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Brandenburg: Opfer gegen Opfer

Wird der Toten der sowjetischen Speziallager nach 1945 angemessen gedacht? Darum gibt es bitteren Streit

Potsdam - Wie kann man, wie muss man der Opfer der sowjetischen Speziallager in der DDR angemessen gedenken? 157 000 Menschen waren von 1945 bis 1950 in zehn Lagern, darunter drei ehemaligen Konzentrationslagern der Nazis inhaftiert. Über 43 000 von ihnen kamen um. Bis heute ein unterschätztes, umstrittenes, von Vorurteilen geprägtes Thema – wie jetzt die heftigen Auseinandersetzungen auf einem den Lagern gewidmeten Forum der Konrad-Adenauer-Stiftung im Alten Rathaus von Potsdam zeigten.

Gleich zu Beginn entrollten junge Linke ein Plakat „Dank den alliierten Befreiern“. Auf einem Flugblatt protestierten sie gegen die Gleichsetzung von Opfern der Konzentrationslager der Nazis und der sowjetischen „Speziallager“, die auf eine „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ ziele. Empörte Besucher ließen es nicht bei lauten „Raus, Raus!“-Rufen bewenden. Sie stürmten nach vorn, wollten sogar handgreiflich werden.

Für Hubertus Knabe, einen der Redner, ein „typischer Vorgang“: Die Vorstellung, Nazi-Verbrecher hätten in den Lagern eine gerechte Strafe abgesessen, sei noch verbreitet. Bis heute würden die Opfer nicht angemessen gewürdigt, sagte der Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Tatsächlich seien bestimmte Personengruppen von den Sowjets pauschal in Haft genommen worden. Nur jeder zehnte Insasse der „Todeslager“ habe dem Repressionsapparat des NS-Regimes angehört, erläuterte Klaus-Dieter Müller von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Für den Tod tausender Unschuldiger gebe es keine Rechtfertigung.

Ein heftiger Streit entzündete sich auf dem Forum an der Frage, ob der Opfer des berüchtigten Speziallagers Nummer 7 im einstigen KZ Sachsenhausen angemessen gedacht werde. Gisela Gneist, Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950“, klagte Günter Morsch an, den Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten: Er verhindere eine angemessene Würdigung und degradiere die Opfer des Speziallagers zu „Opfern zweiter Klasse“, indem er zum Beispiel einen Gedenkstein mit den Namen der Toten ablehne und die Darstellung des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt stelle.

Dem widersprach der Vorsitzende des „Beirates Sachsenhausen zur Erforschung des sowjetischen Speziallagers“, Horst Jänichen, entschieden. Der Toten des Speziallagers werde angemessen gedacht, es fänden sich an allen Orten Hinweise auf das, was nach 1945 passierte. Jänichen wurde von Teilen des Publikums niedergeschrieen: „Aufhören, aufhören!“ Moderator Sven Felix Kellerhoff mahnte Toleranz an: Man solle Jänichen wenigstens ausreden lassen: „Es ist nicht gut, wenn sich die Opfer in die Haare bekommen.“

Auch Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der die Schlussrede hielt, rügte den öffentlich ausgetragenen Streit der Opfer-Vertreter untereinander und mit Morsch. „Versuchen Sie Ihre Meinungsverschiedenheiten unter sich zu klären“, appellierte Schönbohm. Er wolle sich, sagte er später, als Moderator zur Verfügung stellen. Allerdings sind die Fronten extrem verhärtet. Die „Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 - 1950“ fordert, dass Morsch seine Zuständigkeit für die Speziallager verlieren solle, was die Stiftung ablehnt. Der Gedenkstätten-Chef selbst glaubt nach Jahren der Auseinandersetzungen nicht mehr an eine Einigung mit dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft. In einer dem Tagesspiegel vorliegenden Stellungnahme weist er alle Vorwürfe zurück: Die Stiftung habe in den letzten Jahren „außerordentlich viel dafür getan, um die Erinnerung an die Opfer des sowjetischen Speziallagers wachzuhalten“ – wie Informations-Veranstaltungen, Publikationen oder Gedenkfeiern.

Zu Beginn des hitzigen Forums hatte auch Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) auf die Fortschritte bei der Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager hingewiesen, nachdem das Thema in der DDR tabu gewesen und nach 1990 zunächst vernachlässigt worden sei. So sei 2001 das neue Museum zum Speziallager 7 eröffnet worden. Die Aufarbeitung sei aber bei Weitem nicht abgeschlossen. Wanka kündigte an, dass die Landesregierung die „Erinnerungskultur“ ausbauen werde.

Michael Mara

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