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Brandenburg: Alle widersprechen dem Innenminister

Schönbohms Thesen zur „Proletarisierung“ bringen selbst Parteifreunde gegen ihn auf

Potsdam - Die Proletarisierungs-Thesen von CDU-Innenminister Jörg Schönbohm zum neunfachen Baby-Mord von Frankfurt (Oder) haben Unverständnis und Empörung in Brandenburg ausgelöst – bis in die Reihen der Union hinein. Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) distanzierte sich am Mittwoch von den Aussagen seines Stellvertreters. „Viele Ostdeutsche empfinden das als Zumutung, als Westsicht pur“, sagte Platzeck dieser Zeitung. Es habe auch in anderen Bundesländern und in anderen europäischen Staaten furchtbare Verbrechen an Kindern gegeben. Er könne sich die Aussagen „nur mit der emotionalen Erregung“ Schönbohms über die „unheimliche menschliche Tragödie“ erklären. Er habe wegen den Schönbohm-Aussagen „unzählige Anrufe“ von zum Teil erbitterten Bürgern bekommen.

Die Linkspartei im Landtag wird wegen der Aussagen wohl Schönbohms Rücktritt fordern. Sie werde darüber mit der Fraktion beraten, bestätigte die Fraktionsvorsitzende Dagmar Enkelmann. „So vergiftet Schönbohm das Klima im Land.“

Schönbohm hatte im Tagesspiegel-Interview die „Proletarisierung“ der Landbevölkerung durch die „Zwangskollektivierung“ in den 50er Jahren der DDR als eine „der wesentlichen Ursachen für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft“ im heutigen Brandenburg bezeichnet. Als Gegenbeispiel nannte er das eher „städtisch geprägte Sachsen“, in dem ein Teil des Bürgertums die SED überlebt habe.

Das ist selbst für Christdemokraten starker Tobak. Er könne nicht erkennen, dass die Bewohner der ländlichen Regionen Brandenburgs gewaltbereiter seien, sagte der CDU-Landtagsabgeordnete Dieter Helm, agrarpolitischer Sprecher der Fraktion und selbst Landwirt. „Im Gegenteil, man schaut auf dem Dorf noch genauer hin, interessiert sich eher für Probleme des Nachbarn als in der Stadt.“ Auch aus Sicht des Frankfurter Oberbürgermeisters Martin Patzelt greift die Analyse Schönbohms im Zusammenhang mit dem Babymord, auch der Vergleich zu Sachsen, „zu kurz“. Und Brandenburgs CDU-Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann sagte, sie wundere sich, wie Schönbohm „über sein Land spricht.“ Sie bezweifle, dass Gewaltbereitschaft und Verwahrlosung in Sachsen geringer seien als in Brandenburg. Und Ursachen seien weniger in der SED-Zeit als in den schwierigen Umbrüchen danach zu suchen. „Der Zusammenhalt untereinander war vor 1989 größer“, so Tiemann. Selbst in Mecklenburg-Vorpommern gingen Parteifreunde auf Distanz. Der CDU-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Eckhardt Rehberg, sprach „von nicht zu rechtfertigenden verbalen Entgleisungen“. Justizministerin Beate Blechinger (CDU) mahnte hingegen eine differenzierte, ehrliche Analyse der Ursachen für das verbreitete Wegschauen an, die auch DDR-Prägungen einschließen müsse. Es sei Tatsache, dass in Ostdeutschland Auffassungen verbreitet seien, wonach für die Erziehung der Staat zuständig sei. Auch habe die Anti-Kirchen-Politik der DDR zu einer „Entchristlichung“ in Ostdeutschland geführt. Andererseits habe es im Osten durch die Umbrüche nach 1990 auch eine Phase gegeben, „wo Kinder nicht die nötige Zuwendung bekommen haben“. Um Schadensbegrenzung bemühte sich CDU-Generalsekretär Sven Petke. „Wir müssen in Brandenburg eine schmerzhafte Ursachendiskussion führen.“ Es gehe der CDU nicht darum, den Ostdeutschen zu nahe zu treten.

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