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Brandenburg: Bunkermord-Prozess: Könnte die kleine Julia noch leben?

Möglicherweise hätte der Mord an der kleinen Julia, deren tote Mutter Ende Juli vergangenen Jahres in einem Bunker bei Brandenburg/Havel gefunden wurde, verhindert werden können. Mit dieser Andeutung hat Richterin Gudrun Richardt am Montag blankes Entsetzen unter den Prozessbeobachtern im Potsdamer Landgericht ausgelöst.

Möglicherweise hätte der Mord an der kleinen Julia, deren tote Mutter Ende Juli vergangenen Jahres in einem Bunker bei Brandenburg/Havel gefunden wurde, verhindert werden können. Mit dieser Andeutung hat Richterin Gudrun Richardt am Montag blankes Entsetzen unter den Prozessbeobachtern im Potsdamer Landgericht ausgelöst. Ihre Vermutung stützt sich auf die Aussage eines Zeugen, er habe bereits Ende Juni/Anfang Juli einem Polizisten von Merkwürdigkeiten am Bunker berichtet - damals soll Julia noch gelebt haben. Offenbar verlief der Hinweis des Mannes jedoch im Sande.

Ein auf dem Boden liegender Kopf und eine Hand waren das Letzte, was Harald P. noch erkennen konnte, bevor seine Taschenlampe erlosch. Mit dem letzten schwachen Licht suchte er den Weg aus dem Labyrinth des Bunkers. "Vielleicht war es eine glückliche Fügung des Schicksals, dass Sie nicht mehr gesehen haben", sagt der Vorsitzende Richter Klaus Przybilla. Denn das, was dem Nachbarn verborgen geblieben war, sollte weit grausiger sein als das, was er erkennen konnte.

Harald P. war Zeuge am gestrigen siebten Verhandlungstag im "Bunkermord-Prozess" von Brandenburg (Havel). Er wohnt in Göttin, nur ein paar Schritte von dem alten Bunker entfernt, in dem im vergangenen Juni die 26-Jährige Heidi F. ermordet wurde. "Ich habe da sicherheitshalber immer mal eine Runde gedreht", sagt der Zeuge. An jenem Sommernachmittag ging er, weil er Qualm gerochen hatte. Es stank immer im Bunker, wo Jugendliche wilde Partys veranstalteten und manchmal Vagabunden hausten. Aber an jenem Tag war der Geruch stärker. Und widerlicher: "eine Mischung aus Rauch und Verwesung", erinnert sich P. Der Gestank kam aus einem Verlies, dessen Eingang - anders als bei früheren Kontrollgängen des Herrn P. - mit einer schweren Platte verrammelt war. Die Platte war von innen schräg gegen den Rahmen gelehnt, so dass unten rechts und links ein Spalt blieb. Durch diesen leuchtete Herr P.

Er wollte keine Panik machen, denn das Wenige, was er erkannt hatte, hätte auch zu einer Puppe oder einem schlafenden Landstreicher gehören können. Aber er erzählte einem Polizisten aus der Nachbarschaft von seiner unheimlichen Entdeckung. Der Beamte hatte diese vagen Informationen laut Staatsanwaltschaft auch weitergeleitet. Die Sache verlief zunächst im Sande; erst zwei Wochen später öffnete die Polizei das Verlies. Und fand Heidis von Stichen und Tritten zugerichtete, inzwischen verweste Leiche. Ihre Mörder hatten Feuer gelegt, daher der Brandgeruch. Und sie müssen einen Hinterausgang gekannt haben, weil der Eingang zum Verlies von innen versperrt war.

In der Verhandlung vor dem Potsdamer Landgericht geht es allerdings nicht nur um den Mord an Heidi F., sondern auch um den an ihrer dreijährigen Tochter Julia. Für den Tod des Mädchens gibt es bis heute keine Beweise, nur Indizien. Das Kind ist wohl erst Wochen nach der Mutter umgebracht worden. Anders gesagt: Es könnte noch gelebt haben, als P. der Polizei seine Beobachtungen gemeldet hat. Also hätte es vielleicht aus der "Obhut" seiner mutmaßlichen späteren Mörder gerettet werden können, wenn die Polizei rechtzeitig die Fährte verfolgt hätte. Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb sogar wegen fahrlässiger Tötung des Kindes gegen Unbekannt ermittelt. Das Verfahren wurde aber eingestellt, weil nicht zu klären war, wo welche Information versickert ist und ob die Polizei über die Leiche der (nicht als vermisst gemeldeten) Mutter überhaupt auf die Spur des Kindes hätte kommen müssen.

Die Einzigen, die Genaueres über das Schicksal der kleinen Julia wissen könnten, sind die Angeklagten Stephan T. (19) und Ronny S. (27). Die beiden Hauptangeklagten beschuldigen sich gegenseitig der Tat. Der Jüngere gab an, der 27-Jährige habe Julia am 22. Juli ermordet. Dagegen sagte der mitangeklagte 27-Jährige, der 19-Jährige habe ihm gegenüber einmal geäußert, dass er "Julia an die Schweine verfüttert" habe. Das Kind war nach dem Mord an der Mutter - laut Anklage am 16. Juni 2000 - überwiegend von dem 19-Jährigen betreut worden. Die Angeklagten könnten wegen der Tötung von Heidi F. gemeinschaftlich verurteilt werden - unabhängig davon, wer von ihnen welchen Anteil am Sterben der Frau hatte. Der Tod der kleinen Julia könnte dagegen ungesühnt bleiben. Am Mittwoch soll der Prozess auch mit dem Gutachten zur Persönlichkeit des 19-Jährigen fortgesetzt werden. Das Urteil wird für den 23. Mai erwartet.

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