zum Hauptinhalt

Brandenburg: Der Fall Noel Martin: Wiedersehen in Mahlow

"Ich hatte ein Leben", sagte Noel Martin nach seiner Ankunft in Deutschland auf der Pressekonferenz, zu der er spontan in ein Berliner Hotel eingeladen hatte: "Ich hatte eine wunderbare Freundin, wir wollten noch so vieles tun."Die Journalisten haben lange gewartet, niemand wusste, wie der 42-jährige Brite den Flug nach Deutschland überstehen würde.

Von Sandra Dassler

"Ich hatte ein Leben", sagte Noel Martin nach seiner Ankunft in Deutschland auf der Pressekonferenz, zu der er spontan in ein Berliner Hotel eingeladen hatte: "Ich hatte eine wunderbare Freundin, wir wollten noch so vieles tun."

Die Journalisten haben lange gewartet, niemand wusste, wie der 42-jährige Brite den Flug nach Deutschland überstehen würde. Als Noel Martin dann im Rollstuhl in den kleinen Konferenzsaal gefahren wird, herrscht minutenlanges Schweigen. Vor diesem Mann verbietet sich die Jagd nach dem schnellsten Interview, dem emotionalsten Foto. Selbst hartgesottene Bildjournalisten sind peinlich berührt, als ein Marketingmensch die Gelegenheit nutzt und Broschüren über das Hotel an den Mann bringen will.

"Vielleicht weiß der gar nicht, wer Noel Martin ist", sagt ein Kollege. Die Journalisten kennen die Geschichte Noel Martins in allen Details. Sie haben sein Schicksal verfolgt, seit er an jenem 16. Juni vor fünf Jahren gegen einen Baum fuhr, weil Neonazis ihn und zwei Landsleute in Mahlow mit einem Auto gejagt und einen Stein geschleudert hatten. Seither ist Noel Martin querschnittsgelähmt. Seine Lebensgefährtin hat ihn, der über Nacht zum Krüppel wurde, aufopferungsvoll gepflegt, bis sie im vergangenen Jahr an Krebs starb - wenige Tage, bevor einer der Täter aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Eine Pressekonferenz in sehr nachdenklicher Stimmung: Nach einer Stunde hat Noel Martin alles gesagt. Nein, er hasst die Täter nicht, fühlt sich "nicht im Krieg" mit ihnen. Ja, er hat Personenschutz mitgebracht, aber nicht für sich. Nur um die drei Frauen, die ihn begleiten und pflegen, macht er sich Sorgen, will sie unversehrt zu ihren Kindern und Männern zurückbringen. Nein, er weiß nicht, wie er reagieren wird, wenn er am Sonnabend an jene Stelle kommt, wo es passierte. Er weiß nur, dass er den Tätern die Konfrontation mit den Folgen ihres Tuns nicht ersparen will. Auch allen anderen nicht.

Deshalb wird er in der nächsten Woche mit Mahlower Einwohnern diskutieren, mit jungen Leuten, Schülern. Deshalb wird er auch am heutigen Sonnabend auf der großen Kundgebung in Mahlow sprechen - stellvertretend für die anderen Opfer rechter Gewalt - auch für jene, die nicht mehr reden können: der Algerier Farid Guendoul zum Beispiel, der in Guben verblutete oder der Angolaner Amadeu Antonio, den sie in Eberswalde erschlugen.

"Ich kenne die Problematik in den neuen Bundesländern aus meiner Zeit in Mahlow sehr gut", sagte Noel Martin am Freitag bei einer Begegnung mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. "Ich weiß, dass es für viele Menschen nach der Wende schwer war, sich zu orientieren, ich weiß um Arbeits- und Orientierungslosigkeit. Das gibt doch aber niemandem das Recht, andere Menschen totzuschlagen." Stolpe hat genickt und dem Mann aus Birmingham erzählt, was in den letzten Jahren alles geschehen ist bei der Bekämpfung rechter Gewalt im Land. Dann hat er einen Vorschlag Martins aufgegriffen - künftig wird es einen "Noel-Martin-Fonds" geben, der jungen Menschen aus Brandenburg die Begegnung mit Menschen anderer Hautfarbe und Kultur ermöglichen soll. Der Fonds wird mit 50 000 Mark Anfangskapital starten. Allein im Jahr 2000 hat das Land Brandenburg fast 7,5 Millionen Mark an Opfer von Gewalttaten gezahlt. Die meisten dieser Taten gingen auf das Konto von rechten Schlägern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false