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Spandauer Mischung. Mal arm, mal reich. Mal städtisch, mal dörflich. Mal viel Grün, mal viel Beton.

© picture alliance / ZB/euroluftbi

Wahlkreise in Berlin: Stadt, Land, Frust in Spandau

Der westlichste Bezirk Berlins hat viel Wald, viel Wasser und auch viele Probleme. Die Politik schielt schon mal nach Tegel und ins Umland, denn da gibt es Jobs und Geld.

Einst galt Spandau als einer der „Vorzeigebezirke“ des damaligen West-Berlin, aber das ist schon lange her. Heute hat der Bezirk Probleme, heute leben weit mehr als ein Drittel der 229 000 Einwohner in den inzwischen vier Krisengebieten. Und dennoch hat der Bezirk eine Menge zu bieten, das zunehmend auch Touristen an den Stadtrand lockt.

In Spandau kommt es zum vierten Duell zwischen Swen Schulz (SPD) und Kai Wegner (CDU), die beide den Bezirk im Bundestag vertreten. Während Wegner (40) im Spandauer Ortsteil Hakenfelde geboren wurde, kam der aus Hamburg stammende Schulz (45) erst zum Studium nach Berlin und lebt seit 18 Jahren im Bezirk. Schulz begann seine Politkarriere als Mitarbeiter des früheren Spandauer Bundestagsabgeordneten Wolfgang Behrendt, Wegner in der Jungen Union, wo er es bis zum Landesvorsitzenden brachte. Beide profilierten sich dann in der Bezirksverordnetenversammlung, aus der Wegner 1999 ins Berliner Abgeordnetenhaus wechselte.

2002 kam es zum ersten Aufeinandertreffen der beiden Politiker um das Bundestagsmandat für den erstmals um Charlottenburg-Nord erweiterten Wahlkreis Spandau. Damals ging Swen Schulz als klarer Sieger hervor, während Kai Wegner im Abgeordnetenhaus blieb. Auch 2005 gewann Schulz die Wahl mit seinem besten Ergebnis von 46,8 Prozent der Stimmen, doch zog sein Gegner über den fünften Platz auf der Landesliste der Christdemokraten nun ebenfalls in den Bundestag ein. 2009 hatte dann Wegner mit 36,4 Prozent die Nase vorn und es war Schulz (33,2 Prozent), dem die Landesliste zum Mandatserhalt verhalf. Im Bundestag engagiert sich Schulz im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, während Wegner, der auch Generalsekretär der Berliner CDU ist, dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie angehört.

Galt einst nur die zwischen Schönwalder und Neuendorfer Straße gelegene Neustadt, wo fast 40 Prozent der Bewohner einen Migrationshintergrund haben, als Problemkiez, mussten längst auch für die in den 60er Jahren entstandene „Trabantenstadt“ Falkenhagener Feld und die anschließend errichtete Rudolf-Wissell-Großsiedlung (Heerstraße-Nord) mit einem Quartiersmanagement ausgestattet werden. Und die ebenfalls vom sozialen Kollaps bedrohte Wilhelmstadt zwischen Havel und Wilhelmstraße wurde zum Sanierungsgebiet erklärt – um zu retten, was noch zu retten ist. All diese Bereiche sind geprägt von Armut und Arbeitslosigkeit. Dazu kommt der Verdrängungseffekt, der immer mehr Hartz-IV-Empfänger zwingt, angesichts steigender Mieten aus der Innenstadt an den Stadtrand zu ziehen.

„Wir haben es einst zugelassen und fast noch gefördert, auch durch die Fehlbelegungsabgabe, dass viele mit eigenem Einkommen ins Umland gezogen sind“, sagt Swen Schulz. Jetzt gelte es, wieder eine bessere soziale Mischung zu schaffen. „Völlig irre“ seien deshalb die von der Regierungskoalition vorgenommenen Kürzungen am Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. Ebenso wie der SPD-Politiker Schulz fordert auch Kai Wegner die schnelle Realisierung von Neubauten. Viele Menschen hätten Angst, durch Mieterhöhungen ihre Wohnungen zu verlieren. Die bestehenden Siedlungen dürften aber nicht weiter verdichtet werden. „Wir haben genug Flächen für bezahlbaren Wohnraum“. Ferner sieht Wegner einen Weg in der erfolgreichen Integration. Wenn erreicht werden kann, dass sich die Spätaussiedler im Falkenhagener Feld ebenso zum Bezirk bekennen, wie es viele Türken aus der Neustadt bereits tun, sei das „eine Riesenchance“.

Probleme der Bürger mit dem Jobcenter spielen immer wieder eine große Rolle in den Sprechstunden beider Abgeordneter, die stets versuchen zu helfen. Swen Schulz sieht eine Ursache für die häufigen Bearbeitungsfehler darin, dass die Arbeitsagentur selbst zu viele Zeitarbeitskräfte und zu wenig gut qualifiziertes Stammpersonal beschäftigt.

In Kladow ist die Welt noch in Ordnung

Im Villen-Ortsteil Kladow ganz im Süden des Bezirks und dem vorgelagerten, dörflichen Gatow ist die Welt dagegen noch in Ordnung. Und auch in der Spandauer Altstadt mit ihrer Fußgängerzone, in der die Billigfriseure, Discount-Apotheken und Ein-Euro-Läden endlich eine rückläufige Tendenz zeigen, geht es voran. Und gleich nebenan hat sich die historische Zitadelle zu einem Kulturzentrum entwickelt. Und an der Scharfen Lanke – nur wenige Schritte von der viel befahrenen Heerstraße entfernt – und am Kladower Hafen spürt so mancher eine mediterrane Atmosphäre. An den Sommerwochenden sind hier die Touristen, vor allem die aus der Stadt, „aus Berlin“, wie so mancher hier ja immer noch sagt.

Mit dem Abriss des unvollendeten Spandauer Tores in Haselhorst konnte eine der markantesten Bauruinen der Stadt beseitigt werden. Das marode Haus der Gesundheit an der Carl-Schurz-Straße wurde nach vergeblichen Vermarktungsversuchen des Liegenschaftsfonds an den Bezirk zurückgegeben. Jetzt soll das kaputte Dach saniert werden, eine Machbarkeitsstudie zum Umbau für eine Nutzung durch die Volkshochschule liegt bereits vor. Dagegen bleibt das ehemalige Hauptpostamt im markanten Eck zwischen Rathaus, Bahnhof und Spandau Arcaden ein Ärgernis. Es gehört einem holländischen Investor, der es weiterverkaufen möchte, was aber bisher nicht gelungen ist. Der Bezirk hat hier keine Eingriffsmöglichkeit. Es vergeht keine Sprechstunde, ohne dass sich Bürger über den „Schandfleck“ beklagen sagt Swen Schulz. Und auch Kai Wegner fordert: „Hier muss zwingend etwas passieren.“

Anders als in Reinickendorf ist der Flughafen Tegel im ebenfalls vom Fluglärm betroffenen Spandau kein primäres Wahlkampfthema. Auch hier halten sich Befürworter und Gegner der geplanten Schließung, an der nach Einschätzung beider Abgeordneter rechtlich kein Weg vorbeiführt, die Waage. Schulz und Wegner versprechen sich von der Nachnutzung des Areals positive Auswirkungen auch auf den Spandauer Arbeitsmarkt.

Dagegen steht die bisher von Brandenburg abgelehnte Verlängerung der S-Bahn bis nach Falkensee nach wie vor im Fokus. Swen Schulz hält sie „weiterhin für sinnvoll, kann aber „nicht erkennen, dass es ausreichend Kräfte gibt, um das zu forcieren“. Es darf aber keine Ausdünnung bei der Regionalbahn und keine S-Bahnhöfe mitten in Wohngebieten geben, so Kai Wegner. Auf Initiative des Christdemokraten wurde im vergangenen Jahr an den Spandauer Grundschulen das Präventionsprogramm „Kleine Helden“ eingeführt.

Swen Schulz möchte eine „veritable Hochschule“ im Bezirk ansiedeln. Der Sozialdemokrat fordert auch die sofortige Streichung des Betreuungsgeldes zugunsten des Ausbaus und der Verbesserung des Kita-Angebotes. Für Kai Wegner ist es wichtig, die Kriminalität und das Unsicherheitsgefühl zu senken. Viele Ältere trauten sich kaum noch auf die Straße.

„Spandau ist ein vielfältiger, wirklich schöner Bezirk mit hoher Lebensqualität“ sagt Swen Schulz. Und Kai Wegner würdigt „den Kontrast vom dörflichen Flair bis hin zum massiven Großstadtcharakter“. Um ihr Mandat müssen sich beide Kandidaten keine Sorgen machen, beide sind auf den zweiten Platz der Landeslisten ihrer Parteien aufgerückt und damit besser abgesichert als je zuvor.

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