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Brandenburg: Es war einmal ein armer Ministerpräsident

Ein Neujahrs-Märchen aus Brandenburg

Brandenburg, im Frühjahr 2003: Die Landesregierung zieht sich für ein Wochenende in ein abgelegenes Gästehaus in der Uckermark zurück. Keine Vorankündigung, keine Presse, keine Handys. Bei der Sparklausur des Kabinetts, von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und seinem Vize und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) straff geleitet, fliegen die Fetzen. Der neue Finanzminister Rainer Speer (SPD) tippt pausenlos Zahlenkolonnen in seinen Laptop und raucht eine Zigarre nach der anderen. Seine Vorgängerin Dagmar Ziegler war im Februar von Platzeck entlassen worden, weil sich das Finanzministerium beim aktuellen Haushaltsdefizit um 300 Millionen Euro verrechnet hatte: In der Kasse für 2003 fehlen jetzt 1,1 Milliarden Euro.

Was niemand für möglich hielt: In den frühen Morgenstunden, gegen 3.30 Uhr, wird im Kabinett tatsächlich ein Durchbruch erzielt. In einer Regierungserklärung vor dem Parlament kündigt Platzeck kurz darauf einen „eisernen Sparkurs“ an – mit radikalen Einschnitten im ganzen Land: Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz wird mit sofortiger Wirkung eingeschränkt, die erst vor kurzem eingerichtete Autobahnpolizei wieder aufgelöst, der Theaterneubau in Potsdam abgeblasen. Vier Amtsgerichte werden geschlossen, alle Naturparkverwaltungen, Großschutzgebiete und der Nationalpark Unteres Odertal abgeschafft, der Bau der Oder-Lausitz-Trasse um einige Jahre verschoben, alle Landeskliniken verkauft. Die Fachhochschulen Potsdam und Brandenburg werden zusammengelegt.

Eine Welle der Empörung brandet auf. Die Gewerkschaften lassen die Staatskanzlei belagern. Bischof Wolfgang Huber wirft Platzeck und Schönbohm eine „unbarmherzige Politik“ vor und ruft zu Montagsdemonstrationen auf. PDS-Oppositionsführer Lothar Bisky geht in den Hungerstreik. Auch in den Regierungsparteien brodelt es. Zum Entsetzen der CDU-Landtagsfraktion erklärt CDU-Landeschef Jörg Schönbohm in einem Interview: „Wenn die SPD von den Spar-Beschlüssen auch nur einen Millimeter abrückt, ist die Große Koalition beendet.“ Auf einem SPD-Sonderparteitag verabschieden die aufgebrachten Genossen mit überwältigender Mehrheit dennoch einen Beschluss: „Hände weg vom Kita-Gesetz". Aber Regierungschef Platzeck lässt sich nicht beirren. In einer Fernsehansprache appelliert er mit dem „Hochwasser-Blick“ (Super-Illu) an die Bevölkerung, den „schmerzhaften Weg“ mitzugehen: „Brandenburg ist ein armes Land. Es ist nicht mehr kreditwürdig. Wir haben in den letzten 13 Jahren über unsere Verhältnisse gelebt. Aber wie jeder von Ihnen können wir nur das ausgeben, was wir einnehmen.“ Platzeck präsentiert zugleich eine Strategie, wie „in zehn Jahren“ nach „preußischem Vorbild“ das „moderne Brandenburg“ aufgebaut werden kann - durch eine konzentrierte Förderung von Wirtschaft und Wissenschaft. Schon nach einigen Wochen beginnen sich die Wogen zu legen. Eine Blitz-Umfrage von Infratest-Dimap ergibt: Eine knappe Mehrheit von 54 Prozent der Brandenburger meint, dass die Große Koalition gute Arbeit leistet. Bei den Kommunalwahlen im Herbst legen SPD und CDU leicht zu.

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