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Brandenburg: Oranienburg: "Im Gymnasium geht es noch halbwegs gesittet zu"

Die Stadt vor den Toren Berlins wirkt idyllisch. In der Innenstadt erinnert nur noch wenig an ostgraue Zeiten.

Die Stadt vor den Toren Berlins wirkt idyllisch. In der Innenstadt erinnert nur noch wenig an ostgraue Zeiten. Intakte Fassaden säumen die Bernauer Straße. Die Geschäfte sind schick und farbenfroh, Leerstand gibt es kaum. Selbst die Plattenbauten mit den gelben und roten Klinkerfeldern vermitteln Lebendigkeit. Die wenigen Passanten sind Touristen unterwegs zum Schloss oder nach Sachsenhausen. Viele Berliner nutzen den Ort am Wochenende als Sprungbrett ins grüne Umland - oder bauen sich hier ein Haus. Durch den Zuzug von Berlinern ist die Einwohnerzahl in den vergangenen Jahren leicht gestiegen auf rund 31 000. Wie ist die Stimmung im Ort? "Alles in Ordnung hier!" Yasar Yaman, der Betreiber des "Dönerland", gibt Entwarnung. Seit Januar steht der gebürtige Türke in Oranienburg am Drehspieß. Weil er immer freundlich zu den Gästen sei, habe er "keine Probleme". Die Tresenkundschaft hört das gerne, die Männer nicken freundlich zur Bestätigung.

Doch aus der Welt sind die Probleme noch nicht. Am vergangenen Donnerstag wurden zwei Vietnamesen überfallen, schwer verletzt und ausgeraubt. Sie liegen im Krankenhaus. Nach den zwei Tätern wird gefahndet. Der Tatverdacht lautet schwerer Raub. Ob die Tat einen ausländerfeindlichen Hintergrund hat, steht nicht fest. "Wenn es sich bei den beiden Vietnamesen um Zigarettenhändler handelt, kann das Motiv ein ganz anderes sein", betont Polizeioberrat Bernd Halle. Es gibt auch ausländerfreundliche Motive in Oranienburg. Vor zwei Monaten erst verlieh die Stadt demonstrativ einem in Amerika lebenden jüdischen Professor die Ehrenbürgerwürde. Eine Gedenktafel erinnert an die früheren Verdienste der Familie Blumenthal. "Und die Tafel ist immer noch ganz." Karin Lemmermann, Museumsangestellte im Schloss, sagt das fast stolz.

Weltoffene Traditionen

Am Schloss macht sich die Stadtgeschichte fest. Es steht symbolisch für zwei völlig gegensätzliche Traditionen. Die ältere von beiden ist die weltoffene: Henriette von Oranjen, holländische Prinzessin und Frau des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, holte vor rund 350 Jahren holländische Siedler an die Havel. Sie legten Kanäle an, machten das Land urbar und verhalfen der Region zu wirtschaftlicher Blüte. Henriette gab Schloss und Stadt den Namen. Die zweite Tradition, die intolerant rassistische, brachte keinen Ruhm. Oranienburg war Sitz des ersten deutschen Konzentrationslagers. Und es gab eine Ausbildung für KZ-Aufseher. Ab Mitte der 30er Jahre wurde das Schloss von der SS-Totenkopfstandarte Brandenburg als Kaserne benutzt, dann als Polizeischule. Militaristisch belegt blieb das Gebäude auch in DDR-Zeiten. Erst als Offiziersschule der Kasernierten Volkspolizei, später als Kaserne der NVA-Grenztruppen. Seit der Wende wird das Schloss wieder zivil genutzt - als Rathaus und Museum.

Kein Jugendclub in Oranienburg

Die Stadtverwaltung, Polizei, die Gedenkstätte Sachsenhausen, Vereine und Initiativen, die Kirchen - alle bemühen sich stark um Toleranz, Demokratie und Weltoffenheit. Die Gedenkstätte Sachsenhausen etwa organisiert Forschungsprojekte mit Zeitzeugen und Schülern aus Oranienburg und Moskau. Weiter ist ein internationales Begegnungszentrum im Aufbau - in der "Villa Eicke", dem Haus des KZ-Leiters. Im "Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt im Altkreis Oranienburg" arbeiten seit über drei Jahren engagierte Bürger. Für ihren besonderen Einsatz bekam die Initiative 1999 das "Band für Mut und Verständigung" - eine Ehrung, bei der Gewerkschaften, Stolpe und Diepgen einmal einer Meinung sind. Bei der zentralen Demonstration gegen Rassismus, die das "Forum" jährlich organisiert, läuft Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke in der ersten Reihe. "Rechte Entwicklungen konnten eingedämmt, gebremst werden", sagte er am Tag vor dem Überfall auf die zwei Vietnamesen.

Die Polizei unterscheidet in ihrer Statistik zwischen rechtsextremistisch, ausländerfeindlich und antisemitisch. In den ersten sieben Monaten gingen in Oranienburg im Vergleich zum Vorjahr die Übergriffe um 50 Prozent zurück. Bis Ende Juli gab es lediglich zwei Straftaten. Im Umkreis Oranienburg beträgt der Rückgang sogar knapp zwei Drittel. Das führt Polizeioberrat Halle auch auf sein Präventionskonzept zurück. Drei Polizisten hat er für Anti-Gewalt-Projekte an den Schulen freigestellt. Schule machen will auch der Vorsitzende des ansässigen Mittelstandsverbandes, Professor Lothar Ebner. Er plant den Aufbau einer Business School, in der Wirtschaft und Internationalismus gelehrt werden. Auch er bezieht sich auf die Tradition der Weltoffenheit von Henriette von Oranien. Doch die Realisierung ist noch in weiter Ferne.

Was tut man bis dahin als Jugendlicher in Oranienburg? Die Kommune betreibt keinen Jugendclub. Einen Mädchenladen gibt es und ein Kreativzentrum. Die Kirchen unterhalten als freie Träger verschiedene offene Treffs. Aber davon weiß keiner der Jugendlichen so genau, die gegenüber der St. Nicolai Kirche an der Telefonzelle stehen und für den Abend Freunde "zusammentrommeln" wollen. Denn Haupttreff ist und bleibt der Schlosspark. Der ist groß und grün. Meist sitzen zwei große Cliquen da, die eine stärker alternativ, die andere eher rechts. Isabel Grimmler, sie besucht eines der beiden Gymnasien, erzählt, dass sich die Konflikte untereinander verstärkt haben, seitdem Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in den Medien Hauptthema ist. Ihr Bruder, auch eher alternativ zu nennen, wurde verprügelt. Von den anderen. Und die anderen sind ihrer Meinung nach in der Überzahl in Oranienburg. "Im Gymnasium geht es ja noch halbwegs gesittet zu," erzählt Christian Scholz, der zufällig mit dem Fahrrad vorbei kam, als Isabel und ihre Freundin an der Telefonzelle standen. Sie nennen ihn Schnittlauch. Bei den Witzen, die er ständig reißt, ist der Spitzname für ihn abgefallen. "Aber wenn man sich in den anderen Schulen umschaut ...". Christian beendet den Satz nicht. Bevölkerung mit Zivilcourage?

Die Ausländer, die es in Oranienburg gibt, verkaufen Döner oder Pizza. Und manchmal Zigaretten. Nach wie vor wohnen sie mehrheitlich in Berlin. Aber viele Aussiedler kamen nach der Wende in die Stadt. Ein Drittel der sonntäglichen Besucher der Nicolaikirche stammt aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Jugendlichen bleiben unter sich, den Alten fällt es leichter, auf andere zuzugehen. Sie beherrschen auch die Sprache besser. Eine junge Russin hat einen Laden eröffnet mit traditionellem Kunstgewerbe und Lebensmitteln. Die meisten Kunden sind gebürtige Oranienburger. Wenn einer von ihnen kommt und begeistert von seinem Urlaub in Russland erzählt, dann wird der Inhaberin des "Magazin Jelena" "ganz warm ums Herz." Ja, sie ist zufrieden - mit ihrem Geschäft, den Oranienburgern, und ganz besonders mit einem von ihnen, ihrem Mann. Würde das Aussiedlerheim nicht zwei mal wöchentlich vom Großmarkt beliefert, hätte sie noch mehr Kundschaft. Die Stadt ist bemüht, den Aussiedlern so schnell wie möglich eine Wohnung anbieten zu können.

Frauke Postel, Pressesprecherin des "Forums", sieht noch viel Arbeit vor sich. Aber eines ist für sie an Zahlen ersichtlich: "Der Rechtsextremismus kann in Oranienburg und im Landkreis nicht mit dem Rückhalt einer schweigenden Bevölkerung rechnen."

Holger Klemm

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