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Villa Gericke

© Manfred Thomas

Behördenwillkür: Die Akte Potsdam

Historische Kulturstadt, vorbildlich - so schien es. Doch in Potsdams Baubehörde herrschte offenbar Willkür. Jetzt soll die Staatsanwaltschaft einen Fall prüfen, die Stadtverwaltung selbst hat Strafanzeige gestellt

Historische Kulturstadt, vorbildlich - so schien es. Doch in Potsdams Baubehörde herrschte offenbar Willkür. Jetzt soll die Staatsanwaltschaft einen Fall prüfen, die Stadtverwaltung selbst hat Strafanzeige gestellt

Die Tür zu seinem Sekretariat steht halb offen, in breiten Streifen fällt die Vormittagssonne durch die Fenster in sein Dienstzimmer, und die Frau, die an dem großen ovalen Besprechungstisch an seiner Seite sitzt, ist mit ihrem Stuhl noch etwas näher an seinen herangerückt. Der Mann steht hinter seinem Stuhl, die Arme auf die Lehne gestützt, er sagt etwas, das man aus der Entfernung, vom Vorzimmer aus, nicht hören kann. Er spricht eindringlich, und sie nickt, und es liegt etwas Eilfertiges in dieser Bewegung.

Im Vorzimmer laufen ein paar seiner Mitarbeiter umher, jemand flüstert, die Frau habe sehr aufgeregt gewirkt, als sie ankam, sie habe wohl argen Bammel vor dem Termin, der gleich anstehe.

Unwahrscheinlich, dass die Worte hineindringen, bis ans entfernte Ende des Besprechungstischs; selbst im Vorzimmer sind sie kaum zu verstehen. Unwahrscheinlich, dass sie für den Besuch bestimmt sind, der auf einmal im Vorzimmer steht. Presse.

Als Jann Jakobs und Elke von Kuick-Frenz den Besuch bemerken, endet ein Moment, in dem sie miteinander reden, vermeintlich unbeobachtet. Viele solche Momente hat es für Jakobs, Potsdams Oberbürgermeister von der SPD, und Kuick-Frenz, seine Baubeigeordnete und Parteifreundin, zuletzt nicht gegeben. Sie sprechen nur noch das Nötigste miteinander, wenn man den Potsdamer Genossen glauben darf. Und doch hängen sie derzeit aneinander fest wie siamesische Zwillinge. Diese Affäre hat sie dazu gemacht.

Ihre Baubehörde hat offenbar völlig willkürlich Baugenehmigungen für denkmalgeschützte Gebäude erteilt oder verwehrt. Sie geriet in Verdacht, auf fragwürdige Weise auf die Steuerbegünstigung eines Immobilieninvestors hingewirkt zu haben. Eine Behördenmitarbeitern steht unter Korruptionsverdacht. Seit Ende vergangener Woche ist die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Es sind schwere Vorwürfe, die in einer Stadt wie Potsdam mit ihren rund 4000 denkmalgeschützten Gebäuden und Grünflächen besonderes Gewicht haben. Der Umgang mit der historischen Bausubstanz ist hier ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Allein im vergangenen Jahr haben Privatleute 50 Millionen Euro investiert. Touristen kommen in die Stadt, um Sanssouci zu sehen, das Holländische Viertel, die von Persius entworfenen Turmvillen, die barocke Innenstadt.

Jakobs kennt die Vorwürfe. Viele davon konnte er gerade in einem Bericht lesen, den er selbst bestellt hat. Der renommierte Berliner Verwaltungsrechtler Ulrich Battis hat von März bis Anfang dieses Monats mehr als 60 Vorgänge in der Potsdamer Bau- und Denkmalschutzbehörde untersucht und dabei unter anderem festgestellt: Die „gleichmäßige Anwendung des Rechts“ sei „organisatorisch nicht sichergestellt“. Und das schon seit Jahren.

Dass das Problem nun öffentlich ist, hat mit einer Beschwerde des Fernsehmoderators Günther Jauch zu tun. Jauch wohnt in Potsdam. Er hatte über Ungleichbehandlung geklagt. So sollte er vor den Kellerfenstern eines Denkmals, das er sanieren ließ, sechsfach gedrehte Eisenstangen nach historischem Vorbild anbringen. Preisunterschied im Vergleich zur Standardware: gut 30 000 Euro. In direkter Nachbarschaft wurden Sonnenkollektoren auf ein denkmalgeschütztes Gebäude montiert, ohne dass sich jemand daran störte. Es ist ein Beispiel unter vielen.

Und nun sitzt Jakobs in seinem Oberbürgermeisterbüro, gestutzter Bart, hemdsärmlig, blaue Krawatte zum gestreiften Hemd, und muss unangenehme Fragen beantworten. Wie er das alles erklären kann, zum Beispiel. Und ob das, was bisher bekannt wurde, alles war.

Jakobs sagt: „Wir müssen das als Chance begreifen.“ Die verschiedenen Teile der Bauverwaltung müssten sich künftig einig sein, damit nicht einer dem Bauherrn erlaubt, was der Nächste verbietet. Und er sagt: Ja, es gebe Missstände. Aber man möge doch bitte auch die Kirche im Dorf lassen. Die Sache mit der Villa Gericke sei doch „ein krasser Einzelfall“.

Bisher war die Villa am Pfingstberg vor allem ein schönes altes Gebäude, Teil eines Geländes, das die Unesco als Weltkulturerbe ausgewiesen hat. Inzwischen ist sie ein selten grelles Beispiel für das unkontrollierte Walten einer Behörde.

Der Kopf des Professors macht eine Bewegung, die wie ein Schütteln aussieht, wenn man ihn darauf anspricht. Beinahe unmerklich, aber doch. Ulrich Battis sitzt im Foyer einer Coffee-Shop-Kette im Potsdamer Hauptbahnhof. Schwerste Verstöße der Behörde und des Bauherrn haben er und seine Mitarbeiter bei der Villa Gericke ausgemacht. Es sei „weitgehend am Gesetz vorbei gehandelt“ worden. Der Bauherr der Villa soll bei einem rund drei Millionen teuren Umbau anderthalb Hektar Garten gerodet, drei denkmalgeschützte Häuser umgebaut und Bäume gefällt haben. Die zuständige Denkmalpflegerin erteilte „denkmalrechtliche Genehmigungen“. Zudem wäre eine Baugenehmigung zwingend erforderlich gewesen. Die gab es offenbar nicht, was bis in die Spitze des Bauamtes nicht auffiel. Battis erzählt lebhaft, gerne mit Hilfe seines ganzen Oberkörpers. Sobald es um die Rolle einzelner Beteiligter im Fall der Villa Gericke geht, werden seine Auskünfte jedoch dünn. Die Antwort auf die Frage, ob es sich um ungeheuerliche Schlampereien der Baubehörden handelte oder womöglich um Korruption, überlässt er anderen.

Den Staatsanwälten zum Beispiel. Sie sollen jetzt klären, welche Rolle die frühere Vizechefin der Denkmalpflege, Johanna Neuperdt, gespielt hat. Neuperdt war nicht nur für die Villa Gericke zuständig, sie hat auch einen Mann. Dieser Mann betreibt eine Firma für Heizungs- und Sanitäranlagen. Ausgerechnet diese Firma bekam für die Villa Gericke reichlich Aufträge. Keine Peanuts. Im Jahr 2005 soll die Firma allein im Gartenhaus der Villa Gericke Sanitär- und Heizungstechnik für rund 60 000 Euro installiert haben.

Nach Aktenlage soll Johanna Neuperdt die von ihrem Mann gestellten Rechnungen geprüft haben. Von ihrem Ergebnis hing die Höhe der steuerlichen Abschreibung ab, die der Bauherr für die Sanierung geltend machen konnte. Ein Verdacht wabert deshalb durch die Rathausflure, es könnte ein Handel stattgefunden haben: Genehmigungen und Bescheide gegen Aufträge für den Gatten.

Sowohl Johanna Neuperdt als auch die Bauherren, Jörg Zumbaum und seine Frau, haben das bisher wiederholt zurückgewiesen. Zumbaum ist ein wortgewandter Mann, im Handumdrehen skizziert er seine Sicht der Dinge. Er wäre „sofort hellhörig geworden“, hätte Frau Neuperdt selbst ihren Mann empfohlen. „Die Konstellation: Frau Neuperdt, Denkmalamt, und Herr Neuperdt, Inhaber einer Installationsfirma“ habe er „niemals als bemerkenswert oder auffällig empfunden.“ Er habe, setzt Zumbaum süffisant hinzu, von der oft allzu gestrengen Denkmalschützerin „leider keine Vorteile gehabt“. Das sagt auch Johanna Neuperdt. Ja, sie habe alle Rechnungen geprüft. Streng. Und die ihres Mannes besonders. Der Vorwurf der Korruption sei eine ungeheuerliche Unterstellung. Vorteilsnahme habe es nie gegeben. „Wir haben nichts zu befürchten“, auch nicht jetzt, da die Staatsanwaltschaft eingeschaltet ist. Zudem trügen alle Abschreibungsbescheinigungen die Unterschrift des Stadtkonservators.

Nicht genug der Vorwürfe und Verdächtigungen. Jetzt kommt auch noch der Oberbürgermeister ins Spiel. Bei der Potsdamer Staatsanwaltschaft liegt seit dem 4. Januar eine Strafanzeige gegen ihn vor. Es geht um die Frage, ob er sich in einer Bußgeldsache im Zusammenhang mit der Villa Gericke der Haushaltsuntreue und Rechtsbeugung schuldig gemacht hat.

Die Denkmalschutzbehörde soll Zumbaum wegen Verstoßes gegen Denkmalschutzbestimmungen ein Bußgeld von einer halben Million Euro angedroht haben. Die musste er nie bezahlen. Wie kam es dazu? Hat der Oberbürgermeister etwa daran mitgewirkt? Keineswegs, sagt Jakobs, er habe keinen Einfluss genommen. Und Strafanzeigen gegen ihn seien „ein Dauerzustand“. Was die Villa Gericke betreffe, sei er mit sich und seinem Verhalten „im Reinen“. Er gehe fest davon aus, dass die Staatsanwaltschaft nicht gegen ihn ermitteln werde.

Unabhängig davon, was die Staatsanwälte beschäftigen wird, hat Battis der Bauverwaltung ein veheerendes Zeugnis ausgestellt. Mangelnde Rechtskenntnis, eklatante Führungsmängel, Organisationsmängel. Auch der Oberbürgermeister und seine Baubeigeordnete dürfen sich also angesprochen fühlen.

Ihre politische Zukunft steht auf dem Spiel. Auch deshalb sind die beiden miteinander derzeit schicksalhaft verbunden. Sie sind es, die Antworten finden müssen, warum in ihrer Baubehörde rechtsrelevante Informationen versickert sind. Warum Mitarbeiter nicht erkannt haben sollen, dass bestimmte Bauvorhaben einer Genehmigung bedurften. Sie beide, gemeinsam. Auch wenn man sich ein Team etwas anders vorstellt.

Jakobs hat öffentlich die politische Verantwortung übernommen. Die Frau, die nun in seinem Büro neben ihm sitzt, bisher nicht. Sie sagt: „Ich bin froh, dass der Oberbürgermeister hinter mir steht.“ Im Rathaus gilt es als offenes Geheimnis, dass viele in der Stadtspitze die Frau neben Jakobs lieber heute als morgen los wären, wenn es nur eine Mehrheit im Stadtrat gäbe. Erst vor drei Wochen hat Jakobs ein von SPD und CDU unterstütztes Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet: Sie soll die Rohfassung des Battis-Gutachtens vor dessen Veröffentlichung kopiert und in ihrem Ressort verteilt haben. Es gab nur vier nummerierte Kopien, die hatten geheim zu bleiben. Und von Kuick- Frenz gibt in diesem Gespräch im Zimmer ihres Chefs auf Drängen zu, zumindest in einem Punkt nicht einwandfrei gehandelt zu haben. Auch sie hat eine denkmalrechtliche Erlaubnis unterschrieben, die aus Sicht des Verfassungsrechtlers Battis rechtswidrig war: Villa Gericke, Außenanlagen, 13. Februar 2007.

Im Nachhinein suchen die Verwaltung und der Investor nach einem rechtlich einigermaßen sauberen Ausweg. Zumbaum soll nachträglich eine Baugenehmigung für seine Arbeiten an der Villa stellen. Die Verwaltung werde sie rückwirkend genehmigen. So weit der Plan der Stadt. Zumbaum aber will erst alle Vorwürfe gegen ihn juristisch prüfen lassen. Die Darstellungen lasse er so nicht auf sich beruhen. Die Stadt und „ein Professor Battis müssen sich an das Gesetz halten und dürfen nicht Interna falsch und dann noch in verleumderischer Art öffentlich machen“.

Die Affäre passt zu einer Serie von Pannen im Umgang mit dem bauhistorischen Erbe. Die quälend lange Debatte um den Potsdamer Landtagsneubau ist nur ein Beispiel. Zwei Abstimmungen über einen Bebauungsplan scheiterten. Befürworter und Gegner konnten sich nicht einigen, ob sie das Stadtschloss nachbauen oder moderne Architektur bevorzugen sollen. Das Ergebnis war: eine Blamage, weit über die Stadtgrenzen hinaus. Außerhalb des Oberbürgermeisterbüros, in der Stadt, wundern sich viele, weshalb die Öffentlichkeit sich nun wundert. Das System Potsdam werde schon lange praktiziert. Neu sei, dass es jetzt ein Fachmann nachgewiesen und festgehalten habe.

Die Folge der Behördenwillkür könnte sein, dass die Bereitschaft rechtstreuer Bauherren verloren gehe, sich für den Denkmalschutz zu engagieren. Auch das steht in seinem Bericht. „Mir ist klar, dass ein Schaden entstanden ist“, sagt Oberbürgermeister Jakobs. Er meint: für die Stadt. Aber er weiß, dass schon mal, vor gut zehn Jahren, eine Immobilienaffäre einen Potsdamer Oberbürgermeister das Amt gekostet hat. Horst Gramlichs Schicksal hing mit dem seines Baudezernenten Detlef Kaminski zusammen. Erst musste der Dezernent gehen, dann wurde Gramlich abgewählt.

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