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Brandenburg: Ein Stoff namens Filz

Neuruppin wählt sein Stadtoberhaupt – während die Ermittlungen gegen die „XY-Mafia“ weitergehen

Neuruppin - Der Hotelier hat seinen Konkurrenten um das Bürgermeisteramt von Neuruppin ein Schnippchen geschlagen. Vor der Wahl am kommenden Sonntag ließ Jens-Peter Golde, Chef des „Alten Kasinos“, einen Kleintransporter mit seinem Konterfei und dem Umriss der Stadt bemalen. Er selbst oder einer seiner Mitstreiter kurvt nun oft durch die Straßen. Die optische Überlegenheit des Chefs der unabhängigen Gruppierung „Pro Ruppin“ gegenüber den Kandidaten von SPD und PDS steht damit außer Frage.

Denn die werben nur auf Plakaten für sich. Deren Höchstzahl ist von der Stadt auf 100 beschränkt worden. Allein die Zustimmung aller drei Kandidaten zu diesem Fairness-Abkommen wird in der durch die Mafia-Bande „XY“ in Brandenburgs größten Korruptionsskandal gestürzten Stadt als Aufbruch gefeiert. Acht Beschuldigte sitzen in Untersuchungshaft. Ihnen werden Drogen- und Menschenhandel, illegale Prostitution, unerlaubtes Glücksspiel und andere Delikte vorgeworfen. Insgesamt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen rund 100 Verdächtige. Sie waren auch in der Stadtverwaltung, bei der Polizei, in Bordellen und Spielotheken beschäftigt. Ganz offen demonstrierten sie ihre Macht, in dem sie auf den Autokennzeichen die Buchstabenkombination XY wählten. In einem ersten Prozess war kürzlich ein Drogenhändler zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Das Hauptverfahren wird in den nächsten Wochen erwartet.

Am stärksten betroffen von der Korruptionsaffäre ist die örtliche CDU. Ihr Stadtverordneter Olaf K., bis zu seiner Verhaftung im August 2004 Chef des entscheidenden Haupt- und Finanzausschusses im Stadtparlament, gilt als Drahtzieher des Geflechts aus Bestechung und Geldwäsche. Er hat die Partei in eine solche Krise gestürzt, dass sie am Sonntag nicht einmal mit einem eigenen Kandidaten antritt. Der einst als Anwärter auf den Posten gehandelte Unternehmer Andreas Theel ist kürzlich mit seinem Bruder aus der Fraktion ausgetreten. „Ich war enttäuscht über den Umgang untereinander“, sagt der Sohn des bisherigen Neuruppiner Bürgermeisters Otto Theel. Dieser regierte seit 1993 mit dem Mandat der PDS die Stadt. Sowohl gegen Andreas als auch gegen Otto Theel liefen im Herbst Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – sie sind aber inzwischen eingestellt worden.

Otto Theel sitzt jetzt für die PDS im Landtag. Seine Partei hat lange nach einem Nachfolge-Kandidaten gesucht. Die Entscheidung fiel ziemlich überraschend auf die 39-jährige Sozialarbeiterin Kerstin Kroll. Das Engagement der Mutter von fünf Kindern wird zwar in der Stadt geschätzt, aber mitten im Wahlkampf wurde die hohe Schuldenlast der Familie bekannt. Frau Kroll war vor Jahren mit einem Möbelhandel Pleite gegangen. Nun sieht sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, mit dem Bürgermeisterposten nur mehr Geld verdienen zu wollen. Als sie kürzlich gefragt wurde, was ihr bei Stichwort „Filz“ einfalle, dachte sie nicht an Korruption, sondern an eine Stoff-Art.

Die SPD ging dagegen auf Nummer sicher. Sie schickt mit Ernst Bahr einen Mann ins Rennen, der seit 1994 im Bundestag sitzt. Offenbar erschien den Genossen Berlin fern genug, um jede Verbindung zur XY-Mafia auszuschließen. Allerdings wird der Bürgermeister für acht Jahre gewählt; Bahr müsste in sechseinhalb Jahren altersbedingt ausscheiden.

Was den Unabhängigen Golde betrifft – der wurde 1993 von den Stadtverordneten als Wirtschaftsdezernent abgewählt, weil er zweckgebundene städtische Mittel eigenmächtig für andere Zwecke eingesetzt haben soll. Wenn Golde heute über die Verhältnisse in Neuruppin spricht, dann nennt er das nicht „Filz“. Er spricht lieber von „nützlichen Netzwerken“.

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