zum Hauptinhalt
Weißes Gold. Weil die Preise in Polen gestiegen sind, decken sich Kunden von dort verstärkt in Deutschland ein. Foto: dpa

© dpa

Hamsterkäufe an der Grenze: Ein Kilo Zucker pro Person

Manche Läden in der Grenzregion rationieren den Verkauf von Zucker. Die deutschen Kunden reagieren zähneknirschend auf den Käuferansturm aus Polen.

Von Sandra Dassler

Guben/Frankfurt (Oder) – Im „Kaufland“ der Neißestadt Guben wird an diesem Nachmittag in zwei Sprachen geflucht, aber zumindest die polnischen Bemerkungen versteht die Verkäuferin nicht. „Seit 1991 bin ich schon hier“, sagt sie: „Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Die Verkäuferin steht neben einem großen leeren Regal, in dem sonst der Zucker liegt. Wenn ein Kunde nachfragt, greift sie in eine Kiste und holt eine Tüte heraus. „Wir geben nur eine pro Person ab“, erklärt sie: „Tut mir leid, aber sonst reicht unser Vorrat nicht. Am Montag gibt es wieder genug.“

Nur wenige Käufer nehmen den Zucker und die Erklärung kommentarlos entgegen. Ein polnischer Mann versucht zu feilschen: „Prosche, bitte, zwei“ sagt er. Eine Beamtin aus Guben kann sich gar nicht mehr beruhigen. „Ich bin deutsche Steuerzahlerin“, erregt sie sich: „Ich will fünf Tüten Zucker! Fünf! Zeigen Sie mir die rechtliche Grundlage dafür, dass Sie hier den Zucker rationieren!“

Nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, im „Supermarket“ der polnischen Grenzstadt Gubin auf der anderen Seite der Neiße, türmen sich die Kilotüten Zucker. Der „Cukier“ stammt von der gleichen deutschen Firma wie in Guben und ist als „Super Cena 4,79 Zloty“ ausgepreist. Doch der angebliche Superpreis entspricht etwa 1,25 Euro und ist damit fast doppelt so hoch wie auf deutscher Seite. Das führt seit einigen Wochen zu regelrechten Hamsterkäufen in den Grenzgebieten. Von der Ostsee bis zum Zittauer Gebirge kommen polnische Händler mit Kleintransportern und manchmal sogar Lastkraftwagen über die Grenze. Besonders in den kleineren Ortschaften entlang der Grenze gibt es dann schon mal ein paar Tage keinen Zucker.

Bei manch Älterem weckt das Erinnerungen. „Das ist ja wie zu DDR-Zeiten“, sagt eine Rentnerin in Neuzelle: „Da haben uns die Polen auch immer alles weggekauft: Schuhe, Kinderkleidung, Essen – alles, was bei uns subventioniert und deshalb billiger war.“ Tatsächlich gab es in den 70er und 80er Jahren oft Unmut. Viele Polen arbeiteten in DDR-Betrieben: in Guben in der Textilindustrie beispielsweise oder im Stahlwerk Eisenhüttenstadt. Natürlich kauften sie subventionierte Kinderkleidung oder Schuhe, manchmal auch in größeren Mengen, so dass die Einheimischen das Nachsehen hatten – schließlich herrschte Mangel.

In größeren Städten sieht man die heutige Situation gelassener: „Frankfurt hat so viele Geschäfte und immer weniger Menschen“, sagt dort ein Taxifahrer: „Das ist doch gut, wenn unser Handel hier Umsatz macht. Bis jetzt hat der Zucker immer noch gereicht. Und die Deutschen fahren doch auch alle zur Tankstelle oder zum Friseur nach Polen.“

Der Groß- und Einzelhandel in den Grenzstädten lebt seit Jahren sehr gut von den immer kaufstärkeren polnischen Nachbarn. Ob Garten- und Baumärkte, Elektronikgeschäfte oder kleine Süßwarenläden – Qualität und Preis sind nach Ansicht vieler Polen in Deutschland besser.

Warum aber der Preisunterschied bei Zucker so groß ist, gibt Rätsel auf. Polnische Händler berichten von einer angeblich schlechten Ernte im Jahr 2010 und von Spekulationen an den internationalen Rohstoffmärkten. Wichtige Exporteure hielten das Angebot künstlich niedrig, um die Preise in die Höhe zu treiben. Warum dann aber nur in Polen und nicht in Deutschland?

Selbst im brandenburgischen Wirtschaftsministerium weiß man die Antwort nicht. Oder will sie aus Rücksicht auf die polnischen Nachbarn nicht verkünden. Die polnische Regierung begründet den Engpass laut Presseberichten mit der Zuckermarktreform der Europäischen Union vor einigen Jahren. Nun reiche die von der EU streng festgelegte Produktionsmenge von knapp eineinhalb Millionen Tonnen Zucker nicht mehr für die gewachsene Nachfrage aus. Kritiker im Nachbarland vermuten hingegen, dass Polen in den vergangenen Jahren – entgegen der offiziellen Statistik – viel mehr Zucker als früher exportiert hat.

Engpässe bei Zucker gab es in Polen schon öfter – und nicht nur in kommunistischen Zeiten. Kurz vor dem Beitritt des Landes zur EU kam es beispielsweise im April 2004 zu Hamsterkäufen und dadurch ausgelösten massiven Preissteigerungen. An einen Ansturm auf deutsche Supermärkte könne sie sich aber nicht erinnern, sagt die Verkäuferin im Gubener „Kaufland“ grimmig, und verteilt trotz aller Beschimpfungen weiter eine Tüte Zucker je Kunde: „Wie gesagt. So etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false