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Brandenburg: In der Geschichte graben

24000 ärchaologische Fundstätten gibt es in Berlin und Brandenburg – nur ein Bruchteil davon wurde bisher ausgewertet

Potsdam. In der verputzten Dachschräge klemmte das Buch, das zum sensationellen Kunstfund ausgerufen wurde. Das Buch wurde (wie gestern berichtet) 1712 gedruckt, ein Foliant mit Kupferstichen von der Krönung Friedrichs III. zum König von Preußen. Der Fund in Branitz war ein Zufall. Das Haus wird gerade saniert. So wie die meisten Fundorte in Brandenburg bei Baumaßnahmen auftauchen. Etwa 24000 archäologische Fundstätten vermuten Experten im märkischen Sand. Doch bisher wurde nur ein Bruchteil davon ausgewertet. Die Archäologische Gesellschaft Berlin und Brandenburg e. V. und die beiden Archäologischen Landesämter dokumentieren im Jahrbuch „Archäologie in Berlin und Brandenburg“ die wichtigsten Ergebnisse der Grabungssaison 2001. Einige Beispiele:

Neandertaler im Havelland : Mit dieser archäologischen Sensation hatte keiner gerechnet: Bei Schachtarbeiten im Ortskern von Falkensee (Landkreis Havelland) kamen 40 000 Jahre alte Spuren menschlicher Besiedlung ans Tageslicht. Die kleinen Messer aus schwarzem Basalt stammen von den wohl ältesten Brandenburgern überhaupt. In der Umgebung gefundene Mammutreste lassen vermuten, dass die urzeitlichen Jäger und Sammler, die noch den Neandertalern zuzurechnen sind, auf gelegentliche Fleischrationen nicht verzichten mussten. Die scharfkantigen Steinmesser wurden zum Zerteilen der Tiere verwendet.

Bronzezeitliches aus der Schorfheid :. Die Schorfheide, seit der Kurfürstenzeit hochherrschaftliches Jagdrevier und jetzt Biosphärenreservat, war schon in der Bronzezeit besiedelt. Was bisher bei der Anlage von Wasser- und anderen Leitungen sowie beim Hausbau entdeckt wurde, wird von Archäologen als die Spitze eines Eisbergs gewertet. In Reiersdorf südöstlich von Templin etwa hat man Urnengräber gefunden, die mit anderen Hinterlassenschaften als Beweis für eine für die Archäologen überraschend frühe Besiedlung dienen. Lange Zeit hatte man angenommen, die Region weitgehend mit „armen" Böden sei zumindest in vorgeschichtlicher Zeit menschenleer gewesen.

Bronzeeimer aus Italien : Im Landkreis Dahme-Spreewald wurde, man weiß nicht ganz genau unter welchen Umständen, vor ein paar Jahren ein Bronzeeimer gefunden, der erst jetzt in den Besitz des Archäologischen Landesmuseums Brandenburg gelangte. Er ist italienischer Herkunft und dürfte aus einem römischen Feldlager stammen, wo man solche Gefäße als Koch- und Essgeschirr verwendete. Durch Handelsbeziehungen könnte das kostbare Stück ins südliche Brandenburg gelangt sein. Welcher Wertschätzung sich solche Eimer erfreuten, zeigt, dass man sie auch bei Bestattungen als Urnen verwendet hat.

Münzfund im Burggelände : Eine der wichtigsten Grabungsstätten im Land Brandenburg ist die Burg Lenzen (Landkreis Prignitz). Seit der Slawenzeit bewohnt und immer wieder zerstört und neu gebaut, ist sie wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch. Asche und Holzreste stammen aus der Zeit des großen Slawenaufstand von 983, der durch die expansive Ostpolitik des Herrscherhauses der Ottonen ein Ende fand. Es dauerte noch einmal 200 Jahre, bis die Christianisierung der Region fortgesetzt wurde. Um 1450, als sich schon alles beruhigt hatte, kam ein Münzschatz in den Boden. Die dünnen Silberlinge stammen aus norddeutschen Städten sowie Brandenburg und Mecklenburg und dokumentieren ein frühes Stadium der Geldwirtschaft.

Neue Urkunde für Frankfurt: Auf Grund neuester Grabungen ist die Marienkirche aus Frankfurt (Oder) älter als bisher angenommen. Lange ging man davon aus, dass die Gründung des Gotteshauses zeitlich mit der ersten urkundlichen Erwähnung der Oderstadt im Jahre 1253 zusammenfällt. Bei Ausgrabungen wurden Fundamente von zwei Vorgängerbauten gefunden, die die Annahmen über die Stadtwerdung von Frankfurt in Frage stellen. Allerdings ist nicht anzunehmen und es würde sicher auch nicht in die politische Landschaft passen, wenn auf Grund solcher Erkenntnisse die bevorstehende 750-Jahrfeier der Oderstadt abgeblasen wird. Auch andere Städte, etwa Berlin, sind ein paar Jahrzehnte älter als die urkundliche Ersterwähnung.

Renaissance in Potsdam : Auf dem Gelände des 1960 abgerissenen Potsdamer Stadtschlosses wurden Reste einer Renaissanceburg gefunden. Die Mauern und Keller bestätigen einen Plan von 1598/99, auf dem die so genannte Katharinenburg abgebildet ist. Freigelegt wurden auch Teile eines nach holländischem Vorbild gefliesten Schlossfußbodens aus der Zeit des Großen Kurfürsten, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts jene Burg seines Vorgängers Joachim I. um- und ausbauen ließ. Aus der Zeit Friedrichs des Großen stecken im Erdreich noch Platten aus Rüdersdorfer Kalkstein. Sollte das Stadtschloss je aufgebaut werden, müssten diese stummen Zeugen einer ehemals reichen Bebauung, die vorsichtshalber wieder mit Erde bedeckt sind, konserviert und sichtbar gemacht werden, fordern Archäologen.

Pompeji im Olympiastadion : Das Berliner Olympiastadion hatte einen Vorgänger, das in der Ära Kaiser Wilhelms II. errichtete Deutsche Stadion. Bei Bauarbeiten hat man zugeschüttete Reste einer Kulissenarchitektur aus sorgsam bearbeitetem Beton entdeckt. Überraschend ist der Aufwand, den man mit Säulen und Ausmalungen getrieben hat. Die sorgfältig bearbeiteten Stützen und die roten Wanddekorationen lehnen sich an pompejanische Vorbilder an und sind ein interessanter Beleg dafür, dass man vor einhundert Jahren die Wiederbelebung des olympischen Gedankens auch mit künstlerischen Anleihen bei den alten Römern verbunden hat.

Kochgeschirr aus dem Krieg : Ausgrabungen auf dem Gelände des 1939/40 eingerichteten Kriegsgefangenenlagers Fürstenberg, heute Eisenhüttenstadt, brachten neue Einsichten in das elende Leben der hier Inhaftierten. 400 000 Gefangene durchliefen nach und nach das „Stammlager“ mit 40 Wohnbaracken. Im Zusammenhang mit dem Bau eines Gewerbegebietes wurden jetzt die Archäologen aktiv. Sie fanden Reste der Lagerbauten, aber auch persönliche Gegenstände der Insassen, etwa Zahnbürsten, Uniformteile, Kochgeschirr, sogar Erkennungsmarken von Soldaten. Die Archäologen rufen dazu auf, das ehemalige Lager genau zu untersuchen, bevor es durch Baumaßnahmen ganz verschwindet. In einem weiteren Kriegsgefangenenlager in Luckenwalde hat man anhand von Fundstücken aus Metall und Kunststoff sowie Textilien festgestellt, dass hier Soldaten aus Frankreich, Belgien, der Sowjetunion und vielen anderen Ländern interniert waren. Massengräber zeigen, dass viele Gefangene die Torturen nicht überstanden haben.

„Archäologie in Berlin und Brandenburg“, Konrad Theiss Verlag Stuttgart, 184 Seiten, 143 Abbildungen, Preis 26,50 Euro

Helmut Caspar

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