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Brandenburg: Frankfurt hofft auf den Kanzler

Tausende Unterschriften sollen die Bundesregierung überzeugen, die ausstehende Bürgschaft zu bewilligen

Frankfurt (Oder). Sie liegen in Schulen und Banken, beim Bäcker, in Autohäusern, im Rathaus und an vielen anderen Orten der Stadt – die Unterschriftenlisten unter dem Motto „Ohne Chips keine Chance“. Mit ihnen wollen die Frankfurter Druck auf die Bundesregierung machen, grünes Licht für eine 600-Millionen-Euro-Bürgschaft zum Bau der seit Jahren geplanten Chipfabrik vor den Toren der Stadt zu geben. Und es wird fleißig unterschrieben. Mehrere tausend Zettel wurden am Montagabend im Rathaus zusammengetragen. Am Mittwoch will Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU), der die Aktion initiiert hat, nach Berlin fahren und die Unterschriften im Bundeskanzleramt abgeben. „Wichtig ist die Symbolik“, erklärte der Sprecher der Stadverwaltung Heinz-Dieter Walter: „Der Kanzler soll sehen, dass die ganze Stadt hinter dem Großprojekt steht.“

Die zaudernde Haltung des Bundes zu der gewünschten Bürgschaftserklärung gefährde dagegen die Zukunft der Stadt und der ganzen Region. Schließlich, so der Oberbürgermeister, würde die Fabrik allein 1300 unmittelbare Arbeitsplätze schaffen. „Diese Menschen wollen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und sich nicht auf Alimente des Staates verlassen“, sagte Patzelt. Der Kanzler dürfe die Sorgen der Menschen in der schwer geprüften Region Ostbrandenburg nicht ignorieren. „Kommt die Bürgschaft nicht, ist die verheerende Signalwirkung auf ganz Ostdeutschland nicht abzusehen.“

Wegen des „Images unserer Stadt“ hat auch die 43-jährige Susanne Schumacher die Liste unterschrieben. „Frankfurt liegt doch selbst für Berliner weit ab vom Schuss und wird nur mit Grenzstaus und Kriminalität in Verbindung gebracht. So ein hochmodernes Werk würde da ein ganz anderes Bild vermitteln.“ Als „alter Halbleiterwerker“ stellte sich Hans Reimann vor. „Ich bin vor zehn Jahren in den Vorruhestand gedrängt worden – mit Mitte 50. Ich würde noch mal mit zupacken und mit mir sicher viele Ehemalige.“ Zu DDR-Zeiten zählte das frühere Halbleiterwerk noch 8500 Beschäftigte. Heute haben sich auf dem riesigen Firmengelände einige kleine Firmen angesiedelt, die zusammen auf lediglich rund 700 Arbeitsplätze kommen. Nach dem Ende dieses größten Arbeitgebers der Stadt setzte auch die dramatische Abwanderung ein. Statt 100 000, wie Anfang der achtziger Jahre für die nahe Zukunft erwartet, leben heute nur 67 000 Menschen in Frankfurt. 6500 Wohnungen stehen leer.

Auch viele Jugendliche unterschrieben den Brief an den Kanzler. „Ist doch nix los hier“, meinte der 20-jährige Markus im Oderturm. „50 Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz habe ich geschrieben. Nur Absagen.“ Immerhin 130 Jugendliche lernen schon bei der Communicant AG, die Chipfabrik bauen will. Doch mit ihnen sprechen kann man derzeit nicht. „Die sind sehr verunsichert“, erklärte eine Abteilungsleiterin. „Deshalb haben wir sie aufgefordert, nur mit unserer ausdrücklichen Genehmigung mit den Medien zu reden.“ Interviews müssen schriftlich beantragt werden.

Ein Teil der Azubis wird im neuen Institut für Halbleiterphysik (IHP) in Sichtweite der Baustelle für die Chipfabrik ausgebildet. Dort ist die Stimmung ebenfalls angespannt. Das IHP ist durch einen Forschungs- und Entwicklungsvertrag mit der Communicant AG verbunden. Zwar soll die Zukunft des angesehenen Institutes bei einem Scheitern der Chipfabrik nicht auf der Kippe stehen. „Wir sind eine gemeinnützige Einrichtung und haben Verträge mit vielen Partnern“, sagte Sprecherin Heidrun Förster. Dennoch wollen auch viele IHP-Beschäftigte an der heute Nachmittag stattfindenden Demonstration auf der Baustelle der Chipfabrik direkt an der Autobahn nach Berlin teilnehmen.

Dort soll ein „symbolisches Richtfest“ gefeiert werden. Auch Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) haben sich angesagt – ebenso wie das Brandenburgische Staatsorchester. Das will zur Demo auf ein für klassische Musiker eher ungewöhnliches Repertoire zurückgreifen – den Politikern nämlich den einen oder anderen Marsch blasen.

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