, die ihre Tiere auf der Weide töten. Säße er jetzt nicht auf einem Trecker, sondern auf einem Pferd, die Szene sähe aus wie bei Gauchos in Argentinien. Dabei findet sie statt in Trebbin, Ortsteil Stücken, Teltow-Fläming. Hier hat Degreif, ein hochgewachsener 69-Jähriger, seit den Nachwendejahren ein 150 Hektar großes Gelände gepachtet. Darauf stehen ein baufälliger Schuppen, mehrere Wohnwagen, ein Zaun, und dahinter erstreckt sich die Weide. Auf der leben seine Rinder. Und zwar ausschließlich. Sie fressen das Gras, und werden fett, wenn es saftig ist, und magerer, wenn es vertrocknet, und im Winter bekommen sie Heu dazu. „Grassbeef“ nennt sich das Fleisch, das am Ende dabei herauskommt. Es ist frei von Mastzusätzen, von Getreide, Sojaschrot- und Maisschnipseln, leistungssteigernden Ergänzungsstoffen. Manche Kunden sagen, es sei so gut, man könne es roh essen. Und die Kunden werden immer mehr.

Beef ist in Mode, das mager-saftige Fleisch, nachweislich reich an gesunden Omega-3-Fettsäuren und von nachhaltig arbeitenden Züchtern. Aus den USA wird gemeldet, dass die Zahl der grasfütternden - englisch: „grassfed“ - Betriebe explosionsartig ansteige, seit 2003 gibt es auf Initiative einiger Rocky-Mountains-Farmer die „American Grassfed Association“ und seit 2009 auch Standards, was grassfed ist und was nicht. In Deutschland kommt die Bewegung langsamer voran, taucht bisher vor allem im Zusammenhang mit der Paläodiät auf.

Etwas altertümlich war anfangs auch Degreifs Vermarktungstaktik, die darin bestand, Berlins Wochenmärkte anzufahren. Er schnauft, wenn er heute davon erzählt, und wundert sich, wie er das überhaupt geschafft hat. Inzwischen verkauft er via Internet.

Grassbeef-Qualität bedeutet: mager, saftig, reich an Omega-3-Fettsäuren.
Grassbeef-Qualität bedeutet: mager, saftig, reich an Omega-3-Fettsäuren.

© Kitty Kleist-Heinrich

Angefangen hat Degreif mit 30 Rindern, einige der Tiere von damals hat er heute noch. Es sind Salers-Rinder, bekannt für ihre bedürfnislose Robustheit. Ursprünglich stammen sie aus Frankreich, wo Degreif sie entdeckt hat auf einer Tour durchs Zentralmassiv. „Wilde Gegend“, sagt er. Da, neben einer hochgelegenen Straße, habe eine Herde völlig unbeeindruckt im Eisregen vor sich hin gegrast. In den vielen Jahren, die er jetzt mit Salers-Rindern zu tun habe, sei der Respekt vor den Tieren ständig gewachsen, sagt Degreif. Die Rinder seien schlau und aufmerksam. Sie würden untereinander Freundschaften schließen und Zuneigung verteilen. Dass er sie trotzdem tötet - nun ja, das ist der Geschäftsinhalt seiner „Grassbeef Company“, die er mit seiner Frau gemeinsam betreibt. Aber ist seine Art und Weise nicht die am besten vertretbare? Verglichen vor allem mit den Umständen, unter denen ansonsten Fleisch auf Teller kommt? „Tierproduktion, wie man so sagt“, sagt Degreif.

Für ihn keine Alternative, weil Intensivhaltung die falschen Fragen stellt: Fragen nach Ertragssteigerung und Gewinnmaximierung, nach Ausschnitten statt dem großen Ganzen. Das aber ist es, was Degreif interessiert: das Ganze. Es gebe heute Köche, sagt Degreif, die sähen nur das Fleisch, nicht mehr das Tier. Die würden beim Großhandel Filets bestellen und kunstvoll zubereiten, wüssten aber nicht, aus welchem Teil des Rinds das herausgeschnitten wird. Er schüttelt den Kopf. Das könne es doch nicht sein. Deshalb kann man bei ihm auch keine Portiönchen bestellen, sondern muss immer gleich ein Viertel nehmen, das aber wunschgemäß portioniert geliefert wird. Es kaufen entweder Besitzer großer Kühltruhen oder Kundengemeinschaften.

VOR UND Zurück poltert der Trecker auf der Weide. Die Herde fängt an, sich in den Schatten unter einem niedrigen Baum mit weit auskragenden Ästen zu bewegen. Da kriegt Degreif den Schuss nie hin. Er klettert vom Trecker und marschiert ein paar Schritte auf die Tiere zu, die menschenscheu Reißaus nehmen. Wieder geht es mit dem Trecker vor und zurück, hin und her, fünf Minuten, zehn Minuten, 20 Minuten. Dann ist sie plötzlich da, die zweite Gelegenheit. Erich Degreif nimmt den Jungbullen erneut ins Visier. Diesmal zuckt das Tier nicht, es steht regungslos und schaut direkt zu ihm. Er drückt ab. Die Patrone überwindet die kurze Distanz zu dem etwa faustgroßen Dreieck mitten auf dem Bullenschädel, das er für den idealen Schuss treffen muss, mit einer Geschwindigkeit von 990 Metern pro Sekunde. Der Bulle ist schon tot, als der dreimal langsamere Knall die Luft zerreißt. Die anderen Tiere reagieren kaum.

Von der Scheune kommt die bestellte Tierärztin anspaziert. Sie besichtigt das Einschussloch und notiert den Todeszeitpunkt. Ab jetzt hat Degreif genau eine Stunde Zeit, um den Bullen zum Schlachter zu bringen. Überzieht er, kann er das Fleisch vergessen. Hektik bricht aber nicht aus.

Es geht zur Fleischerei Lehmann ins nahe Trebbin. Die kurzen Wege gehören zum nachhaltigen Konzept. Als Degreif gut 30 Minuten nach dem Schuss mit seinem vielen Vorschriften genügenden Hänger auf den Hof der Schlachterei gefahren kommt, ist das, anders als bei der Anlieferung von lebenden Schlachtrindern, für die Fleischer ein leichter Termin. Gemächlich montieren sie ihren Haken am Rind, ziehen es in die Schlachthalle und tun, was zu tun ist, um aus einem toten Tier ein Lebensmittel zu machen.

Die Jagd, ein Mann auf dem Trecker gegen ein Tier in der Herde - das hat etwas Ehrenwertes. Waffengleichheit ist es nicht unbedingt, aber geht in die Richtung. Dem Menschen ist die Tötung eine Anstrengung, sie war kein automatisierter Prozess. Wie anstrengend es wird, entscheiden die Tiere. Es gibt Tage, an denen kann Degreif nach zehn Minuten zum Schuss ansetzen. Und es gibt Tage, an denen fährt er der richtigen Abschussposition zwei Stunden hinterher.

Die Kunden, die das Fleisch der „Grassbeef Company“ gerne kaufen und essen, sehen das ebenfalls so. Als sie im November zu einem Fest- und Informationstag raus aufs Land kommen, sich erst den Hof und die Schlachterei anschauen, und dann im Schloss Blankensee feines Salers-Rinderhack mit Ei verspeisen, hört man, wie sie das Handwerkliche loben, die Mühe ebenso. Einer der Kunden, Michael Frühbis von der Cook-Connection, macht ein genießerisches Gesicht, ausgezeichnet sei das Fleisch. Elisabeth Wendt, die sich mit „Cate Berlin“ auf ökologische Lebensmittel spezialisiert hat, gehört zu den begeisterten Abnehmern, und plant, Grassbeef-Fleisch an ihren Marktständen mit anzubieten. Auch der Schlossherr schwärmt. „Grassbeef“, sagt er, „wunderbar, fast wie in Argentinien“. Ja, wiederholt er, es sei ein argentinisches Leben, das die Rinder in Stücken führen. Und eine Privatkundin schwärmt, wie wunderbar portioniert und verpackt und sofort verwendbar Grassbeef-Lieferungen bei ihr eintreffen und kalkuliert bereits ihre nächste Großbestellung.

Nach dem Rinderhack, als dann Kaffee und Kuchen auf der langen Tafel stehen, hält Erich Degreif eine kleine Rede. Es geht darin auch um neue Vertriebswege (künftig können Kunden per Mail bestellen, bisher hat er sie über Schlachtungen informiert), um Kilopreise (10 Euro pro Kilo aus dem Hinterteil, 7,50 Euro aus dem Vorderteil) und um Wurst (wird geliefert ab Zehnkiloeinheiten).

Das ist alles nicht ganz einfach, und man muss ein bisschen nachdenken, bevor man bestellt. Aber auch das gehört im übertragenen Sinn mit zur Grassbeef-Idee. Und es passt zum Produkt und seinem Macher.

Mehr Fleisch

Wenn ein Tier erlegt ist, bleibt genau eine Stunde, um es zum kleinen Schlachtbetrieb in Trebbin zu bringen. Dauert es länger, kann man das Fleisch vergessen.
Wenn ein Tier erlegt ist, bleibt genau eine Stunde, um es zum kleinen Schlachtbetrieb in Trebbin zu bringen. Dauert es länger, kann man das Fleisch vergessen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gut Hirschaue. Damwild vom Jäger oder aus ökologischer Gatterhaltung, Sattelschwein und Wurstwaren, alles direkt ab Hof. Rietz-Neuendorf/OT Birkholz,  An der Hirschaue, www.gut-hirschaue.de

Bio Ranch Zempow. Fleisch vom Black-Angus-Rind. Einmal im Monat wird geschlachtet. Wer vorbestellt, kann das portionierte Fleisch frisch ab Hof abholen. Tiefgefroren wird es auch nach Hause geliefert. Wittstock/Dosse, OT Zempow, Birkenallee, zempow-bio-ranch.de

Sonja Moor Landbau. Fleisch von Wasserbüffeln und Galloway-Rindern in Demeterqualität (Sa/So 13-17 Uhr frisch ab Hof). Werneuchen OT Hirschfelde, Ernst-Thälmann-Str., sonja-moor-landbau

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