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Brandenburg: Bräutigam und die Gefängnisaffäre

POTSDAM ."Justizminister Hans Otto Bräutigam kann einem nur noch leid tun", sagen inzwischen sogar Oppositionspolitiker.

POTSDAM ."Justizminister Hans Otto Bräutigam kann einem nur noch leid tun", sagen inzwischen sogar Oppositionspolitiker.Kaum eine Woche vergeht, ohne daß der SPD-nahe Minister nicht wegen neuer Gefängnis-Affären in die Schlagzeilen gerät.In Regierungskreisen ist man über die schleichende Demontage des Stolpe-Vertrauten im höchsten Maße besorgt.Zwar würde niemand offen Kritik an dem angesehenen Feingeist und Diplomaten alter Schule äußern.Hinter vorgehaltener Hand wird allerdings kein Hehl daraus gemacht, daß Bräutigam "ein sehr guter Bundes- und Europaminister, aber kein überzeugender Justizminister ist".Ihm fehlten, so ein Kabinettsmitglied, "Härte und Durchsetzungskraft".

Die Sorge der SPD ist, daß vor der Landtagswahl "noch weitere Minen" hochgehen könnten.Nach der durch unglaubliche Pflichtverletzungen des Wachpersonals ermöglichten Flucht des Hintze-Entführers Serow aus der Potsdamer JVA hatte Bräutigam Ministerpräsident Manfred Stolpe seinen Rücktritt angeboten, den dieser jedoch ablehnte.Wenig später, am 7.Februar, brachen zwei rumänische Schwerkriminelle unter kaum weniger dubiosen Umständen in Brandenburg (Havel) aus: Entgegen offiziellen Beteuerungen waren den Behörden konkrete Fluchtabsichten, wie aus dieser Zeitung vorliegenden Unterlagen hervorgeht, schon im September 1998 bekanntgeworden - ohne daß die Rumänen jedoch in verschärfte Einzelhaft genommen wurden.Trotzdem sah Bäutigam keinen Rücktrittsgrund, weil die Flucht der Rumänen durch eine "Verkettung unglücklicher Umstände" ermöglicht worden und Fehlverhalten von Bediensteten anders als bei Serow nicht festzustellen sei.

Jetzt ist ein Wächter der JVA Brandenburg vom Dienst suspendiert worden, weil er im dringenden Verdacht steht, den Ausbrechern geholfen zu haben.Er soll das Sägeblatt, mit dem die inzwischen in Polen Festgenommen das Zellengitter durchsägten, besorgt und die Wachen abgelenkt haben.Anderswo müßte ein Minister nach diesem erneuten Fehlverhalten von Bediensteten wohl zurücktreten, räumen sogar SPD-Politiker ein.In Brandenburg würden aber andere Maßstäbe gelten.Oftmals würden in der Regierungspartei persönliche Verdienste und Solidarität über politischer Verantwortlichkeit stehen.Deshalb rechnet im Landtag kaum jemand mit Bräutigams Rücktritt.Dabei sind sich Insider einig, daß die nur wegen der jüngsten Ausbrüche bekanntgewordenen Mißstände im Strafvollzug "die Spitze des Eisbergs sind."

Normalerweise dringen Fälle, in denen Bedienstete mit Gefangenen kungeln, überhaupt nicht an die Öffentlichkeit.So sind dem Justizministerium 1993/94 unglaubliche Zustände in der JVA Oranienburg bekanntgeworden, ohne daß Landtag, geschweige Öffentlichkeit informiert wurden: In einem dem Tagesspiegel vorliegenden Bericht der Staatsanwaltschaft Neuruppin von 1994 heißt es: Es bestünden nunmehr tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß der Anstaltsleiter es unterlassen habe, "gegen Straf- und Untersuchungsgefangene vorzugehen, die ihre Zellen mit nazistischen Symbolen (u.a.Hakenkreuzfahnen etc.) ausschmückten und in den Zellen und Gängen dieser JVA den Hitlergruß entrichteten".Der Anstaltsleiter habe einen Gefangenen quasi zum Bereichsleiter gemacht und ihm zahlreiche Vergünstigungen gewährt bis hin zu Bordellbesuchen und Saufgelagen im Knast.Das brisante daran: Der betreffende Anstaltsleiter Wolf-Dietrich Voigt war bis zur Flucht Serows auch Leiter der JVA Potsdam und leitet mit dem Segen Bräutigams nach wie vor die JVA Oranienburg.

Die Opposition wirft Bräutigam Desinformationspolitik vor.Der Wächter, der den Rumänen offenbar beim Ausbruch geholfen hat, sei schon am 25.Februar verhaftet worden.Aber noch am 4.März habe es JustizStaatssekretär Rainer Faupel nicht für nötig gehalten, den mit dem Ausbruch befaßten Rechtsausschuß zu informieren.Dabei wirft dieser ein völlig neues Licht auf die Umstände der Flucht und widerlegt Bräutigams ursprüngliche Behauptung, es gebe kein Fehlverhalten von Bediensteten.Begründung für das lange Schweigen: "Es mußte ...vermieden werden, daß die entflohenen Gefangenen durch derartige Meldungen Verdacht hinsichtlich eingeleiteter Verfolgungsmaßnahmen schöpfen können." Abgesehen davon, daß die Rumänen am 4.März in Polen gefaßt wurden, die Mitteilung über ihren mutmaßlichen Helfer aber erst am 10.März erfolgte, schütteln selbst SPD-Parlamentarier über diese "fadenscheinige Ausrede" den Kopf.Hinter vorgehaltener Hand heißt es in SPD-Kreisen, daß man das halbe Jahr bis zur Landtagswahl noch überstehen müsse."Dann muß ein neuer Justizminister her, der aufräumt."

MICHAEL MARA

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