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Brandenburg: Müllstreit, Mega, Wahlen, Wachparade und "Wetten, daß..."

JANUARFür Sozialministerin Regine Hildebrandt beginnt das Jahr 1998 mit einem Dämpfer.Der Bund der Steuerzahler fordert ihren Rücktritt und verweist auf die Fördermittel-Affären in Hildebrandts Ministerium.

JANUAR

Für Sozialministerin Regine Hildebrandt beginnt das Jahr 1998 mit einem Dämpfer.Der Bund der Steuerzahler fordert ihren Rücktritt und verweist auf die Fördermittel-Affären in Hildebrandts Ministerium.Im Potsdamer Einsteinturm bricht ein Feuer aus.Als die Feuerwehr eintrifft, ist das Bauwerk aus dem Jahr 1924 längst schwarz von Rauch und Ruß.Ursache für das Unglück ist ein Versehen bei der Sanierung.Die Malerfirma hat das leicht entflammbare Mittel Azeton zum Beizen verwendet.Der unter Korruptionsverdacht geratene Baustadtrat Detlef Kaminski gesteht sein Mißverhalten ein, lehnt einen Rücktritt aber ab."Es war aus heutiger Sicht eindeutig ein Fehler, 1992 einen Optionsvertrag für eine Eigentumswohnung in der Innenstadt zu unterzeichnen", sagt Kaminski am 8.Januar.Wenig später kündigt das Innenministerium die Suspendierung des umstrittenen Baustadtrats an.Am 28.Januar wird er im Potsdamer Stadtparlament mit 35 Ja-Stimmen bei 14 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen abgewählt."Ich werde für einen Fehler bitter bestraft", sagt Kaminski und räumt das Feld.

FEBRUAR

Innenminister Alwin Ziel macht ernst.Brandenburg erhält eine Polizeitruppe gegen rechte Schläger.45 Beamte sollen fortan als mobile Einsatztrupps im ganzen Land gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit vorgehen und dabei vornehmlich in Zivil gewaltbereite Jugendliche aufspüren und kontrollieren.Das A 10-Center bei Wildau gelangt durch einen "Schlafwettbewerb" in die Schlagzeilen.Drei Teams liegen Mitte Februar bereits 33 Tage im Bett, um die Siegprämie von 10 000 Mark zu kassieren.Der Versuch des Managements, die Sache abzubrechen, schlägt fehl.Keines der Paare will zuerst aufstehen und gehen.Umweltminister Matthias Platzeck will Oberbürgermeister von Potsdam werden."Wenn Horst Gramlich abgewählt wird, stehe ich bereit", sagt Hochwasserheld Platzeck, der die Rückendeckung Manfred Stolpes und der Brandenburger SPD hat.Am 19.Februar hat die Initiative "Bürger für Potsdam" bereits 10 000 Unterschriften für Gramlichs Abwahl gesammelt.Was haben Jean-Paul Belmondo, Kevin Costner, Heinz Hoenig - und Matthias Platzeck gemeinsam? Sie werden von der "Hörzu" am 10.Februar mit dem Telestar ausgezeichnet.Der brandenburgische Umweltminister erhält den Schauspielerpreis, weil er fernsehgerecht die Flutkatastrophe an der Oder unters Volk gebracht hat.Der Modeschöpfer Wolfgang Joop mietet eine Villa am Heiligen See und kehrt so in seine Geburtsstadt Potsdam zurück.

MÄRZ

Das Potsdam-Center regt die Menschen weiter auf.Die "Aktionsgemeinschaft für ein stadtverträgliches Potsdam-Center" bezeichnet die Rohbauten als "städtebauliche Untaten".In Potsdam werden über 14 000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Abwahl von Oberbürgermeister Horst Gramlich gesammelt.Der Weg für einen Bürgerentscheid ist damit frei.Vor dem Landesverfassungsgericht in Potsdam beginnt am 19.März das Verfahren um die Abbaggerung von Horno.Gerichtspräsident Peter Macke spricht von einem der "umfangreichsten und schwierigsten Verfahren, nur vergleichbar mit dem Urteil über die Länderfusion".Hornos Einwohner kündigen weiteren Widerstand an.Das Verkehrsministerium erarbeitet einen "Alleenerlaß".Mit Tempo-80-Strecken, Leitplanken, Hinweisschilder und Aufklärungsaktionen soll die Zahl der Unfälle vermindert werden.Der Landtag rügt die Verstöße im Sozialministerium.

APRIL

Agrarminister Gunter Fritsch tut sich schwer, eigenes Profil zu gewinnen.In den Köpfen der Brandenburger spukt weiter Fritschs populärer Vorgänger Edwin Zimmermann herum.In 54 brandenburgischen Gemeinden haben sich "Sicherheitspartnerschaften" etabliert.Männer und Frauen laufen in Siedlungen und Datschengegenden Streife.Laut Polizei ist die Kriminalität in den Orten mit Bürgerstreifen um 50 Prozent zurückgegangen.3000 Personen demonstrieren am Ostersonntag gegen die weitere militärische Nutzung des ehemaligen Truppenübungsplatzes Wittstocker Heide.Die Bundeswehr will das 142 Quadratkilometer große Gebiet zwischen Neuruppin, Rheinsberg und Wittstock für Tiefflugübungen der Luftwaffe nutzen.Der Streit um die Finanzausstattung der Kommunen geht weiter.Der Städte- und Gemeindebund veröffentlicht am 20.März einen Vergleich, nach dem Brandenburg seine 1600 Städte und Dörfer wie kein anderes neues Bundesland finanziell im Regen stehen läßt.Im Finanzministerium ist darauf von "irreführenden Zahlenspielereien" die Rede.Dunkle Wolken und kalter Wind lassen die Stimmung an der Oder sinken.Hochwassermeldungen aus Polen wecken im Oderbruch Erinnerungen an die dramatischen Wochen im Juli 1997.

MAI

Zwischen Berlin und Brandenburg entspinnt sich ein bizarrer Streit um einen Lieferstopp zur Mülldeponie Vorketzin im Havelland.Zu Mauerzeiten wanderten Millionen Tonnen Hausmüll aus West-Berlin auf Brandenburger Deponien.Seit der Wende steht fest, daß "Honeckers Devisenkippen" aus ökologischen Gründen saniert werden müssen.Im Falle der Deponie Vorketzin sei dies aber nur möglich, wenn Berlin weiter Müll liefere, sagt die Märkische Entsorgungsanlagen Betriebsgesellschaft.Der Müllberg müsse aufgefüllt werden.In Berlin, wo durch die Trennung immer weniger Müll anfällt, will die BSR aber nur noch ein Fünftel der bisher vereinbarten Menge liefern."Berliner, bringt uns mehr Müll", fordern die Vorketziner.Nach monatelangen Querelen muß der Direktor der DDR-Kunstsammlung auf der Burg Beeskow seinen Stuhl räumen.Herbert Schirmer, letzter Kulturminister der DDR, soll nach einem Beschluß des Kreistags Oder-Spree künftig als Planer im Sozialbereich arbeiten.Vorwurf an den Ex-Minister: Er habe als "Burgherr" zu viel Honorar erhalten.Potsdam wird am 13.Mai zum Schauplatz der Weltpolitik.Bill Clinton wird von Helmut Kohl am Neuen Palais im Park von Sanssouci mit militärischen Ehren emfangen.Schlecht ergeht es wenige Tage später dem Potsdamer Oberbürgermweister Horst Gramlich.Die Potsdamer wählen ihn nach acht Jahren Amtszeit ab.

JUNI

Der Ausbau der Havel für die Schiffahrt bedroht offenbar die Potsdamer Kulturlandschaft.So ist mit einem Absinken des Havelpegels zu rechnen.Die Fundamente von historischen Bauten am Wasser wie der Sacrower Heilandskirche müßten mit einem "Tellerrand" geschützt werden, befürchten Denkmalschützer.Viereinhalb Jahre nach der Grundsteinlegung geht am 3.Juni das neue Braunkohlekraftwerk in Schwarze Pumpe ans Netz.Der Bau des "modernsten Braunkohlekraftwerks der Welt" hat viereinhalb Milliarden Mark gekostet.Der 160 Meter hohe Neubau mit den zwei Kühltürmen gilt als neues Wahrzeichen der Niederlausitz.In Slubice an der Brücke nach Frankfurt wird die deutsch-polnische Bildungsstätte "Collegium Polonicum" eröffnet.Am Portal leuchten die Wappen der Poserner Universität und der Frankfurter Viadrina.Am 11.Juni beginnt in Frankfurt der Prozeß gegen fünf mutmaßliche Drahtzieher des Brandanschlages auf das Asylbewerberheim von Dolgenbrodt.Das Heim war 1992 niedergebrannt.Der bereits verurteilte Brandstifter sagte über die Hintermännern der Tat aus und ermöglichte das Verfahren.Die Anhänger des Lausitzrings hoffen weiter auf die Formel eins.Enthusiasten träumen vom "Großen Preis von Polen".

JULI

Der Berliner Unternehmer Hellmuth Penz gerät unter Beschuß.Streitpunkt sind ausstehende Pachtzahlungen für den Freizeitpark Helenesee bei Frankfurt (Oder).7000 Frankfurter sprechen sich bei einem Bürgerbegehren dafür aus, die Stadt solle den seit 1990 bestehenden Pachtvertrag mit Penz auflösen.Der Bauherr eines unterirdischen Erdgasspeichers bei Rüdersdorf will die anfallende Sole in die Oder leiten.Nach Ansicht des Oberbergamts und mehrerer Gutachter besteht keine Gefahr für die Wasserqualität.Dagegen bezeichnet die Verwaltung des Nationalparks Unteres Odertal "die Einleitung von Salz als kritisch für Flora und Fauna.In Rheinsberg wird der Leiter der Tucholsky-Gedenkstätte, Peter Böthig, auf offener Straße von einem polizeibekannten Gewalttäter aus der rechten Szene zusammengeschlagen.Ein Jahr nach dem Oderhochwasser gibt es in der Ziltendorfer Niederung Mißgunst statt Zusammenhalt.Auslöser ist die Verteilung der Spendengelder, bei der sich einige Flutopfer bereichert haben sollen.Beweise gibt es nicht.

AUGUST

Die Restaurierung der Nauener Altstadt geht voran.Bei einem Besuch in der Stadt findet Manfred Stolpe, daß "Nauen im Vergleich zu anderen Städten gut liegt".Anders ausgedrückt: Die Altstadt ist Anfang August 1998 zu einem Drittel saniert.Bundesbedienstete aus Bonn sehen sich nach dem Umzug ins Brandenburgische Pöbeleien ausgesetzt und berichten von der Aggressivität selbst ganz normaler Menschen.Das Bauministerium hält an seinen Planungen fest, um Berlin herum 2000 Häuser für rheinische Umzügler zu bauen.Nach Auffassung der PDS nimmt die Zahl der Plätze, Parks, Tankstellen und Jugendklubs zu, die von rechtsextremistischen Gruppen beherrscht werden.Der Verfassungsschutz bestreitet die Existent "national befreiter Zonen", räumt aber ein, daß es "an bestimmten Orten zeitweilig eine Dominanz rechter Gruppen" gebe.Berliner Datschenbesitzer drängen an brandenburgische Wahlurnen.Die Besitzer von Zweitwohnsitzen in der Mark, beispielsweise in Dolgenbrodt, reklamieren für sich die Teilnahme an den Kommunalwahlen am 27.September.Ein Wahlleiter befürchtet, die Wochenendbrandenburger könnten die kommunale Selbstbestimmung gefährden.Ein Drittel aller Brandenburger Schüler geht im Verflechtungsraum zur Schule.Die Regierung verspricht dort für 1999 acht Schulneubauten.In Potsdam wird wegen fortgesetzter Störungen der "Kampagne gegen Wehrpflicht" die Parade der "Langen Kerls" abgesagt.

SEPTEMBER

Beim Streik in Brandenburg an der Havel stehen tagelang Busse und Bahnen still.Die Beschäftigten des städtischen Verkehrsbetriebs VBBr setzen sich sich mit dem Ausstand gegen geplante Lohnkürzungen zur Wehr.Die Fahrer sollen auf 100 bis 300 Mark Netto monatlich verzichten.Der Verkehrsstreik in Brandenburg endet nach elf Tagen mit einem Kompromiß.Die Belegschaft verzichtet auf eine Million Mark Löhne und Zulagen, die Stadt gibt ihren Plan auf, den Verkehrsbetrieb zu privatisieren.Die Landesregierung beschließt, die Genehmigung für das Schnäppchencenter Eichstädt zu versagen.Der Berliner Senat hatte zuvor angekündigt, mit allen rechtlichen Mitteln gegen Fabrikverkaufszentren auf der Grünen Wiese vorzugehen.Sie seien eine tödliche Bedrohung für den Einzelhandel.Der Investor, das britisch-amerikanische Unternehmen BAA McArthurGlen, will die Genehmigung nun auf per Gerichtsentscheidung durchsetzen.Auch die Gemeinde Eichstädt legt Widerspruch ein.Matthias Platzeck zieht als Oberbürgermeister ins Potsdamer Rathaus ein.60 Prozent der Wahlberechtigten haben für ihn gestimmt.Bei der Auszählung der Stimmen zur Bundestagswahl bricht das Chaos aus.Einige Bürger werden wegen des großen Andrangs nach Hause geschickt.Wahlleiter Arend Steenken befürchtet Anfechtungen.

OKTOBER

Manfred Stolpe verdirbt den Märkern durch seine Warnung die Laune, die neue Bundesregierung werde "im Osten kein Füllhorn ausschütten" können.CDU-Landeschef Peter Wagner gibt nach dem Wahldebakel sein Amt auf.Eberhard Henne, bislang Leiter des Biosphärenreservates Schorfheide, wird neuer Umweltminister.Die Brandenburger CDU schöpft Hoffnung.Berlins Innensenator Jörg Schönbohm soll es nun richten."Ich habe schon viele schwierige Aufgaben gelöst", sagt der Ex-General und macht sich bereit zur Erstürmung der Parteispitze.Wunderliches Brandenburg: In Brieskow-Finkenherd werden zwei Schornsteine gesprengt und schätzungsweise 3000 Menschen warten bei Kälte und Nieselregen stundenlang auf den großen Knall.In der ZDF-Sendung "Wetten daß ..." wird die Sprengung übertragen.Am meisten amüsiert sich die Menge darüber, wie Thomas Gottschalk immer wieder "Brisskow-Finkenheerd" sagt.

NOVEMBER

Gegen den Wiederaufbau der alten Synagoge in der Potsdamer Innenstadt spricht sich Julius Schoeps aus.Der Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam verweist auf die vielen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und deren Gewicht in der Jüdischen Gemeinde.Schoeps ist für einen Neubau, denn "man sollte nicht an eine Tradition anknüpfen, die man doch nicht wiederherstellen kann".Matthias Platzeck tritt in Potsdam sein Oberbürgermeisteramt an.Die Berliner Schriftstellerin Daniela Dahn ist weit entfernt von ihrem Ziel, als Richterin Mitglied des Brandenburger Landesverfassungsgerichts zu werden.Teilen der SPD machen Frau Dahns Äußerungen zu den Waldheim-Prozessen Kopfschmerzen.Die PDS zieht darauf Frau Dahn als Kandidatin zurück.Nach einem Anschlag auf den ICE "Anna Seghers" bei Rathenow nimmt der Bundesgrenzschutz drei Tatverdächtige fest.Ein 18jähriger und zwei Schüler sollen Betonplatten auf die Gleise gelegt haben, bestreiten jedoch ihre Beteiligung.Der russsiche Untersuchungshäftling Sergej Serow, dem die Justiz im Zusammenhang mit dem Fall Matthias Hintze erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge vorwirft, flieht aus dem Potsdamer Gefängnis.Er seilt sich mit Laken ab und wird erst Tage später in Berlin gefaßt.Justizminister Bräutigam blitzt angeblich mit einem Rücktrittsgesuch bei Stople ab.Fest steht: Bräutigam bleibt trotz scharfer Kritik von CDU und PDS im Amt.Am 30.November besuchen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac Potsdam.4000 Zuschauer verfolgen des Spektakel im Holländischen Viertel.

DEZEMBER

Auch am zweiten Tag der Staatsvisite, dem ersten Dezember, ist von Etikette nicht mehr als nötig zu spüren."Jacques" und "Gerhard" strömen förmlich über vor Herzlichkweit und duzen einander vor laufenden Fernsehkameras.Bei Großzerlang (Ostprignitz-Ruppin) stürzt eine Cessna in den Wald.Die beiden Insassen, ein Berliner und ein Mann aus Gleinicke/Nordbahn sterben bei dem Unfall.Ursache ist ein technischer Defekt.Wirtschaftsminister Burkhard Dreher verläßt die Regierung, um Aufsichtsrat der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen zu werden.Derweil eilt Jörg Schönbohm in Brandenburg von Wirtshaus zu Wirtshaus und von Erfolg zu Erfolg: Die Brandenburger CDU klatscht euphorisch Beifall.Am 17.Dezember scheitert die Wahl von Daniela Dahn zur Verfassungsrichterin.Im Landtag erreicht die umstrittene Autorin lediglich 37 Stimmen statt der benötigten 59.PDS-Chef Lothar Bisky spricht von einem "Tiefpunkt in der Beziehung zur SPD".MICHAEL BRUNNER

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