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Interview: "Demokratie ist eben mühselig"

Ministerpräsident Matthias Platzeck über die Linke, die Kohle und die Gründe, zur Wahl zu gehen

Stellen Sie sich vor, am 28. September ist Kommunalwahl in Brandenburg und kaum einer geht hin. Ein Alptraum?

Das wäre ein Horrorszenario. Ich hoffe jedoch auf eine gute Wahlbeteiligung: Sie wäre gleich doppelt so hoch, wenn jeder, der zu Wahl geht, noch einen Unentschlossenen mitnimmt.

An der letzten Kommunalwahl 2003 nahmen nur 45 Prozent teil.

Das ist ja nicht nur in Brandenburg so. Trotzdem will mir nicht einleuchten, warum etwa bei einer Bundestagswahl die Wahlbeteiligung deutlich höher ist, obwohl die parlamentarischen Entscheidungen abstrakter, die Gewählten weiter weg sind. Bei einer Kommunalwahl kann man Leute aus dem Kiez wählen, Menschen, die man täglich treffen kann. Man kann Entscheidungen beeinflussen, die bis in den Garten hineinreichen. Das müsste geradezu an die Urnen treiben.

Tut es aber nicht.

Ich begegne im Lande Menschen, die spürbar demokratieverdrossen sind. Wenn ich nachfrage, höre ich oft die Klage, dass Entscheidungen zu zäh kommen, mit Streit verbunden und am Ende lauwarme Kompromisse sind. Der Ruf nach schnellen Lösungen, nach der starken Hand kommt dann sehr schnell. Aber Demokratie ist die einzige Organisationsform des Zusammenlebens, die akzeptiert, dass Menschen unterschiedlich sind – und deshalb versucht einen tragfähigen Ausgleich zu finden. Ja, Demokratie dauert und ist mühselig! Aber wir dürfen nie vergessen, die schreckliche Alternative zu dieser zähen Demokratie ist die Diktatur.

Warum ist 19 Jahre nach der Wende das Interesse so gering?

Ich erlebe da zwei Pole: Ich begegne Menschen, denen es schlecht geht, die in sozial schwierigen Verhältnissen leben, die aus Unzufriedenheit nicht zur Wahl gehen wollen, was zumindest noch nachvollziehbar ist. Aber es gibt auch andere, denen es gut geht, die zufrieden sind, und einem fröhlichen Herzens sagen: Ihr macht das schon! Das finde ich schwierig. Es gibt auch eine Demokratiemüdigkeit aus Wohlstand. Da ist man beim Grundsätzlichen: Diktaturen können ganz gut existieren, wenn sich Menschen heraushalten, Demokratien gehen daran kaputt.

Die Not scheint besonders groß zu sein, wenn plötzlich Minister für Kreistage oder Gemeindevertretungen kandidieren. Sind Mitglieder Ihrer Regierung unausgelastet?

Sind sie nicht, seien Sie unbesorgt. Kommunale Mandate sind Ehrenämter, wie sie Minister ja auch sonst übernehmen, etwa in Verbänden, in Sportvereinen. Und sie werden diese in Kommunalvertretungen ebenso gut ausfüllen. Ich halte viel davon, dass Minister Bodenhaftung bewahren.

Wahlsieger war 2003 die Union. Rechnen Sie mit neuen Machtkämpfen in der CDU, falls diese nur auf Platz drei landen sollte?

Ich habe keinen Anlass, darüber zu orakeln. Wir arbeiten mit dem Koalitionspartner – ich beziehe das auf das Kabinett und die Landtagsfraktion – erfolgreich zusammen. Ich wünsche mir, dass das bis zum Ende der Legislaturperiode so bleibt. Im Übrigen bin ich zuversichtlich, dass die SPD wieder stärkste Partei auf kommunaler Ebene wird.

Warum gehen Sie neuerdings mit den Linken so hart ins Gericht?

Es gibt keine härtere Gangart gegenüber den Linken. Aber ich höre von denen jetzt wieder, wie das Land, wie die Aufbauleistungen seit 1990 klein und schlecht geredet werden. Das lassen wir nicht zu. Und das sage ich auch deutlich.

Sehen Sie einen Rückfall zur Fundamental-Opposition?

Mein Eindruck ist: Die Linken in Brandenburg waren schon einmal weiter. Es ging deutlicher darum, Realitäten anzuerkennen, der Erkenntnis Raum zu lassen, dass man Geld nicht beschließen kann, sondern verdienen muss. Ich spüre, dass der Kurs von Oskar Lafontaine die Partei in Brandenburg von diesem Pfad abbringt.

Ist Brandenburgs Linke regierungsfähig?

Die Parteien aus dem demokratischen Spektrum müssen generell untereinander koalitionsfähig sein. Das ist ein Elixier der Demokratie. Wohin das Pendel nach der Landtagswahl 2009 geht, darüber werde ich vorher nicht spekulieren. Erst nach der Wahl werden Programme und Personen – ich nenne ganz bewusst beides – verglichen.

Ist Rot-Rot denkbar, wenn die Linke beim Ausstieg aus der Braunkohle bleibt?

Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Linke ihre voreilige Festlegung durchhalten wird. Renommierte Klimaforscher sehen weltweit eine Renaissance der Kohle. Auch innerhalb der Linken gibt es Bewegung, die Parteibasis in Cottbus geht in der Kohlefrage bereits auf Distanz zur Parteiführung.

Wie stehen Sie als früherer Umweltminister und Oberbürgermeister Potsdams eigentlich zum Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals, gegen den die Landeshauptstadt und Umweltverbände klagen?

Ich bin ein überzeugter Rechtsstaatler. Ich halte es nicht für hilfreich, laufende Verfahren zu kommentieren. Die Landesregierung wird die Urteile abwarten.

Aber die Zerstörung von Biotopen, Gefahren für das Potsdamer Weltkulturerbe werden Sie wohl nicht kalt lassen?

Deutschland ist vielleicht das Land, in dem all diese Belange am gründlichsten abgewogen werden. Ich gehe davon aus, dass das auch in diesem Fall geschieht und habe über viele Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass es bei uns sehr genaue, ausgefeilte Mechanismen gibt, die am Ende zu tragfähigen Ergebnissen führen.

Im Land Brandenburg läuft es mittlerweile gut wie lange nicht. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft legt zu. Warum tut sich die Metropole Berlin in der Mitte so schwer, Dynamik zu entfalten?

Von mir hören Sie da keine Schulmeisterei! Ich bin froh, dass sich Berlin immer besser entwickelt, dass immer mehr Menschen dorthin strömen. Man kann eine Stadt mit einer jüngeren Geschichte wie Berlin, das Labor der deutschen Einheit, nicht auf eine Stufe stellen mit Hamburg, München oder Stuttgart, die sich über Jahrzehnte ohne Zäsuren und Unwägbarkeiten entwickeln konnten, die davon profitierten, dass sich nach dem Krieg auch frühere Berliner Konzernzentralen dort ansiedelten. Und im internationalen Vergleich braucht sich Berlin nicht zu verstecken: Die Lebensqualität ist hoch. Mein persönlicher Eindruck etwa von London ist dagegen: laut, hektisch und teuer.

In der Bundes-SPD, die Sie selbst kurzzeitig führten, herrscht derzeit die Ruhe nach dem Sturm. Hilft Ihnen das im Wahlkampf?

Na klar, wir haben jetzt ein Führungsduo, das Aufbruchstimmung verkörpert. Die SPD ist wieder da. Es gibt eine exzellente Arbeitsteilung, keiner kann so gut Partei wie Müntefering, keiner kann so gut Kanzlerkandidat wie Steinmeier. Ich erhalte dazu im Lande positive Reaktionen, bis hin zu Eintritten.

Sollte das Duo Andrea Ypsilanti stoppen, sich in Hessen mit Links zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen?

In der SPD gibt es eine klare Beschlusslage, hinter der ich voll stehe: Landesverbände entscheiden selbständig über Koalitionen. Ich habe mir nicht reinreden lassen, und ich würde mir nicht reinreden lassen, mit wem ich regiere.

Ist Hessen der Einstieg für Rot-Rot-Grün im Bund?

Taten sprechen eine klarere Sprache als Worte. Wir könnten sofort Frank-Walter Steinmeier im Bundestag zur Kanzlerwahl stellen. Es gibt dort seit 2005 eine solche rot-rot-grüne Mehrheit. Wir tun es nicht, jeden Tag nicht – das sagt alles. Einen besseren Beweis gibt es nicht.

Warum tun Sie es nicht?

Die Linke im Bund lehnt das gemeinsame Europa ab, will von der internationalen Verantwortung Deutschlands nichts wissen, ist finanzpolitisch unseriös und baut sozialpolitisch Wolkenkuckucksheime. Ich kann weder heute noch für 2009 belastbare, zukunftsfähige, realistische Positionen bei der Linkspartei zu diesen Fragen entdecken.

Das Interview führten Thorsten Metzner und Gerd Nowakowski.

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