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Brandenburg: Anwalt: Es war Tötung aus frustbedingter Aggresssion Verteidiger im Potzlow-Prozess fordert

für seinen Mandanten Marcel S. acht Jahre Jugendhaft

Von Frank Jansen

Neuruppin. Anwalt Volkmar Schöneburg hat im Potzlow-Prozess den schwierigsten Part. Welche Strafe soll er für seinen Mandanten Marcel S. fordern, der sein Opfer mit kaum vorstellbarer Brutalität getötet hat? Wie kann man den „Bordsteinkick“ erklären, den Sprung mit beiden Stiefeln auf den Hinterkopf des 16-jährigen Marinus Schöberl, der in die Kante eines Schweinetrogs beißen musste – und wimmernd ahnte, was kommt? Schöneburg hat mühsam eine halbwegs plausible Deutung versucht. In seinem einstündigen Plädoyer vor der Jugendkammer des Landgerichts Neuruppin holte der Anwalt am Donnerstag weit aus, um dann doch festzustellen: Es ist Mord. Aber aus anderen Motiven, als die Staatsanwaltschaft sage. Auch Schöneburg konnte sein Entsetzen nicht verbergen: Was Marcel S. in der Nacht zum 13. Juli 2003 in dem Schweinestall in Potzlow getan hat, sei „wenig fassbar“.

Der 18 Jahre alte Angeklagte, blass wie immer, hörte reglos zu. Auch die beiden anderen Schläger, Marcels Bruder Marco (24) und Sebastian F. (18), die in jener Nacht Marinus Schöberl kaum weniger gequält hatten, zeigten wie an allen anderen Prozesstagen eine maskenhafte Mimik. Dennoch gab sich Schöneburg Mühe, zumindest Marcel vom Stigma des seelenlosen Monsters zu befreien. Sein Mandant habe darunter gelitten, dass die Eltern arbeitslos waren und seine Mutter obendrein ihre Krankheit nicht loswurde, sagte Schöneburg. Es habe Marcel frustriert, dass er und Sebastian F. wegen rechtsextremer Parolen nicht an einer Klassenfahrt ihrer Bildungseinrichtung teilnehmen durften. Marcel sei von seinem älteren Bruder abhängig gewesen, auch habe der psychiatrische Gutachter eine Reifeverzögerung diagnostiziert. Und in der Tatnacht habe Marcel reichlich Alkohol genossen, außerdem hätten sich alle drei Angeklagten „gegenseitig hochgeschaukelt“.

Nach Ansicht Schöneburgs ist ein spezieller niederer Beweggrund als Mordmerkmal zu erkennen: „Wir haben hier eine Tötung aus frustbedingter Aggression.“ Der „Bordsteinkick“ nach dem Muster einer brutalen Szene aus dem US-Film „American History X“ sei außerdem ein „klassischer Mittäterexzess“ – der anerkennungssüchtige Marcel habe seinen Bruder und Sebastian F. „überholt“. Keineswegs komme jedoch, wie die Staatsanwaltschaft behaupte, als niederer Beweggrund eine rechte Gesinnung in Frage – obwohl das Opfer gezwungen wurde, sich als „Jude“ zu bezeichnen. Schöneburg meint, Marcel habe sich wie ein „Chamäleon“ verhalten und die „rechtsradikalen Sachen“ erst im Juni 2002 hervorgeholt, kurz bevor Bruder Marco aus mehrjähriger Haft entlassen wurde. Marcel habe versucht, Anerkennung bei der rechten Clique zu finden. Und der Verteidiger präsentierte ein makaberes Gleichnis: „Wenn es Nudisten gewesen wären, hätte er sich denen angeschlossen.“

Acht Jahre Jugendhaft hält der Anwalt für angemessen. Die Staatsanwaltschaft verlangt zehn Jahre, das im Jugendstrafrecht mögliche Höchstmaß. Vor anderthalb Wochen hat der Verteidiger von Sebastian F. Haft abgelehnt, „Zuchtmittel“ reichten aus. Kommende Woche wird der Verteidiger von Marco S. plädieren, für den die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft fordert.

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