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Brandenburg: Da schwingt sich was auf

Die Schiffbauergasse in Potsdam wird zum Kultur-Areal. Dort residieren Softwarefirmen und Schauspieler, Tänzer und Autodesigner

Das knallrote Dach leuchtet von weitem – auf drei Ebenen schwebt es über dem neuen Hans Otto Theater. Es ist ein ungewöhnlicher Hut, den der preisgekrönte Kölner Architekt Gottfried Böhm da entworfen hat. Dabei würde der Betonbau an diesem Ort schon ohne diese Palmenblättern ähnliche Bedeckung ungewöhnlich genug daherkommen – inmitten sanierter Architekturdenkmäler. Das neue Vorzeigeobjekt der Potsdamer Kulturszene steht zwischen Reithallen und Pferdeställen, die der preußische Baumeister Carl-Friedrich Schinkel einst für Soldaten entworfen hat, neben einer alten Mühle, einer Maschinenhalle und einem Gasometer. Und er könnte so etwas wie ein Vorbote sein für eine neue Zeit, die an der „Schiffbauergasse“ anbricht.

Von Berlin aus gesehen gleich hinter der Glienicker Brücke gelegen, erstreckt sich das Areal über ein gut zwölf Hektar großes idyllisches Wassergrundstück. Nahezu quadratisch ist es, besitzt an zwei Seiten Uferwege, die sich über einige hundert Meter erstrecken. In der Theaterpause müsste man schon rennen, um einmal drum herumzukommen. Nach der Wende hatte sich hier in dieser Gegend zunächst nicht viel getan. Die alten Gebäude gammelten vor sich hin oder verfielen. Doch irgendwann kamen die Künstler und fanden hier ein neues Zuhause – und Jahr für Jahr wurden es mehr neue Domizile.

Martin Schmidt-Roßleben ist ein Mann mit wenig Haar und viel Energie, er ist der Stadtbeauftragte für die Schiffbauergasse und kennt das Konzept, das die Stadt hier ausprobieren möchte, wie kein Zweiter. Denn auch die Stadt Potsdam hat irgendwann erkannt, dass dieser Ort ein Eigenleben entwickelt hat.

Der Stadtbeauftragte glaubt, dass dieses Konzept in Deutschland einmalig ist. Er sitzt auf dem „John Barnett“, einem Schiffsrestaurant, und blickt den Segelbooten nach. Auf dem umfunktionierten Lastkahn treffen Schauspieler und Software-Vertreiber, Tänzer und Autodesigner, Künstler und Galeristen aufeinander. Was in Potsdam entsteht, lasse sich nur mit dem Museumsquartier Wien und der Westergasfabriek in Amsterdam vergleichen, sagt er: „Die Stadt hat für die Potsdamer Kulturmacher Militär- und Industriebaudenkmäler saniert – und nach Unternehmen gesucht, die sich daneben in der Schiffbauergasse ansiedeln.“

Kultur, Landschaft und Baudenkmäler könnten letztlich auch die Wirtschaft beleben, so habe sich das die Stadt gedacht. Die Idee ist nicht neu. Schmidt-Roßleben bezieht sich da auf den amerikanischen Stadtsoziologen Richard Florida: Wo Kultur ist, lassen Unternehmen nicht lange auf sich warten, sagt der.

Und so kam es auch. Selbst wenn die Wirtschaft erst ein Jahrzehnt später der Kultur an die Schiffbauergasse folgte. Als die Potsdamer Künstler Anfang der neunziger Jahre, nachdem die NVA und die Rote Armee die bis dahin militärische Sperrzone verlassen hatten, in die leer gewordenen Kasernen und Industrieanlagen zogen, veranstalteten sie Partys, Konzerte, Lesungen, Ausstellungen.

Das erste große Unternehmen kam 2003. Der amerikanische Softwareriese Oracle zog in den restaurierten, sieben Stockwerke in den Himmel ragenden Koksseperator aus rotem Backstein. Im selben Jahr begann VW mit dem Bau eines Designcenters – Kultur trifft Wirtschaft. Als mehr und mehr Künstler und Unternehmer in die Schiffbauergasse zogen, musste zugleich Geld für die Sanierung her. 1999 beschlossen die Potsdamer Stadtverordneten, das Gelände am Tiefen See zu einem Ort zu entwickeln, an dem nicht nur die Künste blühen, sondern mit ihr die Wirtschaft, der Tourismus. Aber auch die Immobilienpreise.

Seitdem sind 92 Millionen Euro an öffentlichen Geldern in die Schiffbauergasse geflossen. Noch einmal den gleichen Betrag haben private Unternehmer investiert, schätzt der Stadtbeauftragte. Nicht nur die meisten Gebäude sind inzwischen hergerichtet, es gibt jetzt auch eine Uferpromenade, die um das Grundstück führt, einen Schiffsanleger und eine Segelschule. Aus der Mühle wird ein italienisches Restaurant. Im September hebt sich im neuen Theaterhaus am See zum ersten Mal der Vorhang. „Weiche Standortfaktoren“ nennt Martin Schmidt-Roßleben das Angebot an Kultur und Freizeitaktivitäten. „Wir konnten zwischen Berlin, Köln und München wählen“, sagt Helene Lengler von Oracle-Potsdam, „und haben uns für Potsdam entschieden.“ Auch weil die Software-Vertreiber hier direkt vor der Bürotür segeln und joggen, aber auch Tanz-, Theater- und Musikveranstaltungen besuchen können.

VW suche für seine Designer vor allem nach einer Arbeitsumgebung, die modern sei, die brodele und inspiriere, sagt Jörg Walz, Sprecher des Autokonzerns. Das gelte für alle Städte, in denen der Volkswagen-Konzern Studios einrichte, für Los Angeles, Barcelona – und eben auch für Potsdam. Nun entwickeln Autodesigner ihre Visionen für die Fahrzeuge der Zukunft in der weißen Turmvilla an der Schiffbauergasse.

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