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Bildungsminister Rupprecht im Interview: „Das Schüler-Bafög wird Nachahmer finden“

Bildungsminister Holger Rupprecht verteidigt das Fördergesetz, das heute im Landtag zur Abstimmung steht.

Brandenburg führt als erstes Land ein Schüler-Bafög für Abiturienten aus sozial schwachen Familien ein. Heute wird der Landtag darüber abstimmen. Trotz einhelliger Kritik ziehen Sie es durch, warum?

Ich bin davon überzeugt. Ich bin sicher, dass die Kritiker bald verstummen werden. Es ist ein guter Beitrag für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Es war ein zentrales Wahlversprechen der SPD. Die SPD hat die Wahl gewonnen und steht nun beim Wähler im Wort.

Auch Wahlversprechen können unausgegoren sein. Glauben Sie wirklich, dass mehr Sechstklässler auf Gymnasien wechseln, wegen 100 Euro monatlich ab Klasse 11?

Das ist das große Missverständnis. Es ist eben nicht in erster Linie für Gymnasiasten gedacht. An den Gymnasien - das hat uns ja die letzte Pisa-Studie ins Stammbuch geschrieben – lernen zumeist Kinder aus Familien, in denen es auf die 50 oder 100 Euro nicht ankommt. Es gibt aber, das wird oft vergessen, noch einen anderen Weg zum Abitur. Die meisten Schüler aus sozial schwachen Familien findet man an Oberschulen und Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe, in denen das Abitur nach 13 Jahren abgelegt wird. Mir geht es vor allem um begabte Kinder dieser Schulen, deren Lebensplanung wegen der sozialen Situation der Eltern oftmals so aussieht, nach der 10. Klasse eine Lehre zu machen und Geld zu verdienen. Das Schüler-Bafög soll vor allem ein Anreiz für Oberschüler sein, das dreijährige Abitur zu erlangen.

Aber etwa jedes zweite Schüler-Bafög wird an Gymnasiasten gezahlt werden!

Ja, aber mir geht es nicht nur um bessere Abitur-Quoten, sondern auch um eine Entlastung von Familien, die es bitter nötig haben. Es ist auch eine sozialpolitische Maßnahme …

…. die ausgerechnet an denen, die es am meisten bräuchten, wohl vorbeigeht: Wer Hartz IV bezieht, fällt mit dem neuen Bundesgesetz zum 1. 1. 2011 wohl wieder raus.

Das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bereitet uns Probleme. Ich hoffe immer noch, dass das Landes-Bafög nicht mit Hartz IV verrechnet wird. Wenn das geschieht, werden wir uns für diese Betroffenen - das wäre etwa jeder Dritte – eine andere Lösung einfallen lassen. Aber: Zwei Drittel der Betroffenen sind Kinder aus Arbeitnehmerfamilien, die es nicht so dicke haben. Als Faustregel gilt: Anspruch hat, wer bei einem Kind weniger als 2000 Euro, bei zwei Kindern weniger als 2500 Euro Haushaltsnettoeinkommen hat.

Trotzdem, von sich aus hätte Ihr Ministerium das Schüler-Bafög nicht eingeführt.

Die Idee wurde auf einer Fraktionsklausur geboren. Ich hatte zunächst einen schwierigeren Zugang, weil ich Schüler-Bafög mit meiner Ost-Vita gar nicht kannte.

Ein Schüler-Bafög, das die Landes-SPD aus der Schublade holte, gab es in der Bundesrepublik in den 70ern . Es wurde unter Helmut Kohl abgeschafft. Kann man das auf heutige Ost-Verhältnisse übertragen?

Die Zeiten haben sich vielleicht geändert, das Grundproblem und die Zielgruppe sind ähnlich. Es geht um Familien, die sich fragen, ob sie es sich leisten können, ihrem Kind das Abitur zu ermöglichen und zum Studium zu schicken.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rechnet Ihnen vor, dass man von dem Geld jährlich einhunderttausend Förderstunden geben könnte.

Ich finde solche Aufrechnungen fatal. Es wird der Eindruck erweckt, als ob wir nichts anderes machen. Wir stellen aber neue Lehrer ein, verbessern die Kitas, haben den Schulsozialfonds – und führen auch noch das Schüler-Bafög ein. Das alles ergibt einen Gesamtsinn.

Droht ein fulminanter Fehlstart, wie die Kommunen warnen?

Es droht kein Fehlstart. Es gibt Probleme mit dem Zeitplan wegen der Software. Die Auszahlung wird wohl erst Anfang November beginnen können. Das ist aber kein Drama. Niemandem geht Geld verloren.

Brandenburg steht allein. Sind Sie enttäuscht, dass nicht einmal Berlin mitzieht?

Dass Berlin kein Schüler-Bafög einführt, überrascht mich nicht. Das Schüler-Bafög kostet Geld. Und Berlin setzt da eben andere Prioritäten, etwa in den Kindertagesstätten. Ich merke in der Kultusministerkonferenz aber, dass das Projekt mit Interesse verfolgt wird. Natürlich will man erst einmal abwarten, wie es in Brandenburg funktioniert. Ich bin mir aber sicher: Wenn das Modell ein Erfolg wird, wenn die Kritiker verstummt sind, wird das Schüler-Bafög Nachahmer in anderen Bundesländern finden.

Das Interview führte Thorsten Metzner.

Holger Rupprecht, Jahrgang 1953, SPD, ist seit 2004 Bildungsminister in Brandenburg. Vorher war er Schuldirektor. Bei der Landtagswahl 2009 holte er ein Direktmandat in der Prignitz.

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