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Brandenburg: Durch die frisch geweißten Wände sickert Wasser

Mit Hilfe der Spendengelder von Tagesspiegel-Lesern reparieren die Menschen in Kotowice ihre Häuser / Feuchtigkeit im MauerwerkVON FRANK HOFMANN KOTOWICE.Die Moskitos sind weg.

Mit Hilfe der Spendengelder von Tagesspiegel-Lesern reparieren die Menschen in Kotowice ihre Häuser / Feuchtigkeit im MauerwerkVON FRANK HOFMANN KOTOWICE.Die Moskitos sind weg.Vor einigen Tagen hat ein Armeehubschrauber Insektenbekämpfungsmittel über Kotowice versprüht, dem Dorf das von den Hochwasserspenden der Tagesspiegel-Leser unterstützt wird.Die Befreiung von den nach der Jahrtausendflut in Schwärmen eingefallenen Mücken, bringt freilich nur eine kurze Verbesserung der Lebenssituation der 650 Menschen.Die langfristigen Folgen der Flut sind unüberschaubar: "Morgen bekommen wir die Ergebnisse der Bodenanalyse", sagt Wieslaw Styczen, einer von 14 Mitgliedern des Spenden-Komitees, das die Verteilung organisiert."Aber ich habe Angst davor, mir das Resultat anzuschauen." Die Äcker rund um das 650-Seelen-Dorf südlich von Breslau (Wroclaw), sind mit Schwermetallen durchsetzt, "die Bakterien- und Pilzbelastung ist 15mal so stark wie normal".Soviel hat ihm der befreundete Chemiker schon jetzt sagen können, der den Ackerboden in Privatinitiative für die Dorfgemeinschaft analysiert.Von den offiziellen Stellen seien "vor den Wahlen am 21.September keine Ergebnisse zu erwarten".Die Politiker pokern. Wieslaw Styczen sitzt im Kreis der übrigen Komitee-Mitglieder, sein Kopf versinkt müde in der Innenfläche seiner rechten Hand.Den Arm stützt er auf die Holzlehne eines Biedermeiersessels, der nach der Flut noch ein wenig grauer aussieht als zuvor.Der Nachbar von Wieslaw Styczen, Jerzy Masternak, hat für das Treffen in sein Haus eingeladen.Nur im früheren Wohnzimmer hat der Holzschnitzer einen neuen Estrich einziehen und die Wände streichen können.In der Ecke stehen Herd und Kühlschrank auf nacktem Zement, dahinter drückt vom Boden bis auf eineinhalb Meter Höhe schon wieder das Wasser durch die frisch geweißten Wände.In der Mitte steht ein rechteckiger Couchtisch mit braunweißer PVC-Tischdecke und weißen Plastikbechern, aus denen dünner Kaffee dampft. Vor dem Gebäude recken sich herausgerissene Holzplanken wild in alle Richtungen, nur mühsam aufgetürmt.Das Gebäude ist bis zur Erde ausgehöhlt.Den Putz hat Jerzy Masternak bis auf die roten Ziegelsteine vom Boden bis zur Decke abgeschlagen.Ein Rohbau.In den Nachbarhäusern rauchen die Kamine: Das Wasser muß zumindest aus den innersten Schichten weg, bevor sich der Schwamm festsetzt. Der Schock nach der Flut ist der Sorge um die Gesundheit gewichen: "Ich habe meine Familie noch immer auswärts, wir haben Angst", sagt Wieslaw Styczen.Seine Frau arbeite im Krankenhaus des benachbarten Siechnice."Dort sind sie schon seit Wochen damit beschäftigt, die Räume zu desinfizieren." Ihnen selbst bleibe nichts anders übrig als die neuen Materialien einfach einzubauen - und das so schnell wie möglich. Während auf den Bäumen das Obst verschimmelt, sind die Äcker noch immer von Flutwasser durchtränkt und unpassierbar: "Selbst zu Fuß sinkt man da ein".Ein grauer Fäulnis-Schleier liegt über den landwirtschaftlichen Nutzflächen.Die meisten der 120 Kleinbauern sicherten bislang mit gerade mal einem Hektar pro Familie ihre Existenz.Fünf Jahre lang, so hat die Regionsregierung der Wojwodschaft Breslau (Wroclaw), verkündet, dürften die Flächen nicht mehr bewirtschaftet werden."Den Menschen hier wird gesagt, sie müßten sich daran halten, doch sie wollen es nicht hören", beschreibt der 46jährige das Verhältnis zwischen den Dorfbewohnern und ihren Regierenden nach der Flut.Im flußabwärts gelegenen Breslau (Wroclaw) grassiert schon jetzt die Angst vor den Agrarprodukten aus der Überschwemmungsregion.Hier liegen die Nerven blank.Acht Wochen nach der zweiten Flutwelle, die hier von der 1500 Meter entfernten Oder aus die Häuser bis unter die Giebel überschwemmte, sind die Leserspenden des Tagesspiegels noch immer die einzige Hoffnung: "Von unserer Regierung haben wir nichts zu erwarten." Bei so viel Nervosität haben die Vertreter des 14köpfigen Spendenkomitees eine schwierige Aufgabe.Von den Spenden sollen noch diese Woche nach dem bereits bestellten Innenanstrich zum Bakterienschutz, im zehn Kilometer entfernten Breslau (Wroclaw) die ersten Tranchen Zement bestellt werden."Wer bekommt wieviel, damit alle etwas davon haben?", fragt Wieslaw Styczen in die Runde hinein.Fertigzement soll es sein, damit der Einbau schneller geht.Jedes der 14 Komitee-Mitglieder wurde von den Nachbarn in seiner Straße in das Gremium gewählt.Jeder einzelne muß seine Entscheidungen zu Hause wieder vertreten. Die Reportage aus Kotowice wird morgen fortgesetzt: "Angst vor dem Winter".

FRANK HOFMANN

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