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Brandenburg: Der Außenseiter

Die Grünen haben in Brandenburg keine Chance.

Von Sandra Dassler

Cottbus. Der vielstimmige Aufschrei kommt aus dem oberen Fenster und lässt Claudia Roth für den Bruchteil einer Sekunde erstarren. Die Bundesvorsitzende der Grünen steht vor einer urigen Kneipe, direkt an der alten Stadtmauer von Cottbus. „Was war das denn?“, fragt sie den örtlichen Bundestagskandidaten Ralf Fischer. Der grinst: „Fußball. Heute spielt Energie Cottbus."

Die Bundesvorsitzende nickt eher höflich als wirklich interessiert. Immerhin hat sie auf ihrer Wahlkampftour durch die Lausitz wieder etwas gelernt – nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Vor wenigen Minuten saß Claudia Roth noch in einer Podiumsdiskussion über Toleranz und Fremdenfeindlichkeit und wunderte sich: über die Aufgeschlossenheit des Publikums, über die vielen jungen Leute unter den etwa 60 Gästen, vor allem aber über die Souveränität, mit der Ralf Fischer die Veranstaltung organisiert und moderiert hat.

Dabei ist der grüne Kandidat kein Profi in Sachen „große Politik“. Und er hat im Wahlkampf nicht die Spur einer Chance. Ganze 20 Mitglieder zählen die Grünen in Cottbus, sind aber bei der Oberbürgermeister-Wahl vor einigen Monaten auf über fünf Prozent gekommen. Wenigstens das will Ralf Fischer wieder schaffen, manchmal träumt er auch von einer zweistelligen Zahl. Als Belastung empfindet er die Außenseiter-Rolle nicht. Im Gegenteil. Der Wahlkampf hilft ihm, das zu verwirklichen, was er am liebsten tut: mit Menschen ins Gespräch kommen.

„Macht und Karriere sind für mich keine Motivation“, sagt der 41-Jährige, der an der Pädagogischen Hochschule in Dresden promovierte, als Lehrer aber bald auf die engen Grenzen der von Margot Honecker geprägten DDR-Bildungspolitik stieß. Als die Wende kam, kündigte Fischer und sah sich im Westen um: „Ich war einige Monate bei Verwandten an der holländischen Grenze und merkte bald, dass die westdeutsche Gesellschaft zwar viele Chancen bereithält, dass sie aber auch Verlierer hat. Für diese Menschen wollte ich mich einsetzen." Fischer kehrte zurück nach Cottbus und übernahm eine Betreuer-Stelle für rechtsradikale Jugendliche, die partout niemand haben wollte. Acht Jahre lang hat er mit Jugendlichen gearbeitet: mit Rechten, Linken, mit Aussiedlern und Asylbewerbern. Weil er merkte, dass er zwar einiges in seinem Kiez ändern konnte, anderes aber an den politischen Rahmenbedingungen scheiterte, ging er 1998 zu den Grünen und arbeitet seit 1999 als Stadtverordneter. Damit wurde er erst recht zu einer Art Anlaufpunkt für jene, die sonst keine Lobby hatten.

Vielleicht hat man ihn deshalb gefragt, als Anfang dieses Jahres ein Manager für den Stadtteil Sachsendorf gesucht wurde. Die in den 70er und 80er Jahren erbaute Plattenbausiedlung mit 12 000 Wohnungen gilt als größter sozialer Brennpunkt in Cottbus. „Hier leben die meisten Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Ausländer“, sagt Fischer. „Hier flogen 1992 die Steine auf das Asylbewerberheim. Hier verzog sich, wer irgendwie konnte. Hier haben die Menschen aber auch begriffen, dass sie ihre Zukunft selbst in die Hände nehmen müssen."

Und weil sich Ralf Fischer nichts Besseres vorstellen kann, als den Sachsendorfern dabei zu helfen, sitzt er – Wahlkampf hin oder her – schon morgens um neun Uhr in seinem Stadtteil-Büro und hat die Tür weit offen. An den Wänden hängen die Pläne, wie das Wohngebiet umgestaltet werden soll. Geduldig erklärt Fischer den Anwohnern, welche Folgen das für sie hat, kümmert sich um tropfende Wasserhähne, hilft bei Ärger mit den Behörden oder bei der Organisation von Stadtteil-Festen. „Hier hat man wirklich das Gefühl, es geht vorwärts“, sagt er und ist wieder beim Thema Wahlkampf: „Viele Leute kennen mich, auch wenn mein Konterfei nicht als Plakat in den Cottbuser Bäumen hängt. Wenn mich jemand danach fragt, sage ich, dass wir Grünen ganz bewusst mit Sachthemen überzeugen wollen."

Fischer weiß, wie schwer das ist in einem Land, in dem jeder Vierte keine Arbeit hat. „Die Grünen haben in Brandenburg wie auch in den anderen neuen Bundesländern nie wirklich Fuß fassen können“, sagt der Trierer Parteienforscher Hans-Joachim Veen: „Sie sind eine postmaterialistische Partei, aber dort, wo die ökonomischen Probleme existenziell sind oder als existenziell empfunden werden, hat Ökologie keine Chance“.

Deshalb spricht Ralf Fischer auch lieber über soziale und kommunale Themen. Während der Wahlveranstaltung in Cottbus überlässt er die Diskussion über Drogenpolitik, Kriegseinsätze und Ausländerintegration seiner Vorsitzenden Claudia Roth. Die schwärmt später, beim gemütlichen Bier: „So eine tolle Runde habe ich im Osten noch nicht erlebt“ und überhört vor lauter Begeisterung den nächsten Aufschrei, der aus der Kneipe dringt. Energie Cottbus hat gewonnen. Die Fans feiern, weil sich die Mannschaft wider Erwarten nun schon die dritte Saison in der Bundesliga hält.

Ralf Fischer lächelt stillvergnügt: „Allein die Tatsache, dass man Außenseiter ist, macht doch den Kampf nicht sinnlos. Oder?"

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