zum Hauptinhalt
Damals: 1997 thronte die Quadriga auf dem Brandenburger Tor vor der noch unfertigen Reichstagskuppel.

© dpa

20 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz (I): Schluss mit dem Provisorium!

Vor 20 Jahren wurde das Berlin-Bonn-Gesetz verabschiedet. Aber wo bleibt das Hauptstadtgesetz? Der Staatsrechtler Rupert Scholz eröffnet unsere Artikelserie zum Jubiläum.

Im Einigungsvertrag von 1990 wurde Berlin zur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands erklärt. Am 20. Juni 1991 entschied der Deutsche Bundestag – nach heftiger und äußerst kontroverser Debatte – dann zugunsten Berlins als künftigem Sitz. Am 25. August 1992 folgte der Hauptstadtvertrag zwischen dem Bund und Berlin, und am 26. April 1994 wurde das Berlin-Bonn-Gesetz verabschiedet, das die Einzelheiten des Umzugs festlegte.

In Wahrheit stellte es weniger ein Berlin-Bonn-Gesetz als ein Bonn-Berlin-Gesetz dar, weil es sich vor allem um die Zukunft Bonns bemühte. Selbst die Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und SPD spricht jetzt von einem „Bonn-Berlin-Gesetz“ – eine verräterische oder gar Freud’sche Fehlleistung? Am 30. Juni 1994 folgte schließlich der Hauptstadt-Finanzierungsvertrag, der allerdings bereits im Jahr 2017 ausläuft.

Das damals anvisierte Bundesgesetz gibt es bis heute nicht

Auf Grundlage der Beschlüsse der Föderalismus-Kommission wurde mit Wirkung ab September 2006 der neue Artikel 22 Absatz 1 des Grundgesetzes geschaffen, demzufolge Berlin Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist und „die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt Aufgabe des Bundes ist“. Weiter heißt es: „Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“

Heute steht außer Frage, dass Berlin Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands ist. Was jedoch fehlt, ist eine langfristig tragfähige Rechtsgrundlage, ein Hauptstadtgesetz im Sinne von Artikel 22 Absatz 1. Ebenso fehlt eine klare gesetzliche Aussage zur „gesamtstaatlichen Repräsentation“, die der Bund in Berlin wahrzunehmen hat. Beides, der an den Bund adressierte Gesetzgebungsauftrag und der Auftrag zur „gesamtstaatlichen Repräsentation“ des Bundes in Berlin, stellt einen verbindlichen Verfassungsauftrag dar, dem durch klare gesetzliche Regelungen Rechnung getragen werden muss, bis hin zu Finanzierungsfragen.

Der Staatsrechtler Rupert Scholz war von 1990 bis 2002 für die CDU im Bundestag.
Der Staatsrechtler Rupert Scholz war von 1990 bis 2002 für die CDU im Bundestag.

© p-a/dpa

Der Bund hat sich bisher in Berlin in vielfältiger Weise engagiert – aber stets nur im Zusammenhang mit bestimmten, vor allem kulturellen Projekten, und meist auch nur auf vertraglicher Grundlage. An die Stelle dieses politischen „Fleckenteppichs“ muss endlich ein Gesetz von der Art treten, das ebenso konzeptionell klar wie nachhaltig wirksam ist. In diesem Gesetz müssen nicht nur Finanzierungsfragen, sondern vor allem die Fragen der Kooperation von Berlin und Bund geregelt werden sowie alles, was der Bund unter dem Aspekt der „gesamtstaatlichen Repräsentation“ in Berlin zu tun hat.

In Berlin repräsentiert sich der Staat: Eine Frage der Identifikation

Hauptstadt bedeutet nicht nur, Sitz der Verfassungsorgane zu sein, sondern sehr viel mehr, wie Artikel 22 sehr klar zum Ausdruck bringt. Auch die Frage der nach dem Berlin-Bonn-Gesetz in Bonn verbliebenen Bundesministerien muss endlich im Sinne einer klaren Entscheidung zugunsten Berlins geregelt werden. Das heutige Provisorium sollte beendet werden – auch allen nordrhein-westfälischen Egoismen zum Trotz.

"Gesamtstaatliche Repräsentation" - was ist das?

Und heute: Berlin ist Regierungssitz. Das entschied der Bundestag am 20. Juni 1991.
Und heute: Berlin ist Regierungssitz. Das entschied der Bundestag am 20. Juni 1991.

© Imago

Die „gesamtstaatliche Repräsentation“ umfasst alle Tatbestände und Erscheinungsformen, in denen sich die Bundesrepublik Deutschland nach innen wie nach außen darstellt. Das beginnt mit Staatszeremonien und setzt sich fort über Kultur, Wissenschaft, Sport, Darstellungen und Dokumentationen der deutschen Geschichte, die Schaffung historischer Stätten, von Bauwerken und Denkmälern, die Präsentation des kulturellen Erbes und der Gegenwartskunst in Museen, die Ausrichtung von Festspielen und Gedenkfeiern.

„Gesamtstaatliche Repräsentation“ ist also vor allem kulturstaatlich bestimmt und meint auch die Pflege des stets aufs Neue zu aktualisierenden wie zu dokumentierenden Selbstverständnisses des Staates. Oder anders gesagt: Sie soll vor allem der Identifikationsfähigkeit der Bürger mit ihrem Gemeinwesen dienen und diese Identität als Teil einer auch international wirksamen Wertegemeinschaft auch nach außen vermitteln.

Bei alledem steht dem Gesetzgeber naturgemäß ein hohes Maß an politischem Gestaltungs- und Bewertungsspielraum offen. Aber im Kern bedarf es eines klaren Bekenntnisses zu solcher „gesamtstaatlichen Repräsentation“, vermittelt durch den Bundesgesetzgeber. Daran fehlt es, 20 Jahre nach dem Berlin-Bonn-Gesetz. Es ist wahrhaft an der Zeit, dass der Bund sich auch in diesem Sinne zu seiner Hauptstadt Berlin bekennt und das verwirklicht, was als verbindlicher Verfassungsauftrag im Grundgesetz vorgegeben ist.

Der Staatsrechtler Rupert Scholz, Jahrgang 1937, war von 1990 bis 2002 für die CDU Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1988 bis 1989 war er Bundesminister der Verteidigung. Heute arbeitet er als Anwalt in Berlin in der Sozietät Gleiss Lutz. Scholz ist Autor und Mitherausgeber des Grundgesetzkommentars Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, für den er gerade eine Analyse des Artikels 22 fertiggestellt hat.

– Nächste Folge: Wolfgang Schäuble

Rupert Scholz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false