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Brandenburg: Die wegen der Wölfe wachen

Von Claus-Dieter Steyer Spremberg. Die Angst vor Wölfen bringt die Lausitzer Schäferfamilie Neumann seit einer Woche um den Schlaf.

Von Claus-Dieter Steyer

Spremberg. Die Angst vor Wölfen bringt die Lausitzer Schäferfamilie Neumann seit einer Woche um den Schlaf. Von der Dämmerung bis zum Morgengrauen bewachen sie ihre Herde. „Wir lassen die Tiere auf der Weide nicht mehr allein“, sagt Frank Neumann aus Rohne. Lücken im Wachdienst, an dem sich auch ein Jäger beteiligt, werden nicht mehr zugelassen. Ende vergangener Woche war die Weide für 30 Minuten unbeobachtet gewesen – und schon waren die Wölfe wieder da und töteten drei Tiere.

Insgesamt haben die Neumanns bereits 27 Schafe an die Räuber verloren, die sich im brandenburgisch-sächsischen Grenzgebiet bei Spremberg angesiedelt haben. „Wir haben sie selbst aus gut 150 Meter Entfernung gesehen“, berichtet Sohn Rene Neumann, der im väterlichen Betrieb arbeitet. 90 Zentimeter hoch seien sie mindestens gewesen. Inzwischen gibt es für Experten keine Zweifel mehr, dass es sich tatsächlich um Wölfe und keine großen Hunde handelt. Die Untersuchung der so genannten Losung brachte im Labor eindeutige Beweise.

„Die Wölfe gehören nicht hierher“, meint der 54 Jahre alte Seniorchef der Schäferei in der winziger Siedlung Rohne. „Die müssen entweder vertrieben oder notfalls abgeschossen werden. Ich lasse mir doch nicht meinen Betrieb kaputtmachen!“ Zwar habe das sächsische Landwirtschaftsministerium eine volle Entschädigung zugesagt, aber das reicht dem Schäfer nicht. „Was nützt mir das Geld, wenn ich keine Muttertiere mehr habe? Die ganze Existenz ist in Gefahr." Alle 27 gerissenen Schafe waren tragend. Gezielt suchten die Wölfe diese Tiere aus. Der 3000-Volt-Schutzzaun wurde einfach übersprungen. Als die Schafe panisch die Flucht ergriffen, verletzten sich einige so schwer, dass sie noch in Lebensgefahr schweben. Neun Tiere blieben verschwunden. „Die können wir abschreiben“, sagt Rene Neumann trocken. „Die Wölfe haben ihnen die Kehle durchgebissen und sie in irgendein Versteck geschleppt, um sich einen Vorrat anzulegen.“ Zur Vorsicht haben die Neumanns die wertvollen Muttertiere in den Stall geholt. Doch es fehlt der Platz für die Schlachttiere. Die Weide wollen sie nicht aufgeben, weil sie sonst das Schlimmste befürchten. Die Wölfe könnten in den Betrieb kommen und noch mehr Unheil anrichten.

Vor genau vier Jahren hatte der Betrieb schon mal so ein Problem. Damals geriet das Auftauchen von Wölfen allerdings nicht in die Schlagzeilen. „Ich habe wohl jetzt einen Fehler gemacht und die Polizei übers Telefon angerufen“, überlegt der Schäfermeister. „Plötzlich standen Reporter auf dem Hof. So eine Hektik kann ich nicht gebrauchen.“ Drei Wochen habe er im Frühjahr 1998 jede Nacht auf dem Wasserwagen bei seinen Schafen verbracht. Dann seien die Wölfe verschwunden. Diesmal will die Familie genauso lange durchhalten.

Unterstützt wird sie in diesen Tagen durch die Brandenburger Wolfexpertin Gesa Kluth. Sie geht mit auf die Weide, um eine uralte Hetzmethode zu probieren. „Wir hängen kleine Lappen an die Zäune. Davor scheuen die Wölfe“, sagt die Frau. Vor 150 Jahren seien die Wölfe auf diese Weise aus Deutschland vertrieben worden. Sie glaubt an drei Wölfe im Grenzgebiet: Zwei Jungtiere und ein ältere Wölfin. Vier andere Tiere verteidigen ihr Revier auf dem nahen Truppenübungsplatz Muskauer Heide.

Die Schafe selbst sind seit den Überfällen schreckhaft, laufen beim geringsten Geräusch zusammen und drehen sich im Kreis. Jedes Schaf will in die Mitte, um sich vor neuen Attacken zu schützen. Nicht nur daran stellen die Experten die Anwesenheit der Wölfe fest. Auch Rehe verlassen die Wälder und grasen in großen Gruppen auf den Feldern. Für die Anwohner sind die Wölfe wichtigstes Dorfgespräch. „Bei jeder Fahrt werde ich angehalten und nach Neuigkeiten gefragt“, sagt Frank Neumann. „Irgendwie haben die Menschen doch Angst."

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