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Brandenburg: Abschied von Horno

Jetzt wird umgezogen ins neue Dorf: Aber vorher holen die Einwohner noch die Pflaumen von den Bäumen und die Kartoffeln aus der Erde. Zum letzten Mal

Von Sandra Dassler

Horno. Vor zwei Wochen ist Dagmar Wellenbrink ins italienische Verona geflüchtet. Dort in der Arena hat sie sich die großen Tragödien der Vergangenheit angesehen. Und Kraft getankt für den letzten Akt der zahlreichen kleinen menschlichen Dramen, die sich gegenwärtig in ihrem Heimatdorf abspielen.

Dagmar Wellenbrink ist die Pfarrerin von Horno, das in Kürze in einem riesigen Loch verschwinden wird. Die Grube reicht schon auf Sichtweite an den Ort heran: Horno muss dem Braunkohlentagebau weichen – alle Klagen dagegen bei deutschen und europäischen Gerichten haben nichts geholfen.

Die meisten Hornoer schlagen Türen und Tore zu, wenn Fremde anrücken – oder gar Journalisten, die wissen wollen, wie sie sich fühlen. „Was für eine beschissene Frage“, sagt Bernd Siegert, der Hornoer Ortsvorsteher und setzt sich rittlings auf einen Stuhl im Gemeindebüro: „Wie soll man sich fühlen, wenn alles Kämpfen nichts geholfen hat?“

Siegert hat unverdrossen gekämpft. Er war nie ein Diplomat, aber er hatte anfangs viele Freunde. Die meisten sind verschwunden, seit der Kampf um Horno verloren ist. Siegert ist geblieben. Wie ein erfahrener Feldherr hat der Schlosser mit den mächtigen Händen sein Ziel neu definiert: „Wenn das Dorf nicht zu retten ist, dann soll wenigstens die Dorfgemeinschaft erhalten bleiben – die Vereine, der Zusammenhalt der Menschen.“

Es hat nicht ganz geklappt: Etwa 70 der rund 320 Einwohner sind in andere Orte abgewandert. Aber die Mehrheit bleibt zusammen. 250 Menschen werden in den kommenden Wochen ihre Häuser in Neu-Horno beziehen. Das liegt nur 15 Kilometer entfernt, am Rand der Kreisstadt Forst an der polnischen Grenze. Die Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) und der schwedische Konzern Vattenfall, der die Laubag kaufte, haben die Wünsche der Hornoer, so gut es ging, berücksichtigt. Und niemand musste sich für sein neues Haus verschulden. „Viele beneiden uns darum“, sagt Siegert, „aber wir würden auch jetzt noch auf die schönen Häuser verzichten, könnten wir hier bleiben.“

Ramona Mudrack (39) wird in wenigen Tagen umziehen. Ihre Schwiegermutter wohnt bereits seit einigen Wochen in Neu-Horno, und Ramona hat kürzlich schon mal im neuen Haus geschlafen. Ihr Mann Günter hat das nicht geschafft. Kurz vor Mitternacht ist der 47-Jährige fluchend aus dem Bett gesprungen und zurückgefahren nach Horno. Ins alte Haus und ins gewohnte Bett. „Ich kann mich anpassen“, sagt seine Frau, „ihm fällt das schwer.“ Einige Neu-Hornoer haben schon Tomaten angepflanzt und Gurken und Rosenkohl. Am Anfang waren sie skeptisch, aber der Boden scheint in Ordnung zu sein – das Gemüse ist gut gewachsen.

Im alten Horno hat Otto Groß gerade zum letzten Mal die Kartoffeln aus der Erde geholt. Im Haus des 71-Jährigen leben vier Generationen: Tochter, Enkelin und Urenkel Alex – eines der letzten Kinder, das in Horno getauft wurde. Ottos Frau liegt nebenan auf dem Friedhof. Als sie vor zehn Jahren starb, ahnte die Familie schon, dass sie die Großmutter noch nicht zur letzten Ruhe gelegt hatte. Die Umbettung ihrer Toten ist für viele Einwohner die schlimmste Belastung.

Katrin, die 23-jährige Enkeltochter von Otto Groß, macht sich Gedanken um die Katzen: „Die müssen wir im neuen Haus mindestens drei Wochen einsperren, sonst kehren sie hierher zurück.“ Otto Groß brüht starken türkischen Kaffee auf und sagt: „So wie hier wird es sowieso nicht wieder. Wir ziehen doch in die Wüste.“ Er zeigt auf den zweijährigen Alex, der mit einem Polizei-Dreirad zwischen den großen Bäumen umher flitzt: „Auf dem neuen Gehöft ist noch alles kahl. Und bis man im Schatten eines der neu gepflanzten Bäume sitzen kann, werden Jahre vergehen. Ich erleb’ das nicht mehr.“ Am Abend geht Otto Groß zur Einwohnerversammlung in die Gaststätte von Horno. Früher wurden hier Politiker ebenso ausgebuht wie die Laubag-Chefs – wenn sie sich überhaupt nach Horno trauten. Heute geht es um den Umzug, die neuen Häuser. Die Versammlung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Einwohner fürchten die Missgunst jener, die immer gesagt haben: „Diese Hornoer kämpfen ja nur so lange, um die Preise nach oben zu treiben.“

Bernd Lilienthal ist kein Hornoer. Er kommt aus Guben und schenkt seit vier Jahren das Bier in der Dorfgaststätte aus. Manche Gäste sagen „Dickerchen“ zu ihm, er nimmt es nicht krumm: „Lieber dick und dufte als dünn und doof“, steht an seiner Theke. Lilienthal hofft, auch in Neu-Horno als Kneipier arbeiten zu können, und erzählt von Werner Domain, einem 68-jährigen Einwohner, der nicht umziehen will. Jetzt droht ihm die Zwangsenteignung. „Irgendwann“, sagt Lilienthal, „werden sie ihm das Wasser abdrehen und das Licht ausschalten.“

Einen Vorgeschmack auf das Ende haben die Hornoer bekommen, als ihre Kirchturmspitze abgenommen wurde. Sie soll restauriert und dann nach Neu-Horno überführt werden. Als sie durch die Luft schwebte, haben manche geheult. Bernd Siegert ging, erzählt er, vor allem eines durch den Kopf: „Niemals wird jemand untersuchen, ob das hier tatsächlich Arbeitsplätze erhalten hat. Jene Gewerkschaftsfunktionäre, die unverhohlen drohten, 3000 Kohlekumpel nach Horno marschieren zu lassen, werden sich nie dafür verantworten müssen.“

Die Bagger fressen sich von Süden her an das Dorf heran, werden es Stück für Stück abtragen. Vielleicht bleiben manche Häuser noch Jahre stehen – zur Freude der Plünderer. Schon jetzt schleichen dunkle Gestalten in verlassene Gebäude. Ganz ungeniert klauen Fremde das Obst von den Bäumen. Es gibt reichlich Pflaumen nach diesem Jahrhundertsommer. Der musste kommen, sagen die alten Hornoer, weil die Sonne das Dorf ein letztes Mal umarmen wollte. Deshalb blüht jetzt auch das Heidekraut bis in die Spitzen.

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