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Brandenburg: Alles in der Schwebe

Ballonfahren im Berliner Umland macht süchtig. Warum, versteht der Großstädter erst, wenn er oben ist

Von Stefan Jacobs

Der Wetterbericht verkündet unverdrossen Nordwind, aber der soeben freigelassene Testballon entschwebt ostwärts. Eckhard Wieprecht staunt kurz, dann zuckt er mit den Schultern. Fahren wir halt nach Osten.

Wieprecht mit seinem „Havelballon“ ist einer von rund 80 registrierten Ballonfahrern in der Umgebung Berlins. Für den Kaufpreis seines Heißluftballons hätte er auch ein Mercedes-Taxi bekommen. Bei dem könnten die Passagiere sich jetzt das Fahrziel aussuchen, und billiger wäre die Tour auch. Aber Wieprecht fährt lieber Ballon. Warum, versteht man, wenn man oben ist.

Denn da gibt es fast nichts, was vom Genuss des Dahinschwebens ablenkt. 400 Meter unter dem Korbboden breitet sich das Havelland wie eine Modellbahnplatte aus. Gut, die Eisenbahn fehlt, aber dafür gibt es Schafe, die auf ihrem Weg zwischen Weidezäunen kunstvolle Figuren legen. Rehe springen an Waldrändern entlang, Gänse sprenkeln Hinterhöfe, Hunde oszillieren zwischen Gartenzäunen, Autos krabbeln unter Alleebäumen, und der Schatten des Ballons gleitet sanft über Felder und holpert über gezackte Baumkronen. Die Wassergräben zwischen den Äckern glitzern wie Silbernadeln im Gegenlicht.

Neulinge an Bord könnten übers Schwärmen leicht die Landung aus den Augen verlieren. Zwar ist bekanntlich noch niemand oben geblieben, aber nach einer guten Stunde in der Luft gehen die Gasvorräte zur Neige. Wie landet eigentlich ein steuerloser Weidenkorb mit Holzboden?

Eckhard Wieprecht mustert sämtliche in Windrichtung gelegenen Wiesen. Auf manchen stellen sich Baumgruppen in den Weg, andere entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Sümpfe, wieder andere sind von Wassergräben eingerahmt und deshalb fürs Auto unerreichbar. Nur eines ist allen gemeinsam: Sie sehen nicht besonders flauschig aus. Aber Wieprecht lässt die Fuhre langsam sinken. Den ungefähren Landeplatz bestimmt wieder der Wind; die Härte des Aufpralls hängt davon ab, ob Wieprecht im richtigen Moment am Brenner dreht. Ein Blick auf die Landkarte, ein Funkspruch an seinen Sohn, der dem Ballon hinterhergefahren ist, so gut es ging. Dann das Kommando an die Passagiere: „Gut festhalten und ein bisschen in die Knie gehen!“ Man klammert sich an die Halteschlaufen, sieht die Wiese nahen und stellt erschrocken fest, wie schnell der Wind den Ballon vor sich her schiebt. Wieprechts Hand liegt am Brenner. Fauch!, der letzte Feuerstoß kommt genau im richtigen Moment. Der Korb setzt rumpelnd auf, taumelt, rutscht ein paar Meter, kippelt noch einmal und steht dann still, während die Hülle langsam zur Seite kippt.

Glückliche Menschen klettern von Bord und werfen Schatten wie Hochhäuser auf die Wiese, bevor die Sonne ganz verschwindet. Mücken drehen bei, der Boden unter den Füßen fühlt sich unangenehm hart an. Es ist wie der Kater nach dem Rausch. Ballonfahren macht süchtig.

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