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Brandenburg: Ärzte wollen Kongress absagen

Medizinergesellschaft fürchtet um ausländische Teilnehmer. 37-Jähriger liegt im künstlichen Koma

Potsdam - Der aus Äthiopien stammende Potsdamer Ermyas M. schwebt nach dem vermutlich rassistisch motivierten Mordanschlag weiterhin in Lebensgefahr. Die schwere Schädel-Hirn-Verletzung habe eine Operation des 37-Jährigen erforderlich gemacht, sagte Hubertus Wenisch, der Ärztliche Direktor des Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikums gestern in Potsdam. Der Patient, der in den frühen Morgenstunden des Ostersonntags unweit des Stadtzentrums überfallen und zusammengeschlagen worden war, wird weiter im künstlichen Koma gehalten. Sein Zustand sei inzwischen stabil. Die Ärzte äußerten sich vorsichtig optimistisch, dass M. den Anschlag überleben werde. Aber sie wagen bislang keine Aussage, ob und welche Schäden der 37-Jährige möglicherweise langfristig davontragen wird. „Man kann davon ausgehen, dass die Rekonvaleszenz lange dauern wird.“

Das Gewaltverbrechen an einem Farbigen kurz vor dem Start der Fußball-WM, bei dem mittlerweile Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen übernommen hat, hat auch erste Negativ-Wirkungen für Potsdam. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bestätigte, dass ein für Herbst geplanter bundesweiter Ärztekongress wahrscheinlich abgesagt werde – aus Sorge um die Sicherheit der Teilnehmer. Jakobs sprach von „wirtschaftlichen Schäden“ für Potsdam.

Das an den Oberbürgermeister gerichtete Fax der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin aus Göttingen, die zusammen mit dem Deutschen Hausärzteverband im Herbst ihren Jahreskongress mit rund 700 Teilnehmern in Potsdam veranstalten wollte, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es scheine „für Menschen, die sich durch ihr Aussehen bzw. durch ihre Hautfarbe von ,der Mehrheit‘ der deutschen Bevölkerung unterscheiden, nicht mehr ohne Risiko möglich zu sein, sich frei in Potsdam, aber auch anderen Städten und Gemeinden Deutschlands zu bewegen“, heißt es darin. Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, „dass die politischen Institutionen, die Rechtssprechung sowie die Polizei nicht mit ausreichender Härte gegen rechtsextremistische Täter“ vorgehe. Deshalb erwäge die Medizinergesellschaft, „als Platz für den wissenschaftlichen Disput … auch mit ausländischen Gästen einen Ort zu wählen, an dem keine ausländerfeindlichen oder rassistischen Ausfälle zu befürchten sind“.

Dabei hatte sich gerade Potsdam, wo seit 1990 so viele Neu-Bürger wie nirgendwo sonst in Ostdeutschland hingezogen sind, den Ruf einer toleranten Stadt erworben. „Hier war es bislang auch für Ausländer möglich, nachts in der Stadt unterwegs zu sein“, sagte Jakobs. Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) äußerte sich besorgt, dass das Image Brandenburgs beeinträchtigt wird. Allerdings sei Potsdam trotz des furchtbaren Verbrechens eine tolerante Stadt. Das Verhalten des Taxifahrers, der die Verfolgung der Tatverdächtigen aufgenommen und die Polizei alarmiert hatte, zeige dies. Oberbürgermeister Jakobs sicherte den Familienangehörigen von M. die Unterstützung der Stadt zu, etwa bei der Betreuung der Kinder. Er kündigte an, mit den Fraktionen des Rathauses und dem Bündnis gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit nach Wegen zu suchen, zivilgesellschaftliches Engagement zu verstärken.

Ermyas M. war am Ostersonntag keine hundert Meter Luftlinie von seiner Wohnung entfernt zusammengeschlagen worden, nahe der Tram- und Bushaltestelle Bahnhof Charlottenhof, direkt an einer der meistbefahrenen Straßen Potsdams, der Zeppelinstraße. Warum weder Fahrgäste noch Fahrer des Nachtbusses N18 eingriffen, ist bislang unklar. Der Bus sollte parallel zur Tatzeit um 4.01 Uhr an der Haltestelle abfahren. Laut dem Geschäftsführer des Potsdamer Verkehrsbetriebes, Martin Weis, würden die Fahrer aus der Tatnacht derzeit interviewt. Am Tatort versammelten sich gestern etwa drei Dutzend Jugendliche, die Blumen niederlegten und Kerzen anzündeten.

Die Polizei veröffentlichte am Dienstag eine Aufnahme von der Handy-Mobilbox der Frau von Ermyas M. Darauf hatte er eine Nachricht hinterlassen, als er überfallen wurde, die Stimmen der Täter kamen mit aufs Band. Die Polizei hofft nun auf Mithilfe bei ihrer Identifizierung: www.internetwache.de. In der Friedenskirche Potsdam-Sanssouci findet an diesem Mittwoch ab 19 Uhr eine Fürbitt-Andacht für das Opfer statt.

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