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Brandenburg: Fall Ermyas M.: Angeblicher Täter in Schweizer Haft

Marco Sch. hatte sich des Überfalls selbst bezichtigt Nun sitzt er – obwohl oder weil ihm keiner glaubt

Von Sandra Dassler

Potsdam / Luzern - Tagelang hatte Marco Sch. allen, die es hören wollten, erzählt, dass er am Ostersonntag den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. in Potsdam niedergeschlagen habe. Und dass es ihn belaste, wenn an seiner Stelle ein Unschuldiger in Haft sei. Nun ist der 27-jährige Schweizer da, wo er offenbar unbedingt hin wollte – im Gefängnis. Gestern hat ihn eine Amtsstatthalterin, so heißen die Richterinnen in der Schweiz, verhaften lassen. Der Grund ist jedoch nicht das Geschehen von Potsdam. Die Schweizer wollen vielmehr den Wahrheitsgehalt der Aussagen des in Luzern lebenden Marco Sch. genau abklären. Sie wollen vor allem wissen, warum er sich selbst der Tat bezichtigt.

„Die Inhaftierung bedeutet nicht, dass wir davon ausgehen, dass Marco Sch. der Täter war“, sagte der Sprecher der Kantonspolizei Luzern, Richard Huwiler, gestern dem Tagesspiegel. „Es bedeutet aber auch nicht, dass wir davon ausgehen, dass er es nicht war.“ Die Schweizer Polizei hatte Marco Sch. seit Mittwoch vernommen. Grund war ein Rechtshilfeersuchen der mit dem Fall Ermyas M. betrauten Potsdamer Staatsanwaltschaft. Deren Sprecher Benedikt Welfens wollte gestern noch keine Aussagen über die Ergebnisse der Vernehmungen treffen. Er sagte aber, dass sich die „massiven Zweifel an der Glaubwürdigkeit des angeblichen Täters“ verstärkt hätten. So habe Marco Sch. behauptet, er sei in Potsdam auf die Welt gekommen. Seine Mutter, die von den Schweizer Behörden dazu befragt wurde, sei davon allerdings völlig überrascht gewesen.

Wie berichtet hatte sich Marco Sch. bereits im Mai beim damaligen Anwalt des Hauptverdächtigen, Björn L., als Zeuge gemeldet. Der Anwalt informierte die Staatsanwaltschaft, die zog Erkundungen über Marco Sch. ein, stellte aber erst sechs Wochen später das Rechtshilfeersuchen an die Schweiz. Am vergangenen Wochenende hatte Marco Sch. selbst die Öffentlichkeit gesucht. „Das kann Zufall sein“, sagt Staatsanwaltschafts-Sprecher Welfens: „Es fällt allerdings auf, dass Sch. ausgerechnet vor der Entscheidung über die Haftbeschwerde des Hauptverdächtigen Björn L. seine Geschichte erzählte.“

Der Schweizer hatte behauptet, über Ostern mit Bekannten in Potsdam gewesen zu sein. Nach einem Streit mit Ermyas M. habe er diesem zwei Schläge versetzt. Als Motiv gab Sch. an, er sei einmal in der Karibik von Einheimischen überfallen worden und hasse seither Farbige. Sch. bezeichnete sich als Rechtsextremisten und gab an, dass der Hamburger Neonazi und Anwalt Jürgen Rieger ihn vertrete.

Doch weder in der Schweiz noch in Deutschland laufen Strafverfahren gegen den Schweizer. Für die Ermittler gibt es daher nur zwei Möglichkeiten: Entweder Marco Sch. ist ein Spinner, oder er wurde von jemandem ins Spiel gebracht, um die beiden bislang Verdächtigen zu entlasten und Björn L. aus der U-Haft freizubekommen. Sollte sich Letzteres bewahrheiten, droht Marco Sch. sogar eine Klage wegen versuchter Strafvereitlung – auch wenn das Brandenburgische Oberlandesgericht die Haftbeschwerde trotz des „Überraschungstäters“ abgelehnt hat: Björn L. bleibt in Haft. Auch Marco Sch. wird etwas Zeit hinter Gittern verbringen. Am Wochenende komme er jedenfalls nicht raus, hieß es gestern in Luzern.

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