zum Hauptinhalt

Brandenburg: ibn Ya’qub al-Isra’ili

und Oder. Inzwischen leben rund 35000 Menschen aus dem Orient in Berlin. Wir stellen neun von ihnen vor

Wer den Orient in Berlin sucht und Araber danach fragt, hört einen Satz immer wieder: „Ich fühle mich eigentlich nicht als Araber.“ Kein Wunder, stammen die arabischen Berliner doch aus rund zwanzig verschiedenen Staaten. Heute leben etwa 35000 Araber in Berlin. Ganz exakt lässt sich die Zahl der arabischen Berliner nicht ermitteln, viele sind als staatenlose Palästinenser eingereist. Mit über 6000 sind die Libanesen, die während des Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1989 ihr Land verlassen mussten, die stärkste Gruppe unter den arabischen Berlinern. Neben den Muslimen gibt es auch etliche arabische Christen unterschiedlicher Konfessionen, wie Kopten, Katholiken oder Protestanten. Auch wenn die Berliner Araber keine homogene Gruppe bilden, verbinden die meisten dennoch gemeinsame Traditionen und – nicht zuletzt – die Sprache.

Der erste Araber, der in den Berliner Raum kam, stammte aus Spanien und hieß Ibrahim ibn Ya’qub alIsra’ili. Außer seiner Route ist über die Reise des jüdischen Kaufmanns nicht viel zu erfahren, was nicht verwunderlich ist, denn die hiesige Gegend war im Jahr 965 wüst, unsicher und bot einem Reisenden kaum Grund zu verweilen. Nach seinem Abstecher ins Brandenburgische dauerte es jedenfalls fast 900 Jahre, ehe nachweislich wieder Araber in unsere Gegend kamen.

Im Gegensatz zu den türkischen Berlinern, die früher als Gastarbeiter nach Deutschland geholt wurden, stammen nur wenige Araber aus so genannten „Anwerbestaaten“: Es sind nur die Marokkaner und Tunesier. Die anderen kamen als Flüchtlinge, Studenten oder Geschäftsleute. Inzwischen sind die arabischen Berliner überall in der Stadt präsent, durch den Umzug vieler Botschaften ist das arabische Berlin noch vielfältiger geworden: Es gibt arabische Künstler, Journalisten, Schriftsteller, Ärzte, Lehrer, Geschäftsleute, Gastronomen – wir stellen einige von ihnen vor.kf

* * *

Der Radiomacher

Eigentlich wollte Haroun Sweis nur für einen Urlaub kommen. Jetzt lebt er seit 25 Jahren in Berlin. Hier hat der 50-Jährige seine Familie und so viel zu tun, dass er nur noch selten zum Besuch nach Jordanien fliegt. Sweis ist: Redakteur der arabischen Sendung bei Radio Multi-Kulti, Organisator arabischer Kulturveranstaltungen, Regisseur und auch noch Sozialarbeiter. Er fühlt sich wohl in Berlin, wie er sagt, und das hat seine Gründe: Als seine Schulfreunde in Amman nur Autos und Fußball im Kopf hatten, verschlang Haroun Sweis Dramen von Bertolt Brecht und Romane von Günter Grass – auf arabisch. Literatur und Theater, das war seine Welt, in die wollte er hineinkommen. Dass Berlin dafür kein schlechtes Pflaster ist, entdeckte er Ende der 70er und studierte an der FU Theaterwissenschaften. Und dann diese Deutschen! Legten sich vor Bäume, um gegen deren Abholzung zu demonstrieren, und verschandelten ihre Autos mit Anti-Atomkraft- Aufklebern. Das war alles so anders als die Welt, die Haroun Sweis aus Jordanien gewohnt war. Da musste er einfach hier bleiben. Seit den Anschlägen vom 11. September denkt er allerdings doch wieder über die Rückkehr ins „Heimatland“ nach. Da ist auf einmal dieses Gefühl, nicht mehr erwünscht zu sein, stets für einen Islamisten gehalten zu werden, nur weil man Araber ist. Dass auch in den arabischen Ländern die meisten Leute einfach nur ganz normal leben, sei den Deutschen immer schwerer zu vermitteln. Warum sollte man denn nicht freitags in die Moschee gehen – einfach so, weil das für einen Moslem nun mal dazu gehört?clk

Sein Lesetipp: „Ich bin als Mensch gekommen“ von Sophia Deeg.

* * *

Die Lehrerin

„Mit einigen Freunden spreche ich arabisch, mit meiner Familie ausschließlich deutsch – mein Mann stammt nämlich aus Bayern!“ Nihal Adler ist 47 Jahre alt und lebt seit mehr als 15 Jahren in Berlin. Sie unterrichtet an der Staatlichen Internationalen Gesamtschule in Charlottenburg Englisch. Berlin ist für Adler das Ende einer Kette von Auslandsaufenthalten: Sie wurde in Ägypten geboren, studierte und arbeitete später acht Jahre in Kuweit und machte dann ihren Studienabschluss in Amerika. Nach zwei Jahren in Frankreich wurde sie dann 1987 in Berlin als Lehrerin „sesshaft“. „Das Schöne an meinem Beruf ist, dass alles, was ich in meinem Leben gesehen und erlebt habe, wichtig ist. Ich kann es an meine Schüler weitergeben!“ Sie hält den festen Kontakt in ihre Heimat Ägypten, wo ihr Vater, ein bekannter Theaterregisseur, und ihre Mutter, eine Schauspielerin, leben. Wahrscheinlich sei es kein Zufall, dass viele ihrer Freunde aus dem arabischen Raum stammen, sagt Adler. „Einfach, weil ich es genieße, ab und zu noch arabisch sprechen zu können.“ kw

Ihr Lesetipp: „Eine Frau am Punkt Null“ von Nawal el Saadawi.

Der Dolmetscher

Vor dem Pharao im alten Ägypten mussten sich alle Untertanen niederwerfen und seine Füße küssen, bei zwei Berufsgruppen verlangte das Protokoll dagegen nur einfaches Niederknien: den Ärzten und Dolmetschern. Diese Geschichte erzählt Mohamed Kehila gerne, beweist sie doch den Rang und die Ehre einer äußerst delikaten Position als Mittler zwischen zwei Welten. Der kleine runde Mann aus Tunesien ist der dienstälteste Dolmetscher am Kriminalgericht Moabit. Er hat den Terroristenprozess zum Anschlag auf die Diskothek La Belle mitgemacht. Aber darüber zu reden sei zu gefährlich, sagt Kehila. Vor dem Terror waren es die Drogen. Viele Araber reisten früher mit falschen Papieren über den Ost-Berliner Flughafen Schönefeld in die Stadt, „geborene Outlaws“, sagt Kehila. „Die Stadt war sehr großzügig.“

Inzwischen erlebt er die dritte Richtergeneration. In den 60er Jahren, erzählt Kehila, waren noch Richter vom Volksgerichtshof in Amt und Würden. „Da konnte man im Saal eine Fliege surren hören.“ Der Respekt vor der Justiz habe seitdem sehr abgenommen. Vor kurzem sei ein Richter sogar von einem Angeklagten geohrfeigt worden.

Kehila stammt aus einer begüterten Familie Tunesiens. Sein Vater war gläubiger Muslim, aber seine Kinder emanzipierten sich von den religiösen Gesetzen. „Meine Schwester war die erste Frau Tunesiens, die den Schleier ablegte. Als Kinder haben wir in der Moschee den Gläubigen immer die Füße gekitzelt.“ Kehila bezeichnet sich heute als Atheist.

Nach dem Abitur an einer renommierten Schule studierte Kehila Sprachen an der Pariser Sorbonne und kam durch die Vermittlung eines deutschen Studienfreundes nach Berlin. 20 Jahre lang arbeitete er an der Dolmetscherschule in Dahlem, bevor er sich selbstständig machte. Wenn der tunesische Präsident in Deutschland ist, wird er von Kehila begleitet. Schließlich kennt man sich noch aus der Schulzeit. So hat er die Kanzler von Brandt bis Kohl getroffen. Kohl hat er in besonders guter Erinnerung. Als bei einem Arbeitsessen die Dolmetscher nichts serviert bekamen, habe sich der Altkanzler sofort an den Protokollchef gewandt. Als der auf die einschlägigen Regularien verwies, habe Kohl gesagt: „Ich bin das Gesetz.“ Und das Gesetz befahl, die Dolmetscher sofort zu beköstigen. Feilschen mag Kehila übrigens gar nicht. Die meisten Araber schickt er gleich an einen Kollegen weiter, der günstiger ist. Beim Kriminalgericht gibt es feste Sätze und Zulagen für besonders schwere Fälle. Das weiß Kehila zu schätzen. Eines seiner deutschen Lieblingswörter ist „korrekt“. 66 Jahre ist er jetzt alt. Sein Sohn soll mal das Geschäft übernehmen. Der ist auch Dolmetscher. Wie schon Mohamed Kehilas Vater. loy

Sein Lesetipp: die Arabien-Bücher von Peter Scholl-Latour – und die Polemiken des US-Amerikaners Michael Moore.

* * *

Die Sozialarbeiterin

Mit dem Pass kommt man über die Grenze. Die Sprache ist der zweite Pass, mit dem kommt man in die Gesellschaft, sagt Lina Ganama. Als sie vor 18 Jahren aus Damaskus nach Berlin kam, weil ihr Mann nach dem Studium hier eine Arbeit gefunden hatte, stand für sie fest: Ich muss schnell Deutsch lernen und arbeiten. Seit 17 Jahren hilft sie als Sozialarbeiterin im Nachbarschaftsheim in Schöneberg arabischen Frauen mit dem Aufenthaltsrecht, bei der Einschulung der Kinder, berät bei Eheproblemen. Es kommen immer mehr, sagt Ganama, arabische Frauen würden ihre Chancen bewusster aufgreifen und Probleme entschiedener angehen. Lina Ganama spricht schnell, denn Zeit hat sie nie. Wenn sie nicht im Nachbarschaftsheim ist, auf ihre zehn- und 13-jährigen Töchter aufpasst, dolmetscht sie ehrenamtlich für arabische Eltern an Schulen, begleitet sie zu Elternabenden… Es nervt sie zuweilen, dass viele Deutsche denken, sie sei „einer Geschichte aus 1001 Nacht entstiegen“. Überhaupt, diese Deutschen! Auf einmal sagen sie nicht mehr „Ausländer“, sondern „Bürger nicht-deutscher Herkunft“, abgekürzt „ndH“. Ganama sagt: „Ich will lieber Ausländerin sein, als ndH – das klingt ja wie eine Krankheit!“ Gerade hat sie ihren 47. Geburtstag gefeiert, richtig alt werden mag sie in Deutschland aber lieber nicht. Sie möchte dann bei ihren Geschwistern in Syrien sein – mit denen sie auch jetzt oft zusammen ist. Es vergeht kein Tag, an dem sie nicht nach Damaskus telefoniert. clk

Ihr Lesetipp: „Im Herzen Arabiens“ von Michael Lüders.

* * *

Der Unternehmer

Direkt an der Eingangstür trennen sich die Anfänger von den Profis. Die Neuen bleiben zuweilen wie angewurzelt stehen, versuchen, ihre Sinne zu ordnen: In der Luft hängt ein Duft aus libanesischen, persischen, indischen und chinesischen Gewürzen, in den Regalen geht es kunterbunt durcheinander: Flaschen, Tüten, Brettspiele, Konserven, Wasserpfeifen, Instrumente… Die Kenner bei „Harb“ aber gehen schnurstracks durch: zu den frischen Okra-Schoten, dem Koriander, den Datteln. „Nur hier gibt es die frische Nana-Minze“, sagt Stammkunde Nadim.

Nadim kommt aus dem Jemen, aber inzwischen ist die Hälfte der Kundschaft deutsch. „Viele arbeiten drüben in den Konsulaten und Botschaften“, sagt Adib Harb (62). Geboren ist Harb im Libanon, in einem Ort 1800 Meter über dem Meeresspiegel. Er kam 1967 nach Berlin, studierte Volkswirtschaft, arbeitete danach für das libanesische Konsulat. Seinen Großhandel eröffnete er 1984 in der Potsdamer Straße, mit seiner Familie – seine Frau ist Deutsche – lebt er in Grunewald. Harb sagt, dass er sich „noch irgendwie“ als Libanese fühle, aber Deutschland ihm die notwendige Sicherheit gebe. Was sich in all den Jahrzehnten in seiner deutschen Heimat verändert hat? „Früher hat man weniger gearbeitet, aber mehr Geld verdient.“ kf

Sein Lesetipp: „Der Prophet“ von Khalil Gibran.

* * *

Die Autorin

Salima Salih lebt seit 26 Jahren in Lichtenberg, mit den Gedanken ist sie die meiste Zeit in Bagdad. Jeden Tag liest sie im Internet arabische Zeitungen und diskutiert mit ihren arabischen Freunden über ihre Heimat. „Ob Lichtenberg DDR war oder jetzt BRD ist, das ist nicht wichtig“, sagt die 62-jährige Schriftstellerin, „alles hängt von der Situation im Irak ab.“ Damit meint sie ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Vor anderthalb Jahren, als die Amerikaner Saddam Hussein verjagt hatten, war die Schriftstellerin euphorisch: Jetzt schien der Moment gekommen, auf den sie und ihr Mann so lange gewartet hatten, endlich würden sie zurückkehren können. Die Euphorie ist verflogen. „Es wird noch sehr lange dauern, bis man im Irak wieder leben kann.“ Vorerst sei die arabische Sprache ihre Heimat, sagt Salima Salih in perfektem Deutsch. Sie hat zahlreiche Erzählungen veröffentlicht – auf Arabisch. Die meisten handeln von ihrer Kindheit und Jugend im Irak. Immer mehr beschäftigen sich aber auch mit dem Alltag in Berlin. Dann erzählt sie, dass sie sich neulich zum ersten Mal mit der Figur eines Deutschen in einem französischen Roman identifiziert hat. Ein Zeichen, dass sie sich hier nicht mehr fremd fühlt. Besonders fremd habe sie sich 1990 inmitten all der Deutschen im Einheitstaumel gefühlt. Ihr Sohn ist hier aufgewachsen, in der DDR auf die Schule gegangen und studiert im Moment in London. Er ist der Anker, der die Familie im Westen hält. clk

Ihr Lesetipp: Geschichten aus 1001 Nacht

* * *

Der Gastronom

Samira? Mesa? Libanesische Küche? Mit dem ersten Restaurant von Mazhar Hamzeh (67) konnten die Berliner Mitte der 60er Jahre herzlich wenig anfangen. Also sattelte Hamzeh nach drei Monaten um: „Die Pizza kam da gerade groß in Mode“, sagt Hamzeh. Der Libanese heuerte einen italienischen Koch an und verdiente fortan sein Geld als Pizzeria-Chef. In Kreuzberg, Marienfelde und Lichtenrade. „Steffel, Schäuble, Wowereit – alle haben sich in unser Gästebuch eingetragen“, sagt Hamzeh. Mit 19 Jahren war Hamzeh aus dem Libanon nach Berlin gekommen, in der „Badewanne“, einem Jazzlokal, lernte der Student seine deutsche Frau kennen. In den 90er Jahren sattelte der Restaurant-Chef noch einmal um – auf deutsche Küche. Hamzeh übernahm das Gasthaus Ranke gegenüber der Gedächtniskirche. Das Sprachengewirr der englischen, französischen, italienischen und japanischen Touristen war das Schönste, sagt Hamzeh. „Und selbst im August war Eisbein der Renner.“ Sein Sohn Samir arbeitet heute als Städteplaner, aber Karim ist vor zwölf Jahren in die alten Spuren des Vaters getreten: Er eröffnete in Wilmersdorf ein libanesisches Restaurant. „Ein voller Erfolg“, sagt Papa Hamzeh. Das Lokal trägt die Spezialität sogar im Namen: „Mesa“ bedeutet nämlich Naschen. Arabische Klänge schweben durch den Raum, ein paar Fundstücke und eine historische Wasserpfeife sind der Schmuck. An den Tischen essen sich die Gäste durch die Vielfalt libanesischer Köstlichkeiten wie Kichererbsenmus, weiße Saubohnen, Fleischspießchen oder Petersiliensalat. Hamzeh senior ist heute offiziell Rentner, im Mesa ist er fast täglich anzutreffen. Dass seine Söhne nicht Arabisch sprechen, sei schon schade, sagt Hamzeh – zuckt dann aber mit den Schultern: „99,9 Prozent unserer Gäste sind deutsch“. kf

Sein Lesetipp: die Werke des ägyptischen Nobelpreisträgers Najib Mahfouz

* * *

Die Augenärztin

Das Temperament hat sie aus Damaskus, die Genauigkeit aus Bad Neuenahr. Rima Bitar-Vollmer ist eine genetische Mischung aus Arabien (Vater) und Deutschland (Mutter). Gelegentlich entlädt sich diese Mischung in hymnischen Girlanden: „Berlin ist die schönste und multikulturellste Stadt der Welt.“ Darauf folgt allerdings bald ein scharfer Verweis: Zum Geldverdienen tauge diese Stadt nicht – ganz im Gegensatz zu Bad Neuenahr. Die Augenärztin Rima Bitar-Vollmer stammt aus Damaskus. Die Bitars gehören in Syrien zur Prominenz. Ein Cousin ihres Vaters gründete die syrische Baath-Partei und war eine Zeit lang Ministerpräsident, ein anderer das geistliche Oberhaupt der Stadt. Ihr Vater studierte in Jena Medizin – dort lernte er ihre Mutter kennen und ging mit ihr zurück nach Damaskus, um eine Frauenarztpraxis zu eröffnen. Zu Hause wurde Arabisch und Deutsch gesprochen, auf der Schule Französisch. So lernte Rima drei Sprachen. Die Schule wurde von Ordensfrauen geführt und verlangte den Kindern viel Fleiß und Disziplin ab. Rima sollte Ärztin werden, verfügte der Vater und schickte sie zum Studium nach Kairo. Nach seinem Tod ging Rima mit ihrer Mutter nach Deutschland und machte in Bonn den Facharzt. In Bad Neuenahr eröffnete sie eine Praxis; dort brauchte man Augenärzte. Irgendwann hatte sie genug von der engen Provinz und ging nach Berlin. In religiösen Fragen ist Frau Bitar-Vollmer tolerant. Sie sei gläubige Muslimin, „aber nicht praktizierend“. Ihre Kinder sind christlich erzogen, weil ihr verstorbener Mann Katholik war. Feste wie Ramadan oder Weihnachten wechseln sich munter ab – so war es für sie schon als Kind in Damaskus. Arabische Frauen, die tief verschleiert in die Praxis kommen, ermuntert sie, sich nicht abzukapseln und Deutsch zu lernen. Insgeheim bedauert sie diese Frauen. loy

Ihr Lesetipp: die Werke der algerischen Autorin Ahlam Mostaghanemi.

Der Familienberater

Wasserpfeife raucht er gerne, sagt sein Freund. Aber auch ein Bierchen würde er nicht ablehnen. Zacharias Wahbi kann wie ein Araber feiern, aber auch wie ein Deutscher. Auf seinen Partys fühlen sich deshalb alle wohl. Auch in seinem Beruf als Familienberater bringt Wahbi Deutsche und Araber an einen Tisch. Man nennt ihn auch den „Bürgermeister des arabischen Berlins“. Wahbi ist Libanese. In Beirut war sein Vater Konditor und seine Mutter Beamtin in der Stadtverwaltung. Als Zacharias 1974 seinen Bruder besuchte, der in Berlin studierte, brach der Bürgerkrieg aus. Mit 19 Jahren stand er vor der Entscheidung: hierbleiben oder zurück in ein zerrissenes Land. Er blieb, fand einen Job bei Wittler-Backwaren und richtete sich im Mauer-Berlin ein. Mitte der 80er Jahre gründete er „Wahbis Back- und Süßwaren“, wurde erfolgreicher Unternehmer und machte die Berliner mit Falafeln bekannt.

Bei einer weiteren Firmengründung erlitt er dann finanziellen Schiffbruch und machte bald darauf die unbequeme Erfahrung, Antragsteller in einem Sozialamt zu sein. Wahbi traf auf den Fluren viele Landsleute, die sich im Paragraphendickicht noch weniger auskannten als er. Das war der Einstieg in seinen neuen Beruf: Berater für arabische Familien. Wahbi tat sich mit einem Anwalt für Straf- und Ausländerrecht zusammen und wurde eine wichtige Anlaufstelle – eben „der Bürgermeister“. Ehrenamtlich ist er auch Bewährungshelfer für arabische Jugendliche, die straffällig geworden sind. Wahbi ist Moslem, hat vier Kinder und eine libanesische Frau. Er interessiere sich weniger für die Religion als für den Charakter eines Menschen, sagt er. In Berlin fühlt er sich als Berliner, seine Heimat Beirut ist ihm inzwischen fremd geworden. „Nach zwei Wochen im Libanon muss ich zurück nach Berlin.“ loy

Sein Lesetipp: vor allem die Literatur ägyptischer Autoren.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false