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Brandenburg: Der Fall Ulrike: Die Entführung wühlt die Ortschaft Finow auf

In den Reihen der eben noch um den besten Platz streitenden Kameraleute und Fotografen zieht plötzlich Ruhe ein. Kein Laut ertönt.

In den Reihen der eben noch um den besten Platz streitenden Kameraleute und Fotografen zieht plötzlich Ruhe ein. Kein Laut ertönt. Handys werden wie auf Kommando abgestellt. Durch eine Seitentür betritt das Ehepaar Brandt den großen Saal der Eberswalder Feuerwehr, in dem seit einer Woche Pressekonferenzen stattfinden. Keine zwei Minuten dauern die Worte von Karin Brandt in die Mikrofone aller großen Fernseh- und Rundfunkstationen. "Geben Sie uns einen Hinweis, wo wir Ulrike abholen können", richtet die sichtlich angegriffene Mutter einen erneuten Appell an den unbekannten Entführer ihrer Tochter. "Halte durch, wir finden dich." Schnell enteilt sie mit ihrem Mann Detlef wieder aus dem Saal. Niemand bedrängt sie glücklicherweise mit unnötigen Fragen.

Die nun schon seit einer Woche währende Suche nach dem Mädchen aus Eberswalde zerrt buchstäblich an den Nerven. An ein normales Leben im Ortsteil Finow ist kaum zu denken. Überall bestimmten Polizeifahrzeuge das Bild. Gemeinsam mit Hunderten Brandenburgern machen sich die Beamten täglich auf die Suche nach Ulrike. Sie kriechen durch unterirdische Gänge des früheren Militärflughafens Finow, in verlassene Keller einer einstigen Soldatenbäckerei oder steigen in unheimlich wirkende Brunnen. "Wir reden uns immer ein, dass das Mädchen noch lebt", sagt eine junge Polizistin aus Magdeburg in einer kurzen Pause. "Anders könnten wir uns gar nicht motivieren." Gedanken an die Möglichkeit, in einem Versteck auf die Leiche zu stoßen, will sie gar nicht erst zulassen. Sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht und kippt den Kaffee weg.

So wie die Frauen und Männer in Uniform machen sie auch viele Einwohner auf die Suche nach dem Mädchen. "Wir haben uns vorsichtshalber bei der Polizei erkundigt, ob wir einfach durch die Wälder ziehen können", sagt Herbert Schneider am Eingang zum Flughafen Finow. "Aber die haben nur etwas von ungeklärten Versicherungsfragen erzählt. Da sind wir zu dritt los - mit Frau und Hund." Eine Nachfrage bei der Polizei beruhigt. Das Gebiet zwischen den Fundorten des Fahrrades und des ausgebrannten Autos sei gleich in den ersten Tagen von Spürhunden abgesucht worden. Spuren könnten da nicht mehr verwischt werden.

Auffällig ist der rege Betrieb vor der Grundschule in Finow am frühen Morgen und am Nachmittag. Eltern begleiten ihre Schützlinge aus Sorge zur Schule und holen sie auch wieder ab. In der Klasse 6 d bleibt Ulrikes Platz seit einer Woche leer. Ein normaler Unterricht sei nur schwer möglich, erklärt Klassenleiterin Marlies Eitz. Die Kinder fragten immer wieder, was sie noch für Ulrike oder ihre Eltern tun könnten. Auch auf den Straßen stehen die Menschen zusammen, zeigen auf die Fahndungsfotos an Fenstern und Türen und mustern jeden jungen Mann von oben bis unten. Viele Einwohner und Unternehmen der Region wollen die Suche durch Aufstockung der ausgesetzten Belohnung unterstützen. "Sie rufen bei uns an und stellen große und kleine Summen zur Verfügung", berichtet Polizeiführer Wolfgang Becker. Das reicht von 500 bis mehr als 10 000 Mark. Insgesamt beträgt die Belohnung schon mehr als 50 000 Mark.

Mutter, Vater und Schwester von Ulrike werden unterdessen von erfahrenen Psychologen betreut. "Völlig erstaunt" hätten die Eltern in einigen Zeitungen von Fahndungspannen und vom Streit um die Urlaubsreise der Polizeipräsidentin gelesen, erklärt Becker. "Streit", so habe Karin Brandt gesagt, "sei das Unnötigste, was jetzt gebraucht werde."

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