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Groß Glienicker See: Die Seeblockade bei Potsdam

Ein bisschen Bürgerkrieg: Das Volk baut Barrikaden, die Villenbesitzer verschanzen sich. Am Groß Glienicker See bei Potsdam eskaliert ein Konflikt: Wem soll das Ufer gehören – den Anwohnern oder allen?

Das Wasser ruht, es dämmert, und die Groß Glienicker strömen zum See. Einer trägt das Megafon, die anderen rufen verhalten „Buh!“, dann lauter und schärfer „Schämt euch!, schämt euch!“ und drohend „Wir kommen wieder“. Demonstrieren ist den meisten fremd, aber jetzt gibt es kein Halten mehr. Es hat sich Unmut aufgestaut, wie zuletzt vor 20 Jahren. Deshalb nennen sie ihren Protestmarsch Montagsdemo.

Bei der ersten, am Ostermontag, kam es zu einem Handgemenge . Ältere Damen aus Kladow fielen in die Hecken, ein Mann von einem privaten Wachschutz wurde verletzt. Ein Video über die Tumulte liegt jetzt bei der Staatsanwaltschaft zur Auswertung. Die Polizei schickt mittlerweile mehr Beamte.

Die Montagsdemos beginnen im Süden, an der Stichstraße Am Seeblick, dort haben sich vier „Sperrer“ verbarrikadiert, dann geht es den westlichen Uferweg hinauf zur Seepromenade, wo die Tumulte passierten. Dort hat die Stadt Potsdam einen Sperriegel aus Feuerdorn und Eiben inzwischen fachgerecht räumen lassen. Die Pflanzen wurden in die Kolonie Alexandrowka verbracht, wo ihre Besitzer sie wieder auslösen können. Das funktioniert wie beim Falschparken.

Groß Glienicke am westlichen Rand Berlins ist wieder gespalten. Nicht in Ost und West, diesmal geht es um die Frage, wem das Seeufer gehört. Der Allgemeinheit oder den Villenbesitzern, die es gekauft haben.

Vor 20 Jahren stand hier auf dem Ufer noch die Berliner Mauer, militärisches Sperrgebiet, seit Jahrzehnten unerreichbar für die Allgemeinheit. Ausgerechnet hier gibt es nun wieder Barrikaden aus Hecken, Erdwällen oder Gestrüpp, quer über den alten Kolonnenweg, den das Volk 1990 in Besitz genommen hatte, im Namen der Freiheit. Der alte Kolonnenweg ist den Groß Glienickern ein Garant der Freiheit, ein Heiligtum. Wer hier Hand anlegt, treibt selbst friedvollen Seniorinnen am Rollator die Zornesröte ins Gesicht.

So ähnlich war es kürzlich schon am Griebnitzsee, allerdings ist die Empörung in Groß Glienicke größer und nachhaltiger. Die Speerspitze des Protests bilden ehemalige Charlottenburger, Spandauer oder Kladower, die in den 90er Jahren zugezogen sind, um die wildromantische, über die Mauerjahre erhaltene Ursprünglichkeit Groß Glienickes zu erleben. Der von Mauern befreite Uferweg sicherte ihren Zugang zum See. Doch der Bund verkaufte, weitgehend unbemerkt, das Ufer samt Weg an die Alteigentümer, für 1,50 Euro pro Quadratmeter. Die verkauften dann weiter, mit satten Aufschlägen.

Hinter dem Panoramafenster seiner weißen Bauhaus-Residenz, die auf einer Anhöhe über dem See thront, verfolgen Gerd Zabel (Name geändert) und seine Frau die dritte Montagsdemo. Rund 150 Menschen nähern sich dem Grundstück. Ihre Sprechchöre schwellen an. Es ist wie am Vorabend einer Revolution: unten das empörte Volk, das mit den Fäusten droht, oben die Herrschaft, die spürt, dass ihr die Macht entgleitet. Zabel wirkt müde. Der erfolgreiche Werbeunternehmer im selbst gewählten Vorruhestand ringt sich ein Lächeln ab. „Immerhin lässt die Polizei sie nicht durch.“

Ob sie es wieder so machen würden, hierherziehen, ihren Traum vom Seegrundstück verwirklichen? „Nein“. Zabel schaut überrascht seine Frau an, die ohne Zögern geantwortet hat. So deutlich hätte er es nicht gesagt. Der Traum ist geplatzt, der Kontakt zur Ortsgemeinschaft zerbrochen. Irreparabel. Es gab Drohungen. „Euch wird nochmal die Bude abgefackelt.“ Oder der schicke Mercedes davor.

Die Zabels haben gekauft, als das Grundstück einer Abraumhalde glich. „Wir haben da Berge von Müll ausgegraben.“ Am Ufer gab es den alten Postenweg, um den sich niemand kümmerte. Dass ein Bebauungsplan existiert, auf dem der Weg eingezeichnet ist, und eine Satzung zum Landschaftsschutz, wussten Zabels. Danach darf das naturbelassene Ufer samt Weg nicht verändert werden. Aber die Beamten hatten es versäumt, den Weg zur allgemeinen Nutzung freizugeben und die Katastereinträge zu aktualisieren. Auch im Grundbuch ist kein Wegerecht vermerkt. Über diese juristische Mängelwirtschaft streiten sich Zabel und rund 30 andere Seeanrainer seit Jahren mit der Stadt Potsdam, zu der Groß Glienicke gehört. Zabel hat nichts dagegen, dass sein Uferweg von allen genutzt wird, nur das Ufergrundstück hätte er gerne für sich, mit Hecken drumherum, Zauntor und einem kleinen Badesteg. Das lehnt die Stadt ab. Nach einem halben Jahr Verhandlungen hat Zabel die Kompromisssuche abgebrochen und den Weg gesperrt. Die Gerichte mögen über sein Schicksal entscheiden, sagt er. Zur Not sollen sie ihn halt enteignen.

Damit ist ein politisch hoch kontaminiertes Wort gefallen, das in jeder Debatte um privatisierte Uferwege eine Rolle spielt, wenn auch gemildert durch den Zusatz: nur als ultima ratio. Enteignungen wären fatal für das Image Potsdams und die Kommunalwahl im Herbst. Nach den Nazis und den Kommunisten nun die Sozis!

Auch Burkhard Exner badet ab und zu im Groß Glienicker See, der für seine Wasserqualität berühmt ist. Exner, 52, Großmeister im Paragraphenschach, Kämmerer, SPD-Mitglied und rechte Hand von Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs. Exner hat schon am Griebnitzsee die Nadelstiche der gegnerischen Advokaten pariert. Am Ende, so sein Credo, siegt immer die Stadt. Deshalb bestellt Exner renitente Seeanrainer zum Einzelgespräch ins Rathaus. Dann erläutert er die „Sozialbindung des Eigentums“ und das „Kräfteparallelogramm unterschiedlicher Rechtsgebiete“, in dem der soziale Friede am Groß Glienicker See unterzugehen droht.

Der Uferweg bedeutet nicht nur Seeblick für alle, er hat auch eine voyeuristische Komponente. Nirgendwo sonst kann man den Bessergestellten so direkt in ihr privates Glück hineinschauen. Wie ihre Kinder im Garten spielen, wie die Familie im gläsernen Esszimmer zu Abend tafelt. „Im Sommer baden sie hier in Scharen nackt, abends steigen dann die Partys“, erzählt eine junge Mutter mit Seevilla. „Die fragen dann, ob sie mal auf Toilette gehen können.“ Richtig schön sei es nur im Winter.

Der eskalierende Konflikt führt dazu, dass bisher fruchtlose Einzelgespräche im Rathaus immer öfter in konkrete Kompromisspapiere münden. Olaf Bartel wollte sein Seegrundstück schon sperren. Nach seinem Rathaus-Termin ist sein Groll plötzlich wie weggeblasen. Er werde sein Seegrundstück wohl einzäunen dürfen. Und den gewünschten Steg, so hofft er, bekommt er auch.

Stege und Einfriedungen verstoßen allerdings klar gegen den Landschaftsschutz. In den Kompromisspapieren sind Stege deshalb euphemistisch als „Einstiegshilfen“ zum Baden umschrieben, Zäume laufen unter „Rankhilfen“. „Das sind alles Ausnahmen“, bestätigt Exner. Man muss nur den Eindruck vermeiden, aus den vielen Ausnahmen würde eine Regel werden. Ob diese Winkelzüge vor den Gerichten Bestand haben, ist völlig offen.

Vor Ort nimmt jeder selbst sein Recht in die Hand. Am Sperr-Erdwall eines Medizinprofessors prüft ein Montainbiker mit Helm und Sportbrille, ob der Zeitpunkt für einen Durchbruch günstig ist. „Das ist hier der Todesstreifen“, flachst er. An den Wochenenden verteidigt der Professor sein Ufergrundstück eigenhändig vor Eindringlingen. Weil er nicht überall gleichzeitig sein kann, hat er einen Wachschützer mit Hund an seiner Seite. Jetzt ist Dienstag, und von den Verteidigern ist nichts zu sehen. Einige Radfahrer steigen trotzdem ab und quälen sich verschämt durchs Unterholz. Am Wall entspinnen sich sofort rege Gespräche: Auf welcher Seite stehst du? Für den freien Uferweg oder dagegen?

Einer der Nachbarn vom Professor, der Villenbesitzer und PR-Unternehmer Antonius Flaskamp, wirbt öffentlich für den Uferweg. Er hat schon 1995 ein Seegrundstück gekauft. „Der Weg war ja da. Mir war völlig klar, dass er offen bleiben muss. Ich will ja selber um den See gehen.“ Flaskamp gilt bei den Sperrern als Verräter.

Montagsdemonstrant Peter Fuhrmann hat noch zu DDR-Zeiten sein Grundstück gekauft, abseits vom See, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen. Im Frühjahr 1990 schwamm der ehemalige Kaufmann von Kladow aus ans Westufer und kletterte über die Mauer in den Osten. „Das war eine Genugtuung“. Jetzt will er die Errungenschaften der Wende verteidigen. Wie Peter Kaminski, der früher Offizier bei den Grenztruppen war und heute der Ortsvorsteher von Groß-Glienicke ist. Kaminski will keine Mauern mehr, nirgends, aber er will auch keinen Bürgerkrieg.

Krieg, so nennen es „Bild“ und „Superillu“. RTL schickt immer mal wieder einen Reporter. Vermittlungsstelle für bildstarke Schauplätze ist meistens Andreas Menzel, der lang gewachsene Radikal-Grüne. Menzel hält jeden Kompromiss mit Villenbesitzern für eine Schacherei wider Gesetz und Naturschutz. Er hat die Bürgerinitiative „Freies Ufer“ gegründet und führt bei den Montagsdemos das Wort. Als die anderen, die gemäßigten Groß Glienicker, davon hörten, gründeten sie gleich noch eine Bürgerinitiative, eine Anti-Menzel-Initiative mit dem wohldosierten Titel „Für einen freien Uferweg“. Die demonstriert meistens am Sonntag auf der Badewiese und lässt den Villenbesitzern ihre Ruhe.

Menzel wohnt mit seinen drei Kindern landeinwärts zur Miete. Er will, dass die Stadt auf dem Grundsatz beharrt: öffentliches Interesse vor Eigennutz. Die Kompromiss-Verträge – einige sind schon besiegelt – möchte er gerne einsehen, aber die Stadt lässt ihn nicht. Wenn er mal einen Vertrag in die Hände bekommt, werde er sofort Umweltministerin Anita Tack alarmieren. „Die weiß schon Bescheid. Es kann keine Ausnahmen geben. Jeder Kompromiss ist ein unzulässiges Kopplungsgeschäft: Steg gegen Weg.“

Nach den Montagsdemos, wenn die Nacht langsam in die Landschaft sickert, gehen die Groß Glienicker nach Hause, als kämen sie von einem geselligen Umtrunk. Eine pensionierte Lehrerin, gebürtig aus Kladow, schwärmt von Mondscheinnächten am See. Sie kennt Zabel schon lange. „Das geht ihm an die Nieren, den ganzen Ort gegen sich zu haben. Hier kommt er nicht mehr zur Ruhe.“ Eigentlich sei er ja ein netter Mann.

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