zum Hauptinhalt

Brandenburg: Justiz hielt Hinweise auf Mißbrauch zurück

POTSDAM/NAUEN (thm/apa).Die Affäre um den Mord an dem achtjährigen Marc D.

POTSDAM/NAUEN (thm/apa).Die Affäre um den Mord an dem achtjährigen Marc D.aus Premnitz, mit dem der Täter seinen jahrelangen sexuellen Mißbrauch der elfjährigen Schwester des Jungen vertuschen wollte, weitet sich aus: Brandenburgs Justizminister Hans Otto Bräutigam räumte gestern im Landtag ein, die Potsdamer Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht Rathenow hätten frühere, in einem Gerichtsverfahren bekanntgewordene Hinweise auf einen sexuellen Mißbrauch von Anke D.nicht an das Jugendamt Havelland weitergeleitet.

Laut Bräutigam waren Amtsgericht und Staatsanwaltschaft übereinstimmend der Auffassung, daß der damalige sexuelle Mißbrauch von Anke "nicht schwerwiegend war, weil er nicht mit Anwendung von Gewalt verbunden war." Vor dem Hintergrund des Mordes an Marc wäre es zwar nach Worten Bräutigams aus heutiger Sicht "ohne Zweifel besser gewesen, wenn damals eine Unterrichtung des Jugendamtes erfolgt wäre." Dennoch sei die damalige Entscheidung der Justizbehörden "vertretbar" gewesen, so daß keine Verletzung der Mitteilungspflicht vorliege.Wie berichtet, war das Jugendamt, das zwar nicht von den Justizbehörden, aber später direkte Hinweise von Anke D.und einer Hort-Betreuerin auf den Mißbrauch erhielt, untätig geblieben.Die Potsdamer Staatsanwaltschaft prüft die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens.

Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft ist das Fehlen einer Verwaltungsvorschrift offenbar eine wesentliche Ursache dafür, daß das Havelländer Jugendamt nichts von dem sexuellen Mißbrauch des Mädchens und einer Verurteilung des Täters im Januar 1998 erfuhr.Die Rechtsgrundlage sei erst im Sommer 1998 mit einer Verwaltungsvorschrift zu dem im Jahr zuvor erlassenen Bundes-Justizmitteilungsgesetz geschaffen worden.

Bildungsministerin Angelika Peter bestätigte indes, Mißwirtschaft und Kompetenzdefizite im Jugendamt seien seit Ende 1997 bekannt gewesen.Damals habe sich die CDU-Fraktion des Kreistages mit einer Beschwerde an ihr Ressort gewandt, so Peter.Den Vorwurf der CDU, untätig geblieben zu sein, wies die Ministerin zurück.Im Frühjahr 1998 habe der damalige Bildungsstaatssekretär mit den Verantwortlichen in Havelland die Situation im Jugendamt, konkret den "Qualifikationsbedarf", diskutiert.Dabei sei vereinbart worden, daß das Jugendamt Fortbildungsangebote besser nutzen muß.Ob und wie diese Zusage des Havelland-Landrates umgesetzt wurde, werde jetzt geprüft, sagte Peter.Sollte sich herausstellen, daß die erbetene Hilfe aus finanziellen Gründen nicht im notwendigen Umfang gewährt wurde, prüfe die Landesregierung rechtliche Schritte im Rahmen der Kommunalaufsicht gegen den Landkreis.

Nötig sei eine "minutiöse Überprüfung" und "lückenlose Aufklärung" der Vorgänge im Landkreis, sagte Peter.Als Konsequenz aus den Pannen in Havelland forderte die Bildungsministerin die Kommunen und Landkreise auf, Sozialarbeit "fachlich qualifizierten" Kräften zu überlassen.Es sei "nicht zu vertreten, "wenn in diesem sensiblen Feld der Jugendhilfe unqualifiziertes Personal eingesetzt wird", warnte Peter.

Der Landrat des Kreises Havelland, Burkhard Schröder (SPD), hat das Kreisjugendamt gegenüber Versäumnisvorwürfen in Schutz genommen.Die Schuldzuweisungen seien nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht haltbar, sagte er gestern in Nauen, personalrechtliche Konsequenzen seien daher nicht geboten.Die von Ministerin Peter geäußerte Kritik, so der Sprecher des Kreisverwaltung, Bruno Kämmerling, sei aus dem Kenntnisstand vom Beginn der Woche abgeleitet.

Die CDU-Opposition im Landkreis will die Bildung eines Sonderausschusses beantragen, wegen der bereits 1997 erhobenen Vorwürfe gegen das Jugendamt.Die Kreisverwaltung verweist jedoch auf stetige Qualifizierungsbemühungen der vergangenen Jahre.Landrat Schröder kündigte dennoch zusätzliche, kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Jugendarbeit im Landkreis an.

Zur Startseite