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Brandenburg: Atommüll-Transport: "Hier kräht kein Schwein nach dem Castor"

Der Löwenzahn auf den Gleisen im Bahnhof von Herzberg blüht prächtig. Er kann hier fast ungestört gedeihen, denn in Herzberg fahren die Züge nur ein Mal in der Stunde.

Der Löwenzahn auf den Gleisen im Bahnhof von Herzberg blüht prächtig. Er kann hier fast ungestört gedeihen, denn in Herzberg fahren die Züge nur ein Mal in der Stunde. Sie fahren 30 Kilometer nach Norden. Nach Rheinsberg. Dort endet das Gleis. Weil es zwischen Rheinsberg und Herzberg keine Weiche gibt, müssen alle Züge hier vorbei. Auch Zug X.

"Sie werden gleich Ärger mit dem Bundesgrenzschutz kriegen, wenn Sie sich hier auf den Gleisen rumtreiben!", ruft der Bahnhofsvorsteher. Er hat die Order, verdächtige Entdeckungen zu melden. Aber der Bundesgrenzschutz (BGS) kommt ohnehin ständig vorbei. Die Beamten rumpeln mit ihrem Opel über den nur mit Blechkreuzen gesicherten Bahnübergang, wenden an der nächsten Ecke und kommen zurück.

Der Zug aus Rheinsberg hält. Eine ältere Frau steigt aus und geht zu ihrem Fahrrad, das ohne Schloss am Bahnhofsgebäude lehnt. Ob sie sich wegen des Castors sorge? "Ach wo! Wenn man da nicht so ein Theater drum machen würde, wäre das längst erledigt", sagt sie missmutig und radelt ins Dorf. Der Bahnhofsvorsteher legt krachend eine Weiche um, damit der nun völlig leere Zug weiterrumpeln kann. Eine Landstraße verläuft fast parallel zum Gleis nach Rheinsberg. An einem Übergang stehen zwei nagelneue Mietklos in der weiten Landschaft.

Lindow ist der einzige größere Ort vor Rheinsberg. Am Ortseingang kreuzt ein Feldweg die Bahn. Dort parkt ein dunkler Audi mit auswärtiger Nummer, in dem zwei junge Männer zur Maximum-Abwechslung-Megahit-Mischung dösen. "Wir haben nichts mit dem Castor zu tun", sagt der Fahrer. "Eigentlich eher nicht so richtig", präzisiert der Beifahrer. Worauf sie warten, verraten sie nicht.

Die Gaststätte "Zur Dampflok" liegt in der Bannmeile, in der sich bis zum Tag X niemand versammeln darf. Die Wirtin will gerade von dem riesigen BGS-Sendeturm nebenan erzählen, als vor der Tür ein Polizeiauto mit Blaulicht stoppt. "Hauptkommissar Albert", stellt sich der Fahrer vor. Barsch fordert er den Gast, der vorhin das Gleis fotografiert hat, zum Mitkommen auf. Erst der anlässlich der "erkennungsdienstlichen Behandlung" gezückte Presseausweis stimmt den Hauptkommissar milder. Man sei halt zur Obacht verpflichtet, sagt er und empfiehlt sich.

Die Wirtin wundert sich nicht mehr, denn erst letzte Nacht, als sie die Gaststätte abgeschlossen hat, "hatten die hier draußen gerade einen am Schlafittchen." Um Zug X macht sie sich keine Gedanken: "Das Zeug muss doch weg, wenn das Kernkraftwerk abgebaut wird." Über die vielen Sicherheitsleute ist sie ganz froh, weil die Umsatz bringen und ihr die Angst vor Einbrechern nehmen.

Auf dem kleinen Bahnhofsplatz wird es wieder lebendig: Fünf grüne Land Rover fahren vor; die Insassen erinnern an den Ausflug von Mitgliedern eines Fitness-Centers. Es sind aber BGS-Beamte, die ihre Kollegen am Sendeturm nebenan besuchen.

Diese wiederum werden von einem Anwohner beobachtet, der im ausgeleierten T-Shirt am Gartenzaun lehnt. "Hier kräht kein Schwein nach dem Castor", sagt er. "Wir sind doch alle froh, dass das Zeug hier wegkommt. Wenn wir hier Angst haben, dann vor den Verrückten, die sich aufs Gleis setzen."

Der 76-Jährige, der in Klosterheide, einem 200-Einwohner-Dorf kurz vor Rheinsberg, seinen Rasen mäht, sieht das ähnlich: "Früher stand da rechts und links ein Polizist am Gleis, wenn die gefahren sind, und damit war das gut." Die Aufregung jetzt sei ein von Grünen und Medien inszeniertes Theater, sagt der Mann, der seit 1960 hier wohnt. "Die hier demonstrieren wollen, die kommen doch alle von drüben aus der BRD", sagt der alte Mann. Gegen den Transport aus Rheinsberg zu protestieren, hält er für besonderen Unfug, denn hier werde ja der Atomausstieg praktiziert. "Man muss doch mal ein bisschen logisch denken!"

Die Besatzung des BGS-Busses am nächsten Feldweg freut sich über die Sonne: "Jou! Stimmung ist gut, Wetter ist gut, und Essen ist auch gut", sagt ein Hüne und drückt seine Minisalami aus der Folie. "Streckenschutz" heißt die Aufgabe, "also aufpassen, dass hier keiner an den Gleisen rumbastelt."

Auch die Frau, die in einer ehemaligen Bahnhofsbaracke direkt neben dem Gleis wohnt, hat gute Laune: "Das Kernkraftwerk hat mich noch nie gestört; da haben doch ein Haufen Leute gearbeitet. Um den Transport jetzt mache ich mir auch keinen Kopf. Aber das Gewitter vergangene Nacht, meine Güte, das war schlimm. Da hatte ich wirklich Angst." Im Stadtzentrum von Rheinsberg, gleich neben dem Schloss, lehnt Hauptkommissar Jens-Uwe Kroll am Eingang zum Bürgerbüro der Polizei und wartet auf Kundschaft. 116 Fragen habe er bisher beantwortet, darunter viele harte Nüsse. Das Problem, wie etwa die Pflegeschwester am Tag X ihre Diabetes-Patienten pünktlich erreiche, sei noch relativ leicht zu klären. Neben Informationen zu gesperrten Straßen wollten viele Menschen allgemeine Auskunft zum Ablauf des Transportes.

Ein paar Schritte vom Bürgerbüro entfernt parkt ein ziviles BGS-Auto. Hinter der Frontscheibe liegt der Einsatzplan für Tag X. Mit allen Namen und Handynummern der Einsatzleiter. "Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch", steht auf dem Blatt. Das Papier wäre wohl was für die Atomkraftgegner. Aber diese kommen von auswärts und reisen erst in den nächsten Tagen an.

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