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Seit 2007 arbeiten die Beamten aus Deutschland und Polen direkt auf dem ehemaligen Autobahngrenzübergang Swiecko zusammen. Rund um die Uhr beantworten die 64 Mitarbeiter mehr als 15 000 Anfragen im Jahr.

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Grenzkriminalität: Kurzer Grenzverkehr zwischen Polen und Deutschland

Verschobene Autos, gestohlene Maschinen: In Swiecko arbeiten deutsche und polnische Polizisten und Zollbeamte gemeinsam gegen Kriminalität.

Von Sandra Dassler

Der polnische Lkw-Fahrer schaffte es noch bis auf den Seitenstreifen. Die Nummer seiner Firma war im Handy eingespeichert. „Wahrscheinlich ein Schlaganfall“, flüsterte der Fahrer, „auf der A 24 kurz vor Ludwigslust“. Dann brach die Verbindung ab.

Die Kollegen der Firma im fernen Warschau informierten die polnische Polizei, die ihre Kollegen in Swiecko an der Oder, wo polnische und deutsche Beamte gemeinsam Dienst tun. Keine fünf Minuten später waren 600 Kilometer von Warschau entfernt Notarzt und Streifenwagen in Mecklenburg unterwegs, fanden den Lkw, konnten den Fahrer retten.

„So etwas ist ja eigentlich nicht unsere Aufgabe“, sagt Ulf Buschmann: „In erster Linie sollen wir Kriminalität bekämpfen, aber es ist auch schön, wenn man Menschenleben retten kann.“ Buschmann ist der deutsche Koordinator im Gemeinsamen Zentrum der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit. Er ist auch verantwortlich für die ebenfalls vertretene sächsische Landespolizei und die von Mecklenburg-Vorpommern sowie für die deutsche Bundespolizei und den deutschen Zoll. Für jede Behörde gibt es ein Pendant auf polnischer Seite.

Seit 2007 arbeiten sie hier zusammen, direkt auf dem ehemaligen Autobahn-Grenzübergang, östlich von Frankfurt und der Oder, also auf polnischer Seite. Mehr als 15 000 Anfragen beantworten die 64 Mitarbeiter im Jahr und zwar rund um die Uhr. Dabei sitzen sich für jeden Bereich polnische und deutsche Beamte direkt gegenüber: Ein Bundespolizist checkt beispielsweise die Anfrage, die sein polnischer Kollege gerade aus Bialystok an der weißrussischen Grenze erhalten hat. Dort wollen zwei gebürtige Afghanen einreisen und die Polen möchten wissen, ob diese in Deutschland bereits bekannt sind. Sie sind es.

Die beiden Zollbeamten sind mit Anfragen beschäftigt, bei denen es um Zigaretten- und Rauschgiftschmuggel geht. Die junge Frau von der polnischen Grenzpolizei überprüft derweil, ob 28 gebrauchte Autos, die von Gorzow, dem früheren Landsberg an der Warthe aus, nach England geliefert werden sollen, in Deutschland gestohlen wurden.

Ihr Kollege von der Wojewodschaftspolizei bearbeitet eine Anfrage aus Berlin. Dort wurden die Personalien eines Mannes festgestellt, der keinen deutschen, aber einen polnischen Führerschein vorwies. Die Berliner Polizisten wollen sichergehen, dass der echt ist. Der Computer spuckt die Antwort nach wenigen Sekunden aus: Der in Polen wohnhafte Mann hat noch nie einen Führerschein besessen.

Der direkte Zugriff auf die Computersysteme der jeweils anderen Seite ist auch fast sieben Jahre nach dem EU-Beitritt Polens nicht möglich, doch das gilt auch für Nachbarn wie Frankreich oder Holland. „Die hoheitlichen Rechte bleiben beim Staat, aber der kurze Weg ist besonders bei den operativen Einsätzen entscheidend“, sagt Ulf Buschmann.

Das hängt auch mit den unterschiedlichen Funknetzen und mit der Sprachbarriere zusammen. Inzwischen wisse aber jeder märkische Dorfpolizist, dass er in Swiecko anrufen kann und dort immer jemanden findet, der Polnisch spricht.

„Und umgekehrt“, sagt Jersz Kazimierz von der Wojewodschaftspolizei Lubuskie: „Wisst Ihr noch, die Geschichte mit den Kühen?“ Dann erzählt der 44-Jährige, der schon sein halbes Leben lang Polizist ist, wie sich eine polnische Bäuerin auf einem kleinen Gehöft südlich von Stettin wunderte, weil plötzlich zwei Kühe mehr als zuvor auf ihrem Feld standen. „Sie hat es der Polizei gemeldet“, sagt Kazimierz: „Und die haben es uns weitergeleitet. Unsere deutschen Kollegen haben wirklich den Besitzer der Kühe auf deutscher Seite gefunden.“

Der Alltag sieht meist anders aus. Bei etwa 30 Prozent der Anfragen geht es um Führerscheinabgleiche oder Kennzeichenüberprüfungen. Die übrigen betreffen vor allem Diebstähle, Betrug und auch Tötungsdelikte. Manchmal müssen die Beamten auch nur eine besorgte deutsche Ehefrau beruhigen, deren Mann von einer Zechtour aus dem Nachbarland nicht zurückgekehrt ist. In Polen gilt nämlich auch für Radfahrer eine Promillegrenze von 0,2 und wer dagegen verstößt, bleibt manchmal übers Wochenende in Polizeigewahrsam.

Der Erfolg des Gemeinsamen Zentrums sei schwer zu messen, sagen die Mitarbeiter. Zwar können sie beispielsweise darauf verweisen, dass gestohlene Fahrzeuge, die mit GPS ausgerüstet sind, inzwischen zu 95 Prozent ermittelt werden, aber die Beschwerden im deutschen Grenzgebiet reißen nicht ab. Besonders kleinere Firmen beklagen, dass der Diebstahl von Baufahrzeugen und -materialien an die Existenz geht. Buschmann und seine Kollegen wissen das. Sie versuchen, die Diebstähle nicht nur aufzuklären, sondern auch dafür zu sorgen, dass Fahrzeuge schnell zurückgegeben werden.

Klar hat man am ovalen gemeinsamen Lagetisch kürzlich auch über die Äußerungen des polnischen Botschafters Marek Prawda diskutiert. Der hatte gesagt, die Deutschen seien mit daran schuld, dass ihnen so viele Autos gestohlen würden. Die polnischen Kollegen konnten die Aufregung gar nicht verstehen. „Es ist einfach Fakt“, sagt der Polizeisprecher aus Gorzow, „dass bei uns die Diebstähle um 25 Prozent zurückgegangen sind.“ Das liege aber nicht nur an der guten Polizeiarbeit, fügt er bescheiden hinzu, sondern auch daran, dass die Versicherungen bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zwingend verlangten.

Aber natürlich habe Prawda da auch alte Vorurteile geweckt. Dabei müsste man den Spruch: „Kaum gestohlen, schon in Polen“ in „Kaum gestohlen, schon durch Polen modifizieren“, sagt Ulf Buschmann. Denn die meisten Beuteautos gehen tatsächlich weiter nach Osteuropa oder ins Baltikum. Manchmal kann man das gut verfolgen. So war eine um Mitternacht in Berlin entwendete Luxuslimousine wenige Stunden später in der Nähe von Lomza an der litauischen Grenze geortet worden. Weiter kamen die Ganoven dank des Anrufs aus Swiecko dann nicht mehr.

Die gemeinsamen Aufgaben und Erfolge schaffen im alten Grenzabfertigungsgebäude in Swiecko ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl von Deutschen und Polen. Das spüren auch die vielen Delegationen, die von überallher anreisen: aus Afrika oder Südamerika, aus arabischen Ländern oder vom Balkan. „Die kommen oft aus Ländern, die sich nicht so mögen“, sagt Ulf Buschmann: „Aber dann sehen sie, wie wir das hier machen und sagen sich, wenn Deutsche und Polen das bei dieser belasteten Geschichte können, können wir das auch.“

Es gibt freilich ein paar Dinge, wo absolut keine Annäherung möglich ist, sagt Buschmann. Er feixt: „Gemeinsames Mittagessen zum Beispiel geht gar nicht. Nicht wegen der Gerichte, sondern wegen der Zeit. Die Polen denken gegen 15 Uhr zum erstenmal ans Mittagessen. Da wären wir Deutsche längst verhungert.“

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