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Brandenburg: Giftige Kost für Brandenburgs Wappentier

Die Bleimunition der Jäger gefährdet die wenigen hier noch lebenden Seeadler Sie fressen verseuchte Kadaver, das Schwermetall schädigt ihr Nervensystem

Potsdam - „Majestätisch sehen sie aus, wie Könige unter den Vögeln“, schwärmt Rainer Altenkamp vom Naturschutzbund Berlin/Brandenburg in Potsdam. Einen „stolzen Blick“ habe der Seeadler, der größte deutsche Greifvogel und Brandenburgs Wappentier. „Er schwebt mit Schwingen von 2,30 Meter Spannweite übers Wasser und baut in Astgabeln Nester von bis zu zwei Metern Durchmesser.“

Doch über Neujahr hat Altenkamp „mal wieder“ zwei Seeadler in der Tierklinik der Freien Universität Berlin (FU) gesehen, die apathisch auf dem Behandlungstisch lagen. Sie waren flugunfähig oder gegen Maste geprallt, weil ihr Nervensystem nicht funktionierte. Diagnose: Bleivergiftung. Die Vögel hatten Aas gefressen, das nach Angaben der Tierärzte Reste bleihaltiger Jagdpatronen enthielt.

Beide Adler konnten nicht mehr gerettet werden. Sie starben unter Krämpfen, ebenso wie drei weitere Artgenossen, die Naturschützer im vergangenen Jahr in die Klinik gebracht hatten. „Bis zu 30 Prozent der tot oder krank aufgefundenen Seeadler sind Opfer einer solchen Bleivergiftung“, sagt der Toxikologe am Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung, Norbert Kenntner. Er vermutet, dass etliche Tiere auch unentdeckt verenden.

Deshalb ist nun ein Streit ausgebrochen zwischen dem Naturschutzbund (NABU) und den Jägern: Der NABU fordert ein Verbot bleihaltiger Jagdmunition. Denn der Seeadler steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Rund 400 Brutpaare leben noch in Deutschland, davon 100 an brandenburgischen Gewässern. Seeadler werden etwa 20 Jahre alt, ziehen jährlich ein bis drei Junge groß, sind an ihrem gelben Schnabel und weißen Schwanzfedern gut zu erkennen und jagen Fische, Enten, Blesshühner oder fressen Aas. Bei der Verdauung unterstützen sie äußerst aggressive Magensäfte, die sogar verschlungene Knochen schnell zersetzen. Aber diese Säfte können zum Verhängnis werden: Sie lösen auch Blei auf. Die Berliner FU-Veterinärmedizinerin Kerstin Müller fand im Blut der toten Adler „zweifelsfrei stark überhöhte Bleiwerte“.

Das Schwermetall stammt nach Einschätzung der Naturschützer zum einen aus Schrotmunition, mit der Wasservögel gejagt werden. Bleibt eine getroffene Ente unentdeckt, wird sie leicht eine Beute des Seeadlers – samt der Bleikugeln. Doch auch so genannte „Zerlegungsgeschosse“, mit denen Schalenwild getötet wird, enthalten das giftige Metall. Dringen sie in den Körper ein, so verbreitert sich ihr Bleikern vorne wie ein Pilzhut, erzeugt dadurch eine größere Wunde – und zersplittert beim Aufprall auf Knochen in kleine Teile. Hat der Jäger in Herznähe getroffen, führt das zum sofortigen Tod.

Die mit Splittern übersäten Fleischteile und Eingeweide der Beute werden meist vor Ort ausgeweidet und – mitunter – liegen gelassen. Verschlingt der Seeadler diesen „Aufbruch“, kann Blei sein Nervensystem schädigen und rote Blutkörperchen zerstören – Lähmungen und Erstickungsanfälle sind die Folge.

Der Landesjagdverband wehrt sich allerdings scharf gegen diese Vorwürfe. Auch der Jagdreferent im Landwirtschaftsministerium, Frank Oeser, sagt: „Es gibt noch keinen wissenschaftlichen Beweis, dass die Adler durch Bleimunition sterben.“ Außerdem werde der „Aufbruch“ meist vergraben, versichert Oeser und sagt, warum Jäger auf Bleigeschosse ungern verzichten: „Die haben beste ballistrische Eigenschaften.“ Immerhin würden neben Bleischrot inzwischen auch Zinkkugeln verwendet.

In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen ist Bleischrot bei der Wasservogeljagd aus Naturschutzgründen bereits verboten. In Brandenburg nicht.

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