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Joachim Braun war Politikchef des Senders Freies Berlin.

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20 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz (IX): Raus aus der Defensive

Teil IX unserer Debatte: Provinzialismus ade - Berlin muss seine Verfassung ändern

Im zweiten Halbjahr 2014 werden Bund und Länder über die Neuordnung der Finanzarchitektur der Bundesrepublik Deutschland verhandeln. Es geht vordringlich um die Reform des Länderfinanzausgleichs, um die Zukunft des Solidarpakts und um die finanziellen Leistungen des Bundes für Berlin. Das Ziel ist, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nicht für ein weiteres Jahr fortzuschreiben, sondern von Grund auf neu zu fassen.

Berlin geht in diese Verhandlungen nicht als deutsche Hauptstadt, sondern als kleines Bundesland. Der Grund: Als Bundesland hat Berlin Anspruch auf Gelder aus dem Länderfinanzausgleich. Im Haushalt des Jahres 2013 waren das mehr als 3,2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Zuschüsse, die Berlin als Hauptstadt vom Bund erhielt, lagen unter 1,4 Milliarden Euro. Man kann verstehen, dass Berlin den Status quo möglichst unverändert erhalten will.

Der Senat hat für seine Haltung die Berliner Verfassung auf seiner Seite. Sie bestimmt im Art. 1: „Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt.“ Und weiter: „Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.“ Die Verfassung regelt dann so wichtige Fragen wie die, mit welcher Mehrheit ein Bezirksstadtrat abgewählt werden kann. Die Hauptstadtaufgabe kommt (von einer beiläufigen Erwähnung in der Präambel abgesehen) in den 101 Artikeln der Berliner Verfassung nicht vor. Man kann es kaum glauben.

Dieser selbstgewählte Provinzialismus war schon 1995 befremdlich, als Berlins Verfassung beschlossen wurde. Deutschland war damals seit fünf Jahren wiedervereint, Berlin ebenfalls. Senat und Abgeordnetenhaus hatten enorme Anstrengungen unternommen, um zwei Halbstädte, die unterschiedlichen Weltsystemen angehört hatten, zu vereinen.

Die deutsche Politik bereitete sich darauf vor, dass ihr Machtzentrum künftig in Berlin liegen würde. Der Bundestag hatte 1992 nach äußerst kontroverser Debatte beschlossen, dass Regierung und Parlament vom Rhein an die Spree umziehen würden. Bonn war unterlegen, Berlin hatte knapp gewonnen.

Die Immobilienmakler machten sich daran, das alte Berliner Zentrum zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz Straße für Straße, Haus für Haus nach geeigneten Gebäuden oder Bauplätzen für Ministerien und Abgeordnete, Botschaften und Landesvertretungen, Medien und Verbände zu durchkämmen. Berlin sollte hauptstadtfähig werden.

Berlin darf vom Bund nur dann mehr fordern, wenn es seinerseits bereit ist, mehr zu geben.

Aber die Berliner Politik war an der Hauptstadtrolle nicht interessiert. Ihr kam es allein darauf an, den für die städtischen Finanzen lebenswichtigen Status eines Bundeslandes zu festigen. Das blieb auch so, als Berlins Hauptstadtwürde im Jahre 2006 in das Grundgesetz kam. Als einen Prestigegewinn nahm man das in Berlin gern zur Kenntnis, aber politische Konsequenzen sollte der neue Verfassungsartikel nicht haben.

Das gilt bis heute. Das Positionspapier, das die Haltung des Senats zu den bevorstehenden Finanzverhandlungen definiert, enthält keinen einzigen Gedanken zur Hauptstadtaufgabe. Sein Interesse gilt allein der Verteidigung des Status quo. Es ist das trostlose Dokument einer Denkverweigerung, an der alle Berliner Parteien beteiligt sind.

Mit dieser verbohrten Defensivtaktik gerät Berlin immer mehr in die politische Isolation. Die gebenden Länder, Bayern voran, sind nicht länger bereit, die Hauptstadt üppig zu subventionieren. Die nehmenden Länder wären den lästigen Konkurrenten lieber heute als morgen los, der in jedem Jahr vierzig Prozent des gesamten Länderfinanzausgleichs abgreift. Der Bund ist zwar durch den Artikel 22 des Grundgesetzes verpflichtet, sich stärker für seine Hauptstadt zu engagieren, aber er wird sich nicht aufdrängen, solange Berlin sich darauf versteift, eine Hauptstadt wider Willen zu sein.

Es ist an der Zeit, dass die Berliner Politik radikal umdenkt. Statt ängstlich in der Defensive zu verharren, sollten Senat und Abgeordnetenhaus von sich aus die Initiative für ein Hauptstadtgesetz nach Art. 22 des Grundgesetzes ergreifen. Dieses Gesetz liegt im Berliner Interesse, weil es die Verpflichtungen des Bundes gegenüber der Hauptstadt festschreiben würde.

Aber Berlin darf vom Bund nur dann mehr fordern, wenn es seinerseits bereit ist, mehr zu geben. Es muss in einem Gesetz die Pflichten definieren, die es als Hauptstadt gegenüber Deutschland im Ganzen hat – von der Pflege von Plätzen, die für die Repräsentationsaufgaben des Bundes wichtig sind, bis zur Bereitstellung internationaler Schulen für Diplomatenkinder.

Um glaubhaft zu belegen, dass Berlin sich von seinem Provinzialismus verabschiedet und die Hauptstadtrolle wirklich annimmt, wird ein einfaches Gesetz nicht genügen. Wenn der Bund das Hauptstadtgesetz beschließen soll, dann muss Berlin im Gegenzug seine Verfassung ändern. Der Artikel 1 sollte dann heißen: „Berlin ist die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.“

In unserer Debatte zum 20. Geburtstag des Bonn-Berlin-Gesetzes erschienen bisher Beiträge von Rupert Scholz, Wolfgang Schäuble, Norbert Blüm, Peter Raue, Michael Naumann, George Turner, Edzard Reuter und Ingo Kramer. Nachzulesen auf www.tagesspiegel.de/kultur

Joachim Braun

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