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Kinder, Kinder. Für die Länderfusion wurden auch Kleinkinder eingespannt – zumindest bei der Werbung auf Großplakaten.

© picture alliance / dpa

Berlin-Brandenburg: Woran die Länderfusion wirklich scheiterte

Er war dabei, als vor 20 Jahren über die Länderfusion verhandelt wurde: Steffen Reiche, damals brandenburgischer SPD-Chef. In einem persönlichen Beitrag erinnert sich der heute 54-Jährige an die Gespräche. Und an den, der die Länderehe platzen ließ.

Am 5. Mai 2016 ist es 20 Jahre her, dass die Fusion der beiden Länder, von Stadt und Land scheiterte. Sie scheiterte an Berlin, aber in Brandenburg. Und sie hat bis heute sichtbare, spürbare Folgen. Das Scheitern hing nicht damit zusammen, dass Brandenburg, als es über die Fusion abstimmen sollte, schon innerhalb von fünf Jahren drei Fusionen durchlebt hatte, von denen jeder im Lande betroffen war.

Auf die deutsche Einheit am 3. Oktober war nach wenigen Jahren die Fusion der Kreise gefolgt. Denn das Land Brandenburg war 1952 nicht nur in drei Bezirke zerschlagen worden, sondern es war ihm gleich auch eine neue Kreisstruktur verordnet worden. So hatten wir 44 Kreise und kreisfreie Städte, die den demokratischen Zentralismus der DDR ermöglicht hatten, jetzt aber nicht mehr lebensfähig waren und nach intensiver Diskussion auf 14 Kreise und vier kreisfreie Städte reduziert werden mussten. Und auch die über 1800 Kommunen waren nicht lebensfähig, da sie gar keine Verwaltung finanzieren konnten. Auch sie waren in größere Einheiten fusioniert worden, aber bei weitem nicht ausreichend, denn über Jahre musste weiter fusioniert werden, um den Menschen eine effiziente Verwaltung zu garantieren.

Das Scheitern war im Vertrag besiegelt, ohne dass wir etwas dagegen tun konnten

Nein, das Scheitern war schon im Vertrag besiegelt, ohne dass wir etwas dagegen tun konnten. Es war das Datum, das in einer Nacht-ohne-Nebel-Aktion festgelegt worden war.

Als im Herbst 1994 zum zweiten Mal im neuen Land Brandenburg gewählt wurde, holte die SPD mit Manfred Stolpe eine absolute Mehrheit. Nachdem sich das neue Kabinett in Brandenburg unter Stolpe konstituiert hatte, wurde eine Regierungskommission unter Leitung der beiden Regierungschefs Diepgen und Stolpe gebildet, die die Aufgabe hatte, einen Vertrag zur Länderneugliederung zu erarbeiten.

Zehn Regierungsmitglieder, aus jedem Land fünf, trafen sich regelmäßig, um den Vertrag, der die Fusion beider Länder regeln sollte, zu erarbeiten und abzustimmen. Die Regierungschefs, die Chefs der Staats- bzw. Senatskanzlei, die Finanz- und die Innenminister waren dabei gesetzt. Brandenburg brachte den Wissenschafts- und Kulturminister mit, da dieser Landesvorsitzender der Regierungspartei SPD war und Berlin den Wirtschaftssenator. Nach einem halben Jahr war auch Dank der guten Vorarbeit der beiden Regierungs-Kanzleien ein guter Vertrag erarbeitet, der nur noch in einer Volksabstimmung in beiden Ländern eine Mehrheit finden musste.

Man konnte in Berlin nicht drauf verzichten

Die Fusion in Baden-Württemberg war noch ohne Volksabstimmung möglich gewesen. Wir in Brandenburg hatten jedoch erst im Frühsommer 1993 eine neue Verfassung durch Volksentscheid beschlossen, welche die Abstimmung der Bevölkerung für uns zur Pflicht machte. Und wenn in Brandenburg abgestimmt werden musste, dann konnte man in Berlin darauf nicht verzichten.

Da die Fraktionen in beiden Parlamenten dem Vertrag zuvor zustimmen mussten, mussten auch die Parteien auf ihren Parteitagen den Vertrag diskutieren und beschließen. Die Regierungskommission hatte als Abstimmungsdatum den Tag der Abgeordnetenhauswahl in Berlin im Herbst 1995 vorgeschlagen. Dann hätte man 1999 nach rund vierjähriger Vorbereitung die Fusion mit einer gemeinsamen Wahl zum neuen Parlament besiegeln können.

Um den Fahrplan zur Volksabstimmung einhalten zu können, trafen wir uns im Mai 1995 in Berlin auf Schwanenwerder im Aspen-Institut. Im Juni konnten dann die Parteitage darüber abstimmen und im Oktober die Bevölkerung in beiden Ländern.

Die Regelung war einfach wie bestechend

Die Fraktionsspitzen kannten den Text zwar, aber sie hatten noch nicht gemeinsam, partei- und länderübergreifend darüber diskutieren können. Das sollte nun auf der wunderbaren Insel in der Havel, die beide Länder durchfließt, geschehen.

Aus Berlin kamen die Partei- und Fraktionsspitzen der koalierenden CDU und SPD. Auch aus Brandenburg kamen die Vertreter beider Parteien, obwohl sie in Brandenburg nicht an der Regierung beteiligt waren. Die CDU-Vertreter fremdelten ein wenig miteinander, da sie kaum zusammen arbeiteten und sich wenig kannten, aber wir hielten es alle gemeinsam für besser, die CDU auch in Brandenburg in den Prozess einzubinden. Noch dazu, wo sie anders als die Linke dafür war.

Es war ein wunderbarer Frühlingstag und mancher lernte den schönen Ort an dem Tag erst kennen. Wir führten in Teilen dieselben Diskussionen wie schon in der Regierungskommission, denn es waren ja dieselben Interessen, die zusammengeführt und abgewogen werden mussten. Der Name des Landes, der Sitz von Landtag und Regierung, die Flagge – all das wurde wieder diskutiert, denn es war hoch symbolisch, zugleich konnte jeder etwas dazu sagen, hatte eine Meinung, die geäußert werden wollte und sollte. Auch die Frage des Übergangs der Schulden wurde noch einmal in Länge und Breite diskutiert, denn Berlin hatte in seiner langen Geschichte der geteilten Stadt natürlich weit höhere Schulden als Brandenburg, das es über 40 Jahre nicht gegeben hatte, das aber innerhalb von fünf Jahren schon erheblich nachgezogen hatte.

Wir müssen noch einmal reden

Die Regelung war so einfach wie bestechend. Jeder Berliner konnte so viele Schulden ins gemeinsame Land mitbringen, wie sie jeder Brandenburger zum Fusionszeitpunkt haben würde! Alles andere blieb in der Stadt Berlin, musste von der Stadt dann mit Zins und Tilgung bezahlt werden, wie von jeder anderen Gemeinde auch.

Wir hatten bei Kaffee und Suppe, bei wachsend guter Stimmung und in Gruppen der Länder bzw. Parteien bis spät in den Abend hineindiskutiert, als Diepgen zu uns lange nach 22.00 Uhr kam und zu Stolpe sagte: Wir müssen noch einmal reden.

Wir zogen uns zu viert ins Separee zurück. Die beiden Regierungschefs, die beiden Parteivorsitzenden und der Berliner Fraktionsvorsitzende. Stolpe, Diepgen, Landowsky und ich. „Ich habe es Dir gesagt, Eberhard, eigentlich will ich es nicht wirklich. Es muss ja wohl sein. Aber wenn du die Zustimmung der Fraktion willst, dann müsst ihr von dem Wahltag in Berlin weg gehen. Bleibt die Abstimmung so wie vorgeschlagen, gibt es keine Zustimmung von mir“, sagte Landowsky sinngemäß.

Wir verstanden ihn nicht wirklich. Denn der CDU würde die Zusammenlegung nicht schaden, warum auch? Ihre Wähler wollten ganz mehrheitlich die Fusion, niemand würde deswegen zuhause bleiben oder nicht CDU wählen.

Und wenn man es nicht mit der Abgeordnetenhauswahl in Berlin machte? Im Winter könnte man die Bevölkerung nicht an die Urnen rufen und vor der Wahl in Berlin im Oktober 1995 auch nicht. Also würde alles um Monate verschoben, der Vertrag würde zerredet werden.

Landowsky bestand auf der Verschiebung - das war der Todesstoß

Warum also diese Verschiebung? Klaus-Rüdiger Landowsky gab keine einleuchtende Auskunft. Er beharrte auf seiner Forderung, machte deutlich, dass er schon so viel geschluckt habe, hier aber nicht bereit sei, nachzugeben.

Wir redeten hin und her, ewig, obwohl alles gesagt war. Aber Landowsky bockte. Er war nicht bereit nachzugeben, er wollte sich wenigstens an dieser Stelle durchgesetzt haben. Wir redeten zu dritt auf ihn ein, aber je länger wir redeten, desto finsterer wurde er. Es ging auf Mitternacht zu, und den anderen, die auf uns warteten, war nicht wirklich verständlich zu machen, warum wir uns nicht einigen konnten. Wir resignierten. Kalender wurden gezückt, um ein anderes Datum festzulegen. Der erste Sonntag im Mai war der 5. – der Geburtstag von einem meiner Brüder und der von Karl Marx, wie ich deshalb wusste. Ich schlug ihn vor, als kleine Strafe für das Insistieren des Bankers auf einem anderen Termin als dem vorgesehenen.

So gingen wir dann in die Runde zurück, die nur noch nach Hause wollte, da man mehr nicht trinken konnte, wenn man noch selber nach Hause fahren wollte. Sie stimmte zu und die Fusion war gescheitert, ohne dass wir es wussten.

Denn nach der Wahl im Oktober 1995 in Berlin musste Berlin endlich handeln, wollte es nicht von seinen Schulden überwältigt werden. Bundesprogramme für den Osten, also auch für Ostberlin, waren ausgelaufen, ein neuer Länderfinanzausgleich noch nicht ausgehandelt und Berlin konnte nicht wie bisher einfach weiter Schulden aufnehmen.

Die Kürzungen waren schmerzhaft, aber verkraftbar

Dasselbe traf für Brandenburg zu. Wir hatten seit der Gründung des Landes 1990 pro Jahr rund drei Milliarden Mark Kredite aufgenommen, mit dem Argument des Finanzministers, dass sich das alles rentieren und amortisieren würde. Wer jetzt Infrastruktur schuf, konnte mit Wirtschafts-Ansiedlungen in den nächsten Jahren rechnen, die dann die Investition amortisierten. Aber Ende 1994 liefen zum Beispiel die Kulturprogramme des Bundes für die neuen Länder aus. Und was im Jahr 1995 noch nicht so ins Gewicht fiel, da die Kürzungen zwar schmerzhaft, aber verkraftbar waren, war 1996 nicht mehr zu übersehen. Die Kürzungen wurden bestätigt, ja verstetigt und erhöht. Der Berliner Kultursenator Roloff-Momin musste das Undenkbare machen – ein Theater schließen, in West-Berlin, das Schillertheater an der Bismarckstraße. Überall war zu spüren, dass die Sause der Nachwendejahre zu Ende war. Das Geld saß nicht mehr so locker.

Dass und was Berlin sparte, konnte man in Brandenburg lesen und sich aufgrund eigener Erfahrungen vorstellen, wie es ist. Und hatte eine zusätzliche Erfahrung: Immer wenn zu DDR-Zeiten in Berlin etwas fehlte, holte man es aus der Republik.

Arbeiter, die nach Berlin auf die Baustellen gingen, Konsumgüter, die nach Berlin ins Schaufenster gingen - um den Systemwettbewerb zu bestehen mit dem Pfahl im Fleisch, dem Schaufenster des Westens mitten im Osten. Und so würde es wieder werden! Davon war fast jeder Brandenburger zutiefst überzeugt.

Mit der Länderehe starb auch der ideale Flughafen

Nicht die späteren dummflotten Sprüche von Landowsky über die sozialistischen Wärmestuben im Osten, nicht die suboptimale Werbekampagne der Brandenburger Staatskanzlei, nicht die unabgestimmte Aktion des Brandenburger Landtagspräsidenten, allen Bürgern des Landes unkommentiert auf mausgrauem Papier in jeden Hausbriefkasten den Vertrag zu legen, hat in Brandenburg die Zustimmung gekostet. Es hat die Ablehnung bestärkt, das wohl. Aber gescheitert ist sie an der alten Erfahrung der Brandenburger, was passiert, wenn in Berlin Geld fehlt. Da konnte man noch so intensiv diskutieren, den Vertrag erklären – Berlin sparte und der Brandenburger wusste, wo man es herholt in einem gemeinsamen Land.

Der Kardinalfehler, der den Vertrag zum Scheitern brachte, war das auf Drängen von Landowsky um ein halbes Jahr verschobene Datum der Abstimmung.

Das haben wir in jener Nacht auf Schwanenwerder nicht gesehen. Ob es Landowsky gesehen hat, weiß ich nicht, halte es für möglich, aber kann es nicht beweisen. Aber dass es an seiner Intervention gescheitert ist, wurde am 5. Mai 1996 klar.

Und noch mehr scheiterte damit – ein für alle mal. Der Premium-Standort für einen neuen Flughafen war in einem großen, teuren Suchverfahren gefunden worden: Sperenberg im Süden von Berlin. Ein 24 Stunden-Betrieb wäre möglich gewesen, und endlose Erweiterungsflächen waren vorhanden. Der Transrapid, der in Shanghai ja funktioniert, hätte die Menschen in kurzer Zeit von Berlin nach Sperenberg gebracht. Man hätte am Alexanderplatz schon sein Gepäck abgeben können und einchecken und wäre in einer Viertelstunde in Sperenberg gewesen und hätte dann in alle Welt fliegen können.

Ausbaden müssen es die folgenden Generationen

Aber da waren nun die Berliner zu verstehen, diese Entscheidung ist rational. Gibt es kein gemeinsames Land, dann muss der Flughafen in Berlin-Nähe sein, denn nur dann werden dauerhaft die, die am Flughafen arbeiten, auch teilweise in Berlin wohnen. Nur dann wird Wertschöpfung auch in Berlin stattfinden, werden die Berliner Stadtgüter auch mit für den Flughafen gebraucht. In einem gemeinsamen Land hätte man der Vernunft und der gemeinsamen Landesplanung den Vorrang geben können, aber so musste Berlin für sich sorgen und Eberhard Diepgen stimmte mit Bundeskanzler Kohl für Schönefeld. Eine verheerende Entscheidung bis heute. Wie wir heute besser als je zuvor wissen.

Juristisch ist Klaus-Rüdiger Landowsky nichts anzuhaben. Genau wie bei der im Vergleich mit dieser Entscheidung „Petitesse“ genannten oder im Banker-Deutsch Peanuts des Bankenskandals von Berlin, die ihn das Amt und die Partei die Mehrheit gekostet hat.

Aber er steht in Verantwortung dafür, er hat diese fatale Entscheidung allein, gegen alle ertrotzt und hat Recht bekommen! Ausbaden aber müssen es die folgenden Generationen. Niemand war in Brandenburg mehr so mutig wie Stolpe, weder Platzeck, der, als er noch keine Verantwortung trug, sogar ein Nordland wollte, noch Dietmar Woidke, der so weit weg von Berlin wohnt, dass er emotional damit nichts verbunden hat. Deshalb wird es erst im Rahmen einer gesamtdeutschen Länder-Neugliederung gelingen, die Region zu fusionieren. Und die kommt wohl erst, wenn die Situation so kritisch geworden ist, dass wir die Bundesrepublik Europa gebildet haben – nach dem großen Kladderadatsch des Bankensystems.

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