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Glücksvögel. Von dem „Blauen Biegener“ und seiner weißen Braut geht irgendwie ein Zauber aus, sagen Dorfbewohner und Besucher. Inzwischen sind die Jungen geschlüpft – wie viele, weiß noch keiner. Für Ornithologen steht aber fest, dass die Küken nicht so blau sein werden wie ihr Papa. Sein Zustand wird sich wohl erst mit der nächsten Mauser ändern. Foto: ddp

© ddp

Biegen: Das blaue Wunder

Seit der gefärbte Storch in Biegen landete, scheint dort vieles möglich – nicht nur wegen der Touristen. Und die können in dem Dorf, das einst einem russischen Fürsten gehörte, auch uralte Kunst entdecken.

Von Sandra Dassler

Biegen - Der Storch war für Martin Pfeiffer schon immer ein besonderes Tier. Früher hat er ihn sogar beneidet. Vor allem im Spätsommer, wenn der majestätische Vogel mit seiner Gefährtin das Nest im kleinen Dörfchen Biegen etwa 20 Kilometer westlich von Frankfurt (Oder) wieder verließ. „Der war frei und durfte in die Welt fliegen“, sagt Pfeiffer, „sogar bis nach Afrika. Davon konnte man als DDR-Bürger nur träumen.“

Nachdem sich die Zeiten geändert hatten, erfüllte sich Martin Pfeiffer viele Träume, auch den von Afrika. Seine Welt blieb trotzdem Biegen – und der Storch, zumindest fünf Monate im Jahr. Schließlich lebten sie in dieser Zeit nur wenige Meter Luftlinie voneinander entfernt: der Storch auf dem Schornstein der alten Gärtnerei, Tischlermeister Pfeiffer in seiner Werkstatt im Biegener Gutshof mit der Gaststätte „Zur süßen Last“.

Die war lange geschlossen, weil die Gäste fehlten, aber seit diesem Frühjahr, genauer gesagt: seit Ostern, ist alles anders. Denn da kam der Storch mit blauem Gefieder aus Afrika zurück und machte das kleine Dorf Biegen berühmt.„Sogar in der Karibik stand es in den Zeitungen“, sagt Pfeiffer: „Das haben mir Gäste aus Berlin erzählt, die gerade dort waren.“

Der 47-jährige Tischlermeister hat die „Süße Last“ wieder geöffnet, weil Tausende von Besuchern nach Biegen pilgern, um den blauen Storch zu sehen. Die wollen essen und trinken, und so schafft der Storch neue Arbeitsplätze.

Ronny Schultze zum Beispiel, gelernter Bäcker und umgeschulter Koch, war seit 2008 arbeitslos. Jetzt kocht und kellnert er in der „Süßen Last“, und manchmal läuft er in der Pause die paar Schritte zum Schornstein. Der „Blaue Biegener“, wie der Storch genannt wird, steht seit einigen Tagen im Wechsel mit seiner Partnerin meist aufrecht im Nest. Ab und an senkt er den Schnabel, um etwas im verborgenen Boden des Nestes zu richten.

Für Elfriede Piefke ist das ein untrügliches Zeichen. „Die Jungen sind geschlüpft“, sagt die 82-Jährige, die seit 1984 Buch über die Biegener Storchenpaare führt: „Ist ja auch kein Wunder, kaum war seine Braut, übrigens ganz in Weiß, gelandet, haben die sich schon geliebt.“ Wie viele Küken im Nest sind, hat Elfriede Piefke noch nicht herausgefunden. „Zwischen zwei und vier“, schätzt sie, so wie in den vergangenen Jahren.

Hellblau werden die Jungtiere aber nicht sein, darüber sind sich alle einig. Die Färbung des Storches kam von außen und wird nicht vererbt. Was sie hervorgerufen hat, ist immer noch nicht klar. Ornithologen sind sich aber sicher, dass der Storch auf einer Mülldeponie zwischen Südafrika und Deutschland ein Farbbad genommen haben muss. Das Blau verklebt jedenfalls die Federn nicht, und es ist nicht wasserlöslich, da kann es regnen, so viel es will.

Schon sind zwei weitere, wenn auch nicht ganz so blaue Störche in Norddeutschland aufgetaucht, sie strafen all jene Lügen, die behaupteten, die Biegener hätten den Storch selbst angemalt, um ein wenig Werbung für sich zu machen. Dem ehrenamtlichen Bürgermeister Manfred Wilke trauen das einige zu. „Blödsinn“, lacht der 53-Jährige: „Obwohl mich meine Amtskollegen aus den Nachbargemeinden schon beneiden.“

Aber irgendwie, meint Wilke, der neben seinem Ortsvorsteher-Amt noch Installateurmeister ist, haben die Biegener das Storchenglück längst auch verdient. Immerhin sind von den etwas über 400 Einwohnern mehr als 70 Kinder, das ist ein sehr gutes Verhältnis – jedenfalls für das Land Brandenburg, das nach wie vor viele junge Menschen verlassen. „Aber“, sagt Wilke, „obwohl viele in Berlin oder Eisenhüttenstadt arbeiten, sind die Leute hier sesshafter als anderswo.“

„Es ist etwas Besonderes an den Biegenern“, sagt auch Pfarrer Andreas Althausen, der für interessierte Besucher auch gerne mal die uralte Kirche St. Nicolai Andreas aufschließt, die bereits kurz nach der Gründung des Dorfes Bigyn im Jahr 1253 gebaut wurde. „Hier haben sich schon immer die Biegener Christen verschanzt, während ringsum im Land die Heiden wohnten.“

Althausen schmunzelt. Aber es lasse sich nun mal nicht wegdiskutieren, dass es hier weitaus mehr Kirchenangehörige gibt als in den anderen Dörfern, sagt er. Vielleicht liegt es an der Geschichte: Biegen war schon berühmt, als noch niemand über Frankfurt (Oder) sprach, und gehörte zeitweilig Alexander Danilowitsch Fürst Menschikow, dem besten Freund von Peter dem Großen.

Althausen weiß ganz genau, dass die Kirche St. Nicolai Andreas ein weitaus größeres Wunder ist als der blaue Storch. Nicht nur wegen der Sauer-Orgel und wegen des Spätrenaissance-Altars, der mit der aus Sandstein gearbeiteten Passionsgeschichte einzigartig in der Region ist, sondern vor allem wegen der Wandmalereien aus der Zeit um 1400 – mit Judaskuss und Weltgerichts-Christus. Als sie die Fresken freilegten, haben sie geleuchtet und gestrahlt, jetzt sind sie verblasst, eine Restaurierung wäre nötig. Deshalb haben sich Pfarrer Althausen, Bürgermeister Wilke und Restaurantbesitzer Pfeiffer zusammengetan. In der „Süßen Last“ und überall im Dorf wie auch in der Umgebung werden nun Ansichtskarten mit dem blauen Storch verkauft. Ein Teil des Erlöses soll für die Restaurierung der Fresken verwendet werden.

Die Besucher kaufen die Karten gern, überhaupt geht von dem „Blauen Biegener“ offenbar eine Art Zauber aus, denn fast alle, die hierherkommen, sind freundlich und irgendwie glücklich. Vor allem die Kinder erfinden immerfort neue Geschichten, wie der Storch blau wurde. Und auch Martin Pfeiffer, alleinerziehender Vater, muss seinen drei kleinen Jungen jeden Abend davon erzählen.

Auch deshalb hat er jetzt ein Kinderbuch geschrieben: „Der blaue Storch“ – was sonst? Das Buch soll in den nächsten Tagen auf den Markt kommen, denn natürlich spielt Afrika eine Rolle und die Fußball-Weltmeisterschaft, irgendwie passt das ja auch alles wunderbar zusammen.

In Südafrika hat man angeblich bereits Interesse angemeldet, das Kinderbuch wird ins Englische und Französische übersetzt, und falls es ein Bestseller wird, hat Pfeiffer schon T-Shirts drucken lassen und Basecaps, auf denen der blaue Storch zwischen den Flaggen von Deutschland und Südafrika steht. Neuerdings gibt es auch Storchengeist und Storchenbrand, Marke „Blauer Biegener“, und durch den Verkauf der Karten sind schon ein paar hundert Euro zusammengekommen.

„Für das Dorffest und für die Restaurierung der Kirchenfresken“, sagt Pfarrer Althausen und lächelt: „Diesen Storch hat uns wirklich der Himmel geschickt.“

Informationen unter www.der-blaue-storch.de

www.kirche-biegen.de

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