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Gegen den Abriss

© Wilhelm

Frankfurt: Festhalten an der Lieblings-Platte

Die Bewohner eines Hochhauses wehren sich gegen den Abriss. Zwar steht fast die Hälfte der Wohnungen leer, aber es existiert eine funktionierende Hausgemeinschaft und die Wohnungen sind behindertengerecht. Jetzt gibt es einen Bürgerentscheid.

Frankfurt (Oder) - Grau und staubig sieht er aus, der Elfgeschosser im Stadtteil Neuberesinchen. Das Klingelschild ist halbleer, auf dem Parkplatz steht nicht ein einziges Auto. Es gibt in Frankfurt (Oder) schönere Ecken. Deshalb will die Stadtverwaltung den unansehnlichen Waschbetonklotz von 1979 weghaben. Er hat nach dem Willen der Stadtväter keine Zukunft, zumal in Frankfurt jede sechste Wohnung leer steht. Die Anwohner aber wollen "ihre Platte" behalten.

Die Wohnungen seien bezahlbar und behindertengerecht, sagt eine Frau, die ihren Mann im Rollstuhl zur Physiotherapie fährt. "Außerdem sind wir hier als Hausgemeinschaft so schön zusammengewachsen", ergänzt eine Nachbarin. Dass nur noch 59 von 110 Mietparteien übriggeblieben sind, stört sie nicht.

Die Hausbewohner haben sich darum der Bürgerinitiative Stadtumbau Frankfurt (Oder) angeschlossen und ein Bürgerbegehren gestartet. Tatsächlich sammelten sie 7800 Unterschriften gegen den Abriss ihres Hochhauses und eines weiteren halbleeren Sechsgeschossers in der Nähe. Am 13. Juli folgt nun der Bürgerentscheid über das Schicksal der beiden Gebäude. Sollten mindestens 13.183 Frankfurter – jeder vierte Wahlberechtigte – für deren Erhaltung stimmen, müsste sich die Verwaltung daran halten – und das gesamte Programm des Stadtumbaus wäre gefährdet.

Seit 1990 wurden in Frankfurt bereits rund 6000 Wohnungen vorwiegend in Plattenbauquartieren abgerissen, bis 2020 sollen weitere 5000 folgen. Damit will die Stadtverwaltung dem Rückgang der Bevölkerung gerecht werden: Statt 89.000 Einwohner wie noch 1989 dürften 2020 nur noch 54.000 Menschen in Frankfurt leben.

Zwar ist es recht fraglich, ob die Wahlbeteiligung beim Bürgerentscheid hoch genug sein wird: Selbst bei der letzten Oberbürgermeister-Stichwahl haben es gerade einmal 37 Prozent ins Wahllokal geschafft. Doch im Rathaus fürchtet man einen Präzedenzfall. Die Mitglieder der Initiative hätten Ängste auch bei den Bewohnern anderer Plattenbauten geschürt, sagt Pressesprecher Sven Henrik Häseker. "Die Leute fürchten einerseits, durch Umzug aus ihrem sozialen Umfeld gerissen zu werden, und andererseits, keine gleichwertige Ersatzwohnung zu bekommen", sagt Häseker. Das aber komme nur im Einzelfall vor – und abgerissen werden müsse nun einmal. Zu teuer ist der Leerstand: 1800 Euro kostet eine ungenutzte Wohnung die städtische Wohnungsgesellschaft jedes Jahr. Wenn nicht diese Häuser abgerissen werden, dann werden es andere.

Norbert Strehl von der Bürgerinitiative glaubt dagegen, das Unternehmen wolle mit dem Abriss nur Gewinn machen. Schließlich gibt es aus dem Programm Stadtumbau-Ost für jeden abgerissenen Quadratmeter Wohnfläche 60 Euro. Allerdings nur bei Häusern, die mehr als sechs Stockwerke haben. Bei kleineren Gebäuden fließen nur 50 Euro pro Quadratmeter. Das umstrittene Hochhaus in Neuberesinchen habe 2000 Quadratmeter, "bringt also 60.000 Euro für die Wohnungsgesellschaft", rechnet er vor. Die Abrissfirma bekomme davon die Hälfte, will er aus sicherer Quelle erfahren haben. "Den Rest streicht das Wohnungsunternehmen ein." Bei nur fünfgeschossigen, in die Länge gezogenen Zeilenbauten sei der Aufwand höher und der Gewinn kleiner. Unsinn, sagt dazu Stadtsprecher Häseker: Die Elfgeschosser seien gerade wegen ihrer Höhe umso komplizierter abzureißen, verschlängen leerstehend aber besonders viel Geld und müssten deshalb weg.

Wenn es nach dem Willen der Bürgerinitiative ginge, sollte die Stadt von den Fünfgeschossern die oberen Stockwerke entfernen. "Die stehen sowieso überall leer." Doch diese Maßnahme ist Stadtsprecher Häseker zufolge fünf Mal so teuer wie ein Komplettabriss. Die Wohnungsunternehmen könnten sich das nicht leisten.

Allerdings könnte der Bürgerentscheid noch abgeblasen werde. Die Fraktion der Linken will auf der nächsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 10. Juli – drei Tage vor dem Entscheid – erreichen, dass die beiden Häuser von der Abrissliste genommen werden. Stadtsprecher Häseker befürchtet, dass der Antrag durchgeht, weil die Linke mit 17 von 46 Sitzen die stärkste Fraktion stellt. Und die Verwaltung fragt sich schon, wie sie in Zukunft den Stadtumbau planen soll, wenn sie in jedem Einzelfall von Voten der Stadtverordneten in Frankfurt (Oder) abhängig sei.

Doch wenn gar nicht mehr abgerissen würde, droht Häseker, könnte die Wohnungsgesellschaft irgendwann von den Leerstandskosten in die Pleite getrieben werden. "Dann kommt so ein Heuschrecken-Investor. Und wie die mit Mietern umspringen, weiß man ja." Andreas Wilhelm

Andreas Wilhelm

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