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Lübbenow: Am Rande des Dorfes – und der Gesellschaft

Toskana des Nordens sagen die einen, Agrarwüste die anderen. Es gibt hier die Zurückgebliebenen, die Pendler, die Neusiedler und die Wochenendberliner. Und jene, denen es gelingt ein Kind über Jahre hinweg zu verstecken.

Lübbenow – Toskana des Nordens sagen die einen, Agrarwüste die anderen. Es gibt hier die Zurückgebliebenen, die Pendler, die Neusiedler und die Wochenendberliner. Wer die Stille sucht, wer die Einsamkeit will, der ist in der Uckermark richtig. Und wer sich nicht einmischt in den dörflichen Alltag, über den wird vielleicht getratscht, weil sein Vorgarten unordentlich ist oder das Haus nicht ordentlich geweißt, aber er wird in Ruhe gelassen.

Den Ortsteil Lübbenow der Gemeinde Uckerland mit seinen knapp 400 Einwohnern muss man sich nicht als verlassenes Dorf mit zerfallenen Häusern vorstellen. Aber ein Dorf mit der Form einer Spinne, das an den Rändern ausfranst. Iris Drews, Einwohnerin von Lübbenow und Kreistagsabgeordnete von „Rettet die Uckermark“, sagt, dass es auch heute noch ein lebendiger Ort sei, trotz des Wegfalls von Schule und Kindergarten im Jahre 2004.

Das Haus am Jagower Weg, in dem die 13-Jährige von ihren Eltern neun Jahre lang versteckt und isoliert worden war, ist ein klassisches Siedlerhaus, wie sie nach der Bodenreform zu Hunderten in der Uckermark entstanden sind. Iris Drews hatte es sich mit einem Freund auf Haussuche vor zehn Jahren einmal angeschaut. Der hatte angesichts des baufälligen Hauses nur die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Später habe sie gehört, dass Berliner dort eingezogen seien. Als sie dann noch später mit ihrer kleinen Tochter durchs Dorf gezogen ist, kam sie auch öfter durch den Jagower Weg. „Nie habe ich dort jemanden gesehen, weder Erwachsene noch Kinder“, fällt sie in den Chor vieler Lübbenower ein. „Ich habe gedacht, das sind halt Berliner, die nur selten da sind.“ Andere im Dorf berichten, dass die Kinder sofort reingeholt wurden, wenn andere Kinder mit ihnen spielen wollten. Vielleicht hat die Familie genau ein Haus am Rande gesucht, mit einem eigenen Fahrweg hinterm Haus.

Man stellt sich die Frage, warum die beiden Geschwister in der Schule nichts erzählt haben. Waren sie von zu Hause aus eingeschüchtert? „Die Mutter habe ich stets nur im Auto gesehen, wenn sie die zwei in die Schule gebracht hat“, sagt Ortsvorsteherin Karina Dörk. Es gibt einen Bus zur Schule nach Werbelow, sie hätten also gemeinsam mit anderen Kinder fahren können. Es gibt auch eine andere Erklärung. Im Dorf wird erzählt, dass die Kinder in der Schule massiv gehänselt wurden. Hier hätten Schule und Dörfler vielleicht eine Hand reichen müssen. Aber die Uckermärker sind nun einmal Menschen, die nicht gerade offen auf Fremde zugehen.

Trotzdem ist es erstaunlich, dass die Familie ihr Geheimnis neun Jahre lang hüten konnte. Drei Häuser stehen in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Nachbarn gaben zu, dass sie etwas bemerkt, aber nichts gemeldet hatten. Da musste erst jemand kommen, der Alarm schlug.

Nach der Tragödie von Schwerin, als Eltern ihr fünfjähriges Kind verhungern ließen, gab es eine Anfrage im Kreistag, ob derartiges auch in der Uckermark möglich sei. Die wies damals der Landrat weit von sich.

Peter Huth

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