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Brandenburg: Kurzes Gedächtnis

Claus-Dieter Steyer

Darauf ist nach jedem Hochwasser in Deutschland Verlass: Es folgt eine große Debatte über die Ursachen und wie sich künftig so etwas vermeiden lässt. Unendliche Reden, Konferenzen, Gutachten und Streitereien gehören schon zum Ritual. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Elbe, Rhein und Oder. Auch das Ergebnis gleicht sich. Es passiert nichts oder nur etwas nach sehr langer Zeit. Wie groß war die Entschlossenheit nach der Elbeflut vor drei Jahren. Nie wieder sollte es Tote, Verletzte und immense materielle Schäden geben. Der Mensch selbst wurde als Verursacher der Katastrophe ausgemacht. Denn er baute in das natürliche Flussbett Straßen, Eisenbahnstrecken und Häuser. Deiche zwängten die Ströme immer stärker ein. „Gebt den Flüssen mehr Raum“, lautete nach dem Sommer 2002 ein geflügeltes Wort.

Der Streit in der Prignitz um die Verlegung des Deiches ins Landesinnere ist typisch für das kurze Gedächtnis. Drei Sommer ohne Gefahr reichten, um alle Vorhaben zu blockieren. Dabei muss für den neuen Damm niemand sein Haus räumen. Einzig auf einige Landwirte und Jäger kommen verschmerzbare Einschränkungen zu. Das Argument der Betroffenen, den alten Deich einfach höher zu bauen, greift zu kurz. Niemand sagt Wetterphänomene exakt voraus. Ein neues Hochwasser könnte leicht ganz andere Pegelstände erreichen.

Allerdings ist die Prignitz allein kaum in der Lage, die Elbanrainer zu retten. Die ausgewiesenen Überschwemmungsflächen in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind noch viel wichtiger. Die Zeit drängt. Denn nicht überall haben die Menschen so viel Glück wie in Ratzdorf am Zusammenfluss von Oder und Neiße. Erst acht Jahre nach der Oderflut beginnt jetzt der Bau eines 1,4 Kilometer langen Deichs. So lange hatten sich Anwohner gegen den Damm gewehrt, der die ganze Niederung sichert. Der freie Blick auf die Flüsse war ihnen wichtiger. Sie vertrauten egoistisch auf die Welle der Hilfsbereitschaft aus ganz Deutschland im Katastrophenfall. Der trat erfreulicherweise nicht ein.

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