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Brandenburg: Opfer zweiter Klasse? Streit ums Gedenken eskaliert

Wie erinnert man an die Toten der sowjetischen Speziallager nach 1945? Innenminister Schönbohm will Treffen der Kontrahenten in Sachsenhausen

Potsdam - Der Streit zwischen Opfern der sowjetischen Speziallager 1945 –1950 in der SBZ und dem Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, ist eskaliert. Über seine Anwälte drohte Morsch der „Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945–1950“ am Freitag strafrechtliche Schritte für den Fall an, dass diese bestimmte Tatsachenbehauptungen wiederhole. Die Vorsitzende Gisela Gneist soll bis Montag, 12 Uhr, eine Unterlassungserklärung abgeben. Dem Tagesspiegel sagte Gneist, dass sie dies nicht tun werde.

Scharfe Kritik an Morschs Drohung kam aus der CDU: Fraktionschef Thomas Lunacek bezeichnete den Schritt des Gedenkstättendirektors als „maßlos überzogen“: „Er sollte ihn jetzt schnell rückgängig machen und das Gespräch mit den Verbänden suchen. Ansonsten schadet er dem Ansehen der Gedenkstätte und dem Land Brandenburg.“ Kulturministerin Johanna Wanka (CDU), die für die Gedenkstätten zuständig ist, wollte den Vorgang gestern nicht bewerten. Morsch habe sie am Freitag telefonisch informiert, sagte Johanna Wanka dem Tagesspiegel.

Auslöser des Rechtsstreits ist eine gemeinsame Pressemitteilung der „Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945–1950“ und des „Bundes der Stalinistisch Verfolgten BSV“ vom 15. August. Darin wird unter Berufung auf einen am 13. Juli in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienenen Artikel erklärt, dass Morsch sich erneut „als Gegner eines würdevollen Gedenkens an die Opfer des sowjetischen Speziallagers offenbart“ habe und diese als Opfer zweiter Klasse gegenüber den KZ-Häftlingen der Nazis werte. Er zettele eine Diskussion darüber an, wer mehr gelitten habe: die Opfer der KZ oder der Speziallager.

Morschs Anwälte argumentieren, dass diese Behauptungen unwahr und aus dem Zusammenhang gerissen seien. Morsch habe die ihm als Zitat unterstellten Erklärungen nicht abgegeben, sondern klargestellt, dass nie von einer Nachrangigkeit der stalinistischen Opfer gesprochen worden sei. Er habe kritisch den „deutschen Zwang festgestellt, Dinge gegeneinander aufzurechnen“.

Allerdings hatte die „Süddeutsche Zeitung“ auch geschrieben: „Morsch beobachtet seit einiger Zeit mit Sorge, dass die Speziallager-Häftlinge ,aufgewertet‘ und die KZ-Opfer ,abgewertet‘ werden. Er sieht revisionistische Kräfte am Werk, die beim Leid der Opfergruppen – so zynisch das klingt – zumindest einen Gleichstand herstellen wollen.“ Daraus, so Frau Gneist gestern, lasse sich ableiten, dass Morsch die stalinistischen Opfer als Opfer zweiter Klasse ansehe. Genau darüber tobt, wie berichtet, ein erbitterter Streit, wie sich auch am Mittwochabend bei einem Forum der Adenauer-Stiftung zur lange vernachlässigten Thematik der Speziallager zeigte. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) bot Morsch und Gneist am Freitag einen gemeinsamen Rundgang in der Gedenkstätte Sachsenhausen an, um die Probleme vor Ort zu besprechen. „Es muss möglich sein, zu einer gemeinsamen Wertung zu kommen.“

Michael Mara

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