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Brandenburg: Nie wieder nasse Füße

Von Claus-Dieter Steyer Kunitzer Loose. Ein Erd- und ein Dachgeschoss reichen normalerweise für ein Hochhaus noch nicht aus.

Von Claus-Dieter Steyer

Kunitzer Loose. Ein Erd- und ein Dachgeschoss reichen normalerweise für ein Hochhaus noch nicht aus. Doch die Maßstäbe sind offenbar nicht überall gleich.

In der Ziltendorfer Niederung zwischen Frankfurt (Oder) und Eisenhüttenstadt kennt zwar kaum jemand die genaue Adresse der Familie Eger. Kommt aber die Rede auf das „Hochhaus“, weiß jeder Bescheid. Das Gebäude erlangte nach dem Hochwasser vor fünf Jahren einen Bekanntheitsgrad wie sonst kaum ein anderes Bauwerk.

Eigentümer Marcus Eger lächelt heute über die Geschichte. „Der Hochhaus ist wohl nicht wegzubekommen. So sind wir damals in den Medien bekanntgeworden.“ Tatsächlich ragt das Fertigteilhaus an der Straße im kleinen Dorf Kunitzer Loose etwas aus der Umgebung heraus. „Unser Keller beginnt zu ebener Erde, darauf stehen dann Erd- und Dachgeschoss“, erklärt Eger die etwas merkwürdige Konstruktion. Beim nächsten Hochwasser will er damit auf der sicheren Seite sein. Er fährt in diesem Fall sein Auto aus dem „Keller“, lässt die Türen offen und klettert dann ins Schlauchboot. „Höher als 2,60 Meter steigt die Flut bei einem Deichbruch ganz bestimmt nicht.“ Durch den wasserundurchlässigen Beton der Kellermauern dringt die Feuchtigkeit nicht nach oben. „Unser Haus bleibt unbeschädigt“, ist der Mann heute überzeugt.

Im Juli 1997 standen er und seine Frau Ute vor dem Nichts. Zwei Tage vor dem geplanten Einzug in ihr Haus brach der Deich an der 400 Meter entfernten Oder. Zu diesem Zeitpunkt waren alle 2000 Bewohner der Ziltendorfer Niederung schon evakuiert worden. Mit einem Schlauchboot der Feuerwehr fuhr Marcus Eger einige Tage später zu den Resten seines rund 360 000 Mark teuren Eigenheims.

Das Wasser stand bis kurz vor dem Dach. Es ist vorbei, dachte er damals. Zum Unglück kam auch noch großes Pech. Denn da die Bauabnahme des Hauses noch nicht erfolgt war, besaß die Familie keine polizeiliche Anmeldung für die überschwemmte Niederung. Als Eisenhüttenstädter erhielten sie keine Berücksichtigung auf den Listen für die Verteilung der Spenden. „Ich ging sofort zu den Reportern, erzählte ihnen unser Schicksal, und schon standen wir in allen möglichen Medien“, erinnert sich Marcus Eger, der heute wie damals ein Restaurant führt.

Auch die Brandenburger Landesregierung bat er damals um Hilfe. Wenige Tage später erhielt er auf einer Einwohnerversammlung die Antwort mit der Zusage, man wolle sich um das Problem kümmern. „Ich steckte dieses Kuvert mit dem entsprechenden Schreiben ein. Doch das war offenbar ein großer Fehler“, erzählt er. „Die Menschen im Ort dachten sofort an viel Geld und an eine bevorzugte Behandlung.“ Bei diesem Thema gerät Eger ins Grübeln. „Der Neid und die Missgunst haben das Klima bei der Verteilung der Spenden erheblich beschädigt.“

Die Herzlichkeit während des Kampfes gegen die Wassermassen kommt nicht wieder. Auch heute herrsche eine komische Stimmung im ehemaligen Oder-Überschwemmungsgebiet. Eger hat kein Blatt vorm Mund genommen. „Ich habe etwas dagegen, dass sich jemand seinen Arsch vergoldet“, formulierte er damals. Dazu steht er auch heute.

Viele Einwohner hätten nach der Flut ihre Wohnverhältnisse dank der Spenden erheblich verbessert. Das sei bestimmt nicht im Interesse der Spendensammler gewesen, die damals Geld aus der gesamten Bundesrepublik schickten. 90 Prozent der Sachschäden wurden finanziell abgegolten.

Doch wer heute durch Kunitzer Loose, die Ernst-Thälmann-Siedlung oder Aurith fährt, fühlt sich in einem der schönsten Flecken Deutschlands. Fast alle Häuser sind renoviert, viele neugebaut, genau wie Straßen und Fußwege. Das Haus der Familie Eger stand 26 Tage im Wasser. Da war tatsächlich nur noch das Obergeschoss zu retten. In einer technischen Meisterleistung bauten es die Monteure der österreichischen Baufirma ab und setzten es auf ein neues Untergeschoss wieder auf. „Für den Unterbau hatte ich mehrere Ideen“, sagt Marcus Eger.

Zuerst dachte er an einen schwimmfähigen Ponton aus Stahl, doch diese Idee verwarf er gemeinsam mit dem Bauleiter wieder. Das Haus könnte irgendwo hin schwimmen und beim Rückgang des Wassers an einem ganz anderen Ort stehen, befürchtete er. Also wurde überlegt, Pfähle unter die Bodenplatte des Hauses zu rammen. Das war aber zu teuer und gleichfalls zu aufwendig, so dass am Ende nur noch die Idee mit dem Kellerkasten übrigblieb. Kunitzer Loose erhielt sein Hochhaus.

Unterdessen taucht in diesen Tagen zwischen Frankfurt und Eisenhüttenstadt wieder das Gerücht vom Verrat auf. Der Deich, so erzählen es die Einheimischen den Besuchern in den Gaststätten oder bei Spaziergängen durch die herausgeputzten Dörfern, sei damals absichtlich von den Helfern aufgegeben worden. Man habe die Stadt Frankfurt mit ihren 75 000 Einwohnern retten wollen und sich für das kleinere Übel entschiede, weil andernfalls in Frankfurt (Oder) eine Epedemie gedroht hätte. In der Mitte Juli 1997 nach zwei Deichbrüchen überfluteten Ziltendorfer Niederung lebten nur 2000 Menschen, die leicht in Sicherheit gebracht werden konnten.

Die zuständigen Behörden wiesen schon damals alle derartigen Überlegungen schroff zurück. Alle betroffenen Deichabschnitte seien mit vollem Einsatz verteidigt worden, versicherten sie.

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