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Brandenburg: „Ein falsches Signal zur falschen Zeit“

Gesine Schwan, Präsidentin der Viadrina, kämpft gegen die Streichung der Stipendien für osteuropäische Studenten

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder). Lukasz ist nicht untergegangen. Als protestierende Studenten der Europa-Universität Viadrina ihn am vergangenen Freitag in die Oder warfen, hatten sie vorsorglich ein Seil um ihn gewickelt. Lukasz, die Stoffpuppe, sollte einen osteuropäischen Studenten symbolisieren, dem das Land Brandenburg bislang ein Stipendium zahlt, das ab dem kommenden Jahr wegfallen soll.

Von den 5100 Studenden der Viadrina kommen rund 2000 aus dem Ausland – die meisten davon aus Polen und Osteuropa. Etwa ein Drittel von ihnen erhielt bis zum letzten Sommer 155 Euro monatlich aus dem Stipendienprogramm für sozial benachteiligte Studierende aus Mittel- und Osteuropa (MOE), weil das Einkommen ihrer Eltern extrem niedrig ist. Seit September 2003 sind es nur noch 100 Euro und ab Januar 2005 soll der Zuschuss ganz gestrichen werden. „Wir wussten immer, dass diese Stipendien irgendwann wegfallen würden“, sagt die Präsidentin der Viadrina, Gesine Schwan, „aber dass es schon ab 2005 geschehen soll, hat uns doch schwer getroffen. Es wäre sehr traurig, wenn manche der jungen Leute deshalb nicht weiterstudieren könnten.“

Als Gesine Schwan 1999 die Leitung der Europa-Universität übernahm, stellte das Land jährlich etwa 1,5 Millionen D-Mark für die Viadrina zur Verfügung. In den Jahren danach wurden die Finanzhilfen drastisch reduziert. „Ich habe mich von Anfang an bemüht, auch andere konstante Geldquellen zu erschließen“, sagt die Präsidentin, „weil ich wusste, dass die Viadrina strukturell unterfinanziert ist. Aber so etwas braucht Zeit.“

Gesine Schwan kann den Unmut der betroffenen Studenten nachvollziehen: „100 Euro, das sind beispielsweise 400 Zloty – viel Geld in Polen. Die meisten ausländischen Studenten müssen ohnehin jobben, um ihren Eltern nicht auf der Tasche zu liegen. Auch wenn ich das grundsätzlich gut finde, so ist es doch ,verlorene Zeit’ – sowohl für das Studium an sich als auch für die vielen kulturellen Aktivitäten, die ja gerade junge Ausländer einbeziehen.“

Was die Streichung der Stipendien für Auswirkungen auf die Viadrina hat, ist nach Schwans Ansicht noch völlig offen. Aus vielen Gesprächen mit osteuropäischen Studenten weiß sie, dass die meisten nicht wegen der finanziellen Zuschüsse, sondern wegen des inzwischen guten Rufs der Viadrina nach Frankfurt kommen. Aber die Kosten, die auch die Ausländer für das Studium aufbringen müssen, sind in den vergangenen Jahren immer höher geworden. So wurde im Sommer 2003 der Semesterbeitrag auf fast 200 Euro erhöht. Ohne Chance auf BAföG oder Finanzspritzen der Eltern stellt das für junge Leute aus Ungarn oder Tschechien eine große Hürde dar. Polnische Studenten müssen außerdem jeden Monat 55 Euro an die AOK zahlen, weil es bislang kein Abkommen zwischen den deutschen und polnischen Krankenkassen gibt. „Dass an anderen deutschen Universitäten mindestens genauso viele Gebühren anfallen, ist kein Trost“, sagt Gesine Schwan. „Die meisten dieser Unis haben einen Ausländeranteil von weniger als zehn Prozent. An der Viadrina sind es 40 Prozent.“

Hinzu kommt, dass für Studenten aus den EU-Beitrittsstaaten ab dem Herbstsemester die gleichen Bedingungen gelten wie für deutsche. Bislang hatte die Viadrina ein bestimmtes Kontingent für Osteuropäer offen gehalten. Das ist rechtlich nicht mehr möglich. Umso wichtiger erscheint es Gesine Schwan, nach anderen Möglichkeiten zu suchen, um das ursprüngliche Konzept der Viadrina als wissenschaftliches, politisches und kulturelles Tor zu Osteuropa auch künftig zu verwirklichen. „Ich hoffe sehr, dass das Land seine Entscheidung noch einmal überdenkt“, fordert die Präsidentin deshalb: „Ich halte sie für ein falsches Signal zur falschen Zeit.“

Auch Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU) kritisiert den „mehr als ungeschickten“ Zeitpunkt für die Streichung der Stipendien: „Das ist sozusagen die Begleitmelodie für den Eintritt Polens und anderer Länder in die EU. Ich kann verstehen, dass die betroffenen Studenten und auch die polnischen Medien traurig und empört reagieren.“ Patzelt ist außerdem verärgert, dass er ebenso wie die Universitätsmitarbeiter von den Streichungen erst aus der Presse erfuhr: „Die Frage, inwiefern das Land Brandenburg osteuropäische Studenten unterstützen soll, ist ja berechtigt. Aber bevor man eine solche Entscheidung trifft, hätte man mit den Betroffenen, den Studenten und den Wissenschaftlern über die Notwendigkeit und vor allem über die möglichen Folgen reden müssen.“ Der Studentenausschuss AStA hat die Landesregierung aufgerufen, das MOE-Programm weiter zu finanzieren. Bis auf den Ring Christlicher Studenten haben sich dem alle studentischen Organisationen angeschlossen. Weitere Aktionen sind angekündigt.

Unter den Demonstranten, die am vergangenen Freitag kurzzeitig die Grenzbrücke sperrten, waren auch Jura-Studenten. Sie wussten, dass ihnen eine Anzeige wegen Umweltverschmutzung droht, wenn sie die Stoffpuppe tatsächlich in die Oder werfen. Lukasz wird die Studenten nun auch bei kommenden Protesten begleiten.

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