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Brandenburg: „In Polen gestohlen“ – das ist oft gelogen

Von Claus-Dieter Steyer Stettin (Szczecin). Nach einem längeren Blick in den Computer stellte der Polizist auf dem Hauptrevier der Hafenstadt Stettin eine bohrende Frage: „Sie waren in den vergangenen anderthalb Jahren drei Mal in Polen, und jedes Mal wurde Ihnen Ihr Auto gestohlen?

Von Claus-Dieter Steyer

Stettin (Szczecin). Nach einem längeren Blick in den Computer stellte der Polizist auf dem Hauptrevier der Hafenstadt Stettin eine bohrende Frage: „Sie waren in den vergangenen anderthalb Jahren drei Mal in Polen, und jedes Mal wurde Ihnen Ihr Auto gestohlen?“ Der Mann aus Berlin auf dem Stuhl gegenüber stutzte. Da sprach ihn ein Kommissar fern der Heimat in fast perfektem Deutsch an und wollte merkwürdige Dinge wissen. Dabei war es bei den letzten Besuchen auf Polizeistationen des Nachbarlandes immer glatt gelaufen. Ein Dolmetscher notierte die Angaben des deutschen Touristen und diktierte sie einem Polizisten in die Schreibmaschine: Neues Auto vor einem Supermarkt abgestellt, nach dem Einkaufen ein Restaurant besucht – bei der Rückkehr nach zwei Stunden war es weg.

Die deutsche Versicherung zahlte beim Stichwort Polen meist problemlos. Doch die Zeiten der Schreibmaschinen und Karteikarten bei der polnischen Polizei sind – zumindest in größeren Städten – vorbei. Vorbereitend auf den EU-Beitritt und mit starker West-Hilfe wurden Reviere und Streifenwagen mit modernster Technik ausgestattet.

Das spürte auch der angeblich so tief vom Diebstahl seines Autos getroffene Berliner. Sichtlich beeindruckt von der Speicherung seiner beiden vorherigen Anzeigen im Zentralrechner der polnischen Polizei, verstrickte er sich mehr und mehr in Widersprüche. Plötzlich konnte sich er sich nicht mehr an das Restaurant erinnern, selbst beim Kennzeichen und dem Kilometerstand verhedderte er sich. „Als wir ihm Betrugsversuch vorwarfen und Untersuchungshaft androhten, packte der Herr aus“, berichtet Kommissar Mariusz Bajor von der Stettiner Polizeikommandantur. „Der Diebstahl war nur fingiert. In Wahrheit hatte er seinen Audi A 6 zu einem Spottpreis an einen polnischen Autohändler verkauft. Zusätzlich wollte er seine Versicherung betrügen."

Ein solcher Fall gehört längst zum Alltag der polnischen Polizei. Sie geht davon aus, dass zwischen 40 und 50 Prozent der von deutschen Staatsbürgern in Polen gemeldeten Autodiebstähle nicht der Wahrheit entsprechen. „Die Zahl deckt sich mit unseren Ermittlungen“, sagt der Direktor des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern, Ingmar Weitemeier. Deshalb würde die Polizei seines Bundeslandes genau wie die aus Brandenburg und Sachsen verstärkt mit den polnischen Partnern zusammenarbeiten.

Das genaue Ausmaß der Schäden für alle Autofahrer, die die Zeche über steigende Beiträge mittragen müssen, lässt sich nur ahnen. Im vergangenen Jahr verschwanden allein in Stettin rund 3200 Fahrzeuge. Die meisten davon gehörten deutschen Haltern.

Nach einem Boom dieser Betrügereien bis Mitte der neunziger Jahre steigt die Zahl der ermittelten Fälle seit einiger Zeit wieder stark. Kommissar Robert Baranski, Verbindungsmann der Stettiner Polizei zu Interpol und deutschen Polizeistellen, sieht zwei Ursachen: Die serienmäßig eingebauten Wegfahrsperren seien von Experten leicht zu überwinden, so dass Versicherungen bei einem Diebstahl nicht mehr besonders hellhörig werden. Außerdem würden die Aktionen mehr und mehr von professionellen Banden aus Russland, Weißrussland und dem Baltikum organisiert. „Der polnische Automarkt ist so gut wie erschöpft, so dass die meisten gestohlenen Autos nach Osteuropa gehen“, erklärt Baranski.

Damit sich der Transport der oft in Berlin und Brandenburg gestohlenen Wagen über große Entfernungen auch lohnt, brauchen die Geschäftemacher offenbar die Prämien deutscher Versicherer. Vor allem Süd- und Osteuropäer mit deutschem Pass melden häufig den angeblichen Diebstahl „ihrer“ Autos in Polen. Die entsprechenden Papiere wurden zuvor gefälscht, der Autoschlüssel nachgemacht. „5000 Dollar“, so erzählt Kommissar Baranski, „zahlen die international organisierten Aufkäufer in Polen für einen Betrug.“ Gewöhnlich gingen die Autofahrer erst zur Polizei, wenn ihre Wagen die polnische Ostgrenze passiert haben oder irgendwo zerlegt oder frisiert worden sind.

Ab und zu versuchen auch in finanzielle Probleme geratene Berliner und Brandenburger Autobesitzer auf eigene Faust ihr Glück bei diesen Tricks. „Viele fliegen allerdings dank unserer neuen Geheimwaffe auf“, sagt Krzystof Targonsky, Sprecher der Stettiner Polizei. „An immer mehr Plätzen montieren wir Überwachungskameras. In unserer Stadt haben wir bald 15 im Einsatz, in Warschau sind es schon 90.“ Auch die neuen Streifenwagen besitzen Kameras. Da sei schon so mancher angeblich bestohlene Kraftfahrer überführt worden.

Vom Erfolg zeugt ein riesiger Parkplatz am Rande der Hafenstadt. Rund 200 Autos deutscher Eigentümer stehen hier. Sie wurden entweder bei Betrügern beschlagnahmt oder bei Verkehrskontrollen bei unrechtmäßigen Eigentümern entdeckt. „Leider hat die deutsche Seite kein Interesse, die Autos wieder zurückzunehmen“, klagt Sprecher Targonsky. „Es werden täglich mehr. Irgendwann versteigern wir sie."

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