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Inzestprozess: Missbrauch im Keller angeblich nie bemerkt

Jürgen H. muss sich vor dem Neuruppiner Landgericht wegen Inzest verantworten. Ihm wird vorgeworfen, seine minderjährige Tochter, die er mit seiner Stieftochter zeugte, in 19 Fällen missbraucht zu haben. Seine Ehefrau deckt den Angeklagten.

Von Sandra Dassler

Neuruppin - „Kollegen haben mir erzählt, dass sie meinen Mann mit meiner Tochter in der Stadt händchenhaltend und sich küssend gesehen haben, aber ich habe sie nie dabei erwischt.“ Die kleine, stämmige Frau auf dem Zeugenstuhl im Saal 1 des Neuruppiner Landgerichts redet ohne Punkt und Komma drauflos. Ab und an schaut sie fragend zu ihrem Ehemann Jürgen H. auf der Anklagebank hinüber, der beschuldigt wird, zwischen 1994 und 1997 seine damals minderjährige Tochter Sabine P. (Name geändert), die er mit seiner Stieftochter gezeugt hatte, in mindestens 19 Fällen sexuell missbraucht zu haben.

Ingrid H. aber, die 60-jährige Ehefrau des sieben Jahre älteren Angeklagten, hat davon angeblich nie etwas bemerkt. So erzählt sie es jedenfalls am gestrigen Donnerstag dem Gericht. Das Verhältnis, das ihr Ehemann vor mehr als 20 Jahren mit ihrer aus einer früheren Beziehung stammenden Tochter Katrin hatte, habe sie erst zur Kenntnis genommen, als ihr Ehemann ihr eröffnete, dass er sich scheiden lassen und Katrin heiraten wollte. Dass ihre Tochter schon als Siebenjährige immer wieder von ihrem Stiefvater missbraucht worden sei, wie sie am vergangenen Prozesstag aussagte, streitet Ingrid H. schlichtweg ab: „Das hätte ich doch gemerkt“, sagt sie. „Die Katrin hat das alles nur erfunden. Sie wollte immer mit ihm zusammen sein, ist oft mit ihm in den Keller gegangen.“

Dass Katrin jedoch von Jürgen H. sogar eine Tochter bekam – Sabine P. –, steht durch einen Gentest zweifelsfrei fest. Dass sich der heute 67-Jährige auch an diesem, seinem eigenen Kind verging, kann sich Ingrid H. allerdings erst recht nicht vorstellen. „Die wollte immer mit ihrem Opa zusammen sein, hat ihm immer Küsschen auf den Mund gegeben“, sagt sie. Als ihr der Richter vorhält, dass das doch ein ähnliches Verhalten gewesen sei wie schon bei ihrer Tochter Katrin, zuckt Ingrid H. nur mit den Schultern: Jedenfalls sei das mit den Vergewaltigungen alles gelogen.

Der Angeklagte mit Halbglatze, weißem Hemdkragen und vergoldeter Brille schaut wohlgefällig auf seine Frau im Zeugenstand. Dabei erzählt Ingrid H. wenig Schmeichelhaftes über ihre Ehe. Jürgen H. habe sie öfter wegen Kleinigkeiten verprügelt, einmal nur, weil sie keinen Zucker im Hause hatte. Auch ihre fünf Kinder hätten „ab und zu Senge gekriegt“.

Dass ihre heute 21-jährige Enkelin Sabine ihren Vater und Stiefgroßvater wegen sexuellen Missbrauchs anzeigte, gilt Ingrid H. als „Racheakt und Verschwörung“, ebenso wie die Aussage einer weiteren Tochter der H.s, die vor Gericht ebenfalls von einem Vergewaltigungsversuch ihres Vaters berichtet hatte.

Jürgen H.s Anwalt hält seinen Mandanten für unschuldig und beantragte gestern ein Sachverständigengutachten zur Glaubwürdigkeit von Sabine P.: „Es gibt so viele widersprüchliche Aussagen, dass ich von einem Freispruch überzeugt bin“, sagte er. Der Prozess wird am 11. November fortgesetzt. Sandra Dassler

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