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Brandenburg: „Die Pfarrer wissen doch nicht mal, was der Name Jesus bedeutet“

Jürgen Fliege hatte als Pfarrer viel Ärger in seinen Gemeinden und mit den Vorgesetzten. Dann ging er zum Fernsehen. Jetzt predigte er in der Nikolaikirche und sammelte Geld für die Engel auf dem Dach. Darüber freut sich die Gemeinde – nicht aber über die Kirchenschelte

Potsdam. Vielleicht hätte man damals nicht so streng mit ihm sein sollen. Vielleicht wäre aus ihm dann ein braver Geistlicher geworden. Ist es aber nicht. Jürgen Fliege lässt kaum eine Möglichkeit aus, gegen Pfarrerkollegen und Kirchenobere zu sticheln. „Die meisten Pfarrer sind verklemmt, sie sind es, die die Angst mit in die Kirchen bringen“, legt der 56-jährige Pfarrer und Moderator der ARD-Talkshow „Fliege“ auch an diesem Freitagabend los. Es ist kurz vor halb acht in der Potsdamer Nikolaikirche. Gleich wird Fliege hier eine Art Gottesdienst halten – zugunsten der reparaturbedürftigen Engel auf dem Kirchendach. 150 grauhaarige und überwiegend weibliche Kirchenbesucher warten gespannt. Viele von ihnen gehen nicht regelmäßig in die Kirche und sind nur seinetwegen hier. Aber vorher merkt Fliege noch an, warum er von seinem Fernsehpublikum geliebt, in der Kirche aber oft gemieden wird: „Die anderen Pfarrer sind neidisch auf mich, das ist doch klar: Ich bin reicher als die, habe mehr Einfluss und Freiheiten.“

Dann geht es los. Fliege hat für seinen Auftritt die Kirche in halbdunkles Licht tauchen lassen. Langsam schreitet er zwischen den Bänken nach vorne. Seine Freundin singt, ihr Bruder spielt Klavier dazu. Dann nimmt Fliege das Mikrofon und sagt ganz ruhig: „Sie kennen die Weihnachtsgeschichte. Aber Jesus hieß nicht Jesus. Den hat beim Fußball keiner gerufen: Jesus, Ball holen! Genau wie seine Mutter Maria keine Jungfrau war. Lassen Sie mich Ihnen ein paar erwachsene Dinge über Weihnachten erzählen.“ Fliege spricht dann von Symbolen und dass Gott sei wie die Menschen. Den Leuten gefällt es, eine Dame zwinkert ihrer Begleitung zu und sagt: „Wenn alle so predigen würden, dann wären die Kirchen voll.“ Jürgen Fliege hat schon früher unkonventionell gepredigt. In seiner Examensprüfung hat er dafür eine sechs bekommen. Mehrere Gemeinden haben ihn später rausgeworfen. Im Fernsehen ist er dann genau mit dieser anderen Art, den Pfarrer zu geben, populär geworden. Missbilligungen nimmt er heute gelassen. Er, der geschiedene Pfarrer, der mit seiner jungen Freundin auftritt und über andere Pfarrer sagt, dass „die jahrelang nur die biblischen Texte lesen und selbst nicht mal wissen, was der Name Jesus bedeutet.“ Das sei aber wichtig: Jesus komme von Josua, der Retter.

Die Kirchenrätin der St.-Nikolai-Gemeinde Anja Nietz ballt während der Veranstaltung die Hand zu einer Faust. Später wird sie freundlich, aber bestimmt sagen: „Wir sehen viele Dinge theologisch anders als Herr Fliege – wir sind eben alle fromm hier.“ Andere Gemeindemitglieder schütteln während Flieges Vortrag den Kopf. Eine Frau flüstert: „Der ist wie Traubenzucker. Geht schnell ins Blut, aber hält nicht lange an.“ Trotz aller Skepsis, Flieges Benefiz-Angebot konnten und wollten die Potsdamer nicht ablehnen. Denn die vier Engel auf dem Kirchendach müssen dringend saniert werden, ihre Zehen liegen bereits verstreut in den Dachrinnen. Mehr als 1000 Euro brachte der Eintritt für die Veranstaltung in die Gemeindekasse. Und am Schluss kommt eine ältere Dame zu den Gemeindeleuten und sagt: „Den müssen Sie mal wieder einladen.“ Das werden die Potsdamer – vielleicht zähneknirschend – wohl auch tun. Denn 63000 Euro fehlen noch immer für die Reparatur der Engel.

Juris Lempfert

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