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Brandenburg: Den ganzen Tag kostenlos Bus fahren In Templin gilt der Nulltarif – viele lassen ihr Auto stehen

Von Christoph Villinger Templin. „Sie brauchen hier kein Ticket“, sagt lächelnd der Busfahrer beim Einsteigen in den Bus.

Von Christoph Villinger

Templin. „Sie brauchen hier kein Ticket“, sagt lächelnd der Busfahrer beim Einsteigen in den Bus. Seit über vier Jahren fahren alle Benutzer des öffentlichen Nahverkehrs in Templin „schwarz“, und dies ganz legal. „Fahrscheinfreier Stadtbusverkehr“ heißt das Projekt in dem auch „Perle der Uckermark“ genannten Erholungsort etwa 70 Kilometer nördlich von Berlin. Zwei Hauptlinien und zwei Nebenlinien umfasst der Stadtverkehr. Der Zentrale Omnibusbahnhof vor der komplett erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer wird von allen Linien angefahren.

Seit der Einführung des Nulltarifs vor vier Jahren haben sich in Templin die Fahrgastzahlen im Öffentlichen Nahverkehr auf das Fünfzehnfache erhöht, von 41 000 Fahrgästen im Jahr 1997 auf über 600 000 im Jahr 2001. Etwa ein Viertel der neuen Fahrgäste sind umgestiegene PKW-Fahrer, dies sorgt für entsprechend weniger Lärm, Abgas und Unfälle in der Innenstadt.

Deshalb war man auf das bundesweit einmalige Projekt gekommen: der Status eines staatlich anerkannten Heilbades ist an eine deutliche Verbesserung der Umweltbelastungen gekoppelt. Trotzdem ist die zentrale Magistrale der Kleinstadt über den Marktplatz weiterhin stark belastet. „Dieses Problem lässt sich nur durch eine Umgehungsstrasse lösen“, sagt Joachim Collin vom Amt für Wirtschaftsförderung und zuständig bei der Stadtverwaltung für das Modellprojekt, von dem viele Berliner träumen. Templin bezahlt dem örtlichen Busunternehmen eine Jahrespauschale, die sich aus der geschätzten Anzahl der Fahrgäste errechnet, berichtet Collin.

Stolz verweist er auf die kostenlose Werbung für die Stadt und die vielen Fernsehteams, die wegen des „Nulltarifs“ schon in der Stadt waren. „Der Imagegewinn ist enorm“. Finanziert wird der „Nulltarif“ aus den Zuschüssen des Landkreises, Haushaltsmitteln, Kurbeiträgen und Spenden aus der Bevölkerung. Jedes Jahr zu Weihnachten legt die Stadtverwaltung der Lokalzeitung einen „Bettelbrief“ bei.

Innerhalb von zwei Jahren haben sich die Spenden auf über 5000 Euro im Jahr 2001 erhöht. Trotzdem sind damit die Kosten des „Nulltarifs“, die im Jahr 2002 voraussichtlich bei 96 800 Euro liegen, bei weitem nicht gedeckt. Am liebsten würde Bürgermeister Ulrich Schoeneich deshalb „eine Abgabe für den Öffentlichen Nahverkehr erheben“. Dies wären auf die Bevölkerung von 14 000 Einwohnern umgerechnet weniger als 10 Euro pro Jahr. „Aber dafür gibt es keine Rechtsgrundlage“ sagt er, „dabei wäre das Modell doch für ganz Deutschland interessant“. Eine Art Semesterticket für alle.

Fragt man am Marktplatz die auf den Bus Wartenden nach ihrer Meinung zum „Nulltarif“, überschlagen sich fast die Stimmen vor Begeisterung. „Eine ganz tolle Sache“, findet das Gerd Lüneberg. „Die Berliner steigen aus dem Zug, rein in den Bus und hin zur Therme.“ Die NaturThermeTemplin ist mit über 400 000 Badegästen im Jahr die wichtigste Touristenattraktion der Stadt. Die Lehrerin Sigrid Hollendorf kann sich den „Nulltarif“ gar nicht mehr wegdenken. Auch zwei Kurgäste aus Stralsund finden das kostenlose Ticket prima. „So spart man sich viele Fahrten mit dem Auto und vor allem die Parkplatzsucherei.“

Die einzige Opposition in der Frage des „Nulltarifs“ sind die Taxifahrer. „Klar nimmt uns der kostenlose Busverkehr die Fahrgäste weg“ sagt Jürgen Nowakowski. Nach der Einführung des Nulltarifs seien ihnen 80 Prozent der Stadtfahrten weggebrochen, jetzt leben sie fast nur noch von den Krankenfahrten der Reha-Klinik und Auftragsfahrten. Für ihn sind die Busse eher „rollende Jugendclubs“, viele Jugendliche fahren seiner Ansicht nach nur mit dem Bus spazieren. Joachim Collin von der Stadtverwaltung wundert sich allerdings, warum die Taxifahrer trotz ihrer Untergangsszenarien nach vier Jahren immer noch existieren.

Aber auch Bürgermeister Schoeneich stellt sich die Frage, wie lange man sich noch den „Nulltarif“ leisten kann. Haushaltstechnisch handelt es sich um eine „freiwillige Leistung“, und die stehen in Zeiten knapper Kassen auf dem Prüfstand. Trotz aller Erfolge im Bereich des Tourismus ist die Wirtschaftslage im Altkreis Templin alles andere als rosig. Mit 25,9 Prozent Arbeitslosen im März 2002 ist man Spitzenreiter in Brandenburg. Daran wird auch die in einem ehemaligen Jugendlager geplante Westernstadt für 250 000 Besucher im Jahr nichts ändern.

Auch eine achtköpfige Rentnergruppe aus Berlin ist in ihrer Begeisterung für den „Nulltarif“ kaum zu bremsen: „Das wäre doch auch eine gute Idee für Berlin“.

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