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Jahrhundertwinter 1978: Mit Düsentriebwerken gegen das Eis

Vor 30 Jahren hatte der Winter den Osten Deutschlands fest im Griff. Berlin und Brandenburg versanken im Schneechaos.

Von Sandra Dassler

„Tausende Menschen in der Lausitz hatten keinen Strom, die Kraftwerke konnten nicht mehr versorgt werden – eine Katastrophe“, erinnert sich Siegfried Körber. Der heute 59-Jährige arbeitete zum Jahreswechsel 1978/79 als Betriebsingenieur im Tagebau Nochten bei Spremberg. Als der Norden Deutschlands am 28. und 29. Dezember 1978 im Schneechaos versank und Menschen in Autos oder im Schnee erfroren, hatten Körber und seine Kollegen noch gehofft, sie in der Lausitz würden verschont bleiben. „Wir hatten im Westfernsehen von den furchtbaren Ereignissen, auch den Toten, gehört“, erzählt er. „Im DDR-Fernsehen brachten sie da noch nichts. Aber am 30. Dezember war uns klar, dass es auch hier bei uns losgeht.“

Eine dicke weiße Decke hatte am 28. Dezember erst Schleswig-Holstein eingehüllt, von dort hatten sich die katastrophalen Schneefälle nach Süden und Osten ausgedehnt. Bald waren im Norden des Bundesgebiets, wo 17 Menschen starben, wie auch der DDR (fünf Tote) ganze Ortschaften abgeschnitten, Züge steckten fest, Soldaten mit Räumpanzern mussten eingesetzt werden. Strom- und Telefonnetze brachen zusammen, die wirtschaftlichen Schäden waren enorm, besonders der Osten litt noch jahrelang an den Folgen.

Auch in der Lausitz sanken die Temperaturen in der Nacht auf den 31. Dezember unter 20 Grad minus. Zuvor hatte es tagelang geregnet, in den Braunkohletagebauen fror der Schlamm und drohte, die Bandanlagen zu zerstören. Die Zugverbindungen zwischen Tagebau und den Kraftwerken Schwarze Pumpe und Boxberg fielen aus: Die Fahrleitungen vereisten, die Weichen verwehten durch den Schnee, in den Waggons fror die nasse Kohle.

Sonst verließ alle zehn Minuten ein Kohlezug den Tagebau Nochten, nun warteten die Kraftwerke vergeblich auf Nachschub. Ihre Ölreserven waren schnell aufgebraucht, in der Silvesternacht schalteten die Lausitzer Kraftwerke auf Warmhaltebetrieb um, das heißt, sie lieferten nicht mehr. „Viele Menschen waren nun ohne Strom, es gab kein Wasser, zugleich brach die Fernwärmeversorgung für die Plattenbausiedlungen in Cottbus, Spremberg und Hoyerswerda zusammen“, erinnert sich Körber. „Nur das Gasnetz funktionierte, so dass viele mit ihren Gasherden die Wohnungen heizten. Aber in den LPG-Ställen erfroren in den eisigen Winternächten Tausende von Tieren.“

In Ost-Berlin, das von den noch funktionierenden Gaskraftwerken versorgt wurde, war der Zugverkehr tagelang lahmgelegt. Der Berliner Publizist Erich Preuß, damals Redakteur der DDR-Eisenbahnerzeitung „Fahrt Frei“, erinnert sich: „Es war ein sehr mildes Weihnachtsfest in Berlin, aber ab dem 28. Dezember fiel die Temperatur stündlich. Der Güterverkehr musste eingestellt werden, weil alles vereiste, es kurz darauf spiegelglatt war und niemand mehr die Züge abfertigen konnte. Dann kam der Schnee, und weil fast alle Züge verspätet waren oder gar nicht mehr ankamen, geriet der Wagen- und Lokumlauf völlig außer Kontrolle.“

Der Tagesspiegel berichtete am 31. Dezember 1978 über den Zusammenbruch des Bahnverkehrs ins Bundesgebiet. Am 30. Dezember, so hieß es da, habe die DDR-„Reichsbahn“ nur zwei Züge nach Westdeutschland abgefertigt, die aber in Schneewehen steckenblieben.

In den ersten Tagen des Jahres 1979 entspannte sich in Berlin die Lage. In der Lausitz hingegen kämpften die Bergleute mit Freiwilligen und vielen Soldaten der NVA noch lange mit der Kälte. „Zum Glück rückte die Armee am 2. Januar mit ihrer Wunderwaffe an“, sagt Körber: „Das waren zwei auf Lastwagen montierte Düsentriebwerke von MiG-Jagdflugzeugen. Damit konnten wir Übergabestellen und Kohlezüge enteisen .“

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