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Brandenburg: Plastinator zieht ins Rathaus

Guben verkauft Gebäude an den Leichenpräparator Gunther von Hagens. Die Stadt hofft auf Arbeitsplätze, die Kritiker sind entsetzt

Von Sandra Dassler

Guben - Der Kunde beim Bäcker in der Gubener Plattenbausiedlung Obersprucke verbirgt seine Freude nicht: „Zum Glück – eine Stimme Mehrheit“, sagt er. Es ist Donnerstagmorgen; am Abend zuvor haben die Gubener Stadtverordneten mit einer Stimme Mehrheit entschieden, ihr Rathaus an Gunther von Hagens zu verkaufen.

Der umstrittene Anatom und Erfinder der „Körperwelten“ will, wie berichtet, in dem Gebäude und einer daran anschließenden Fabrikhalle eine Werkstatt zur Herstellung von Plastinaten aus menschlichen und tierischen Leichen einrichten. Das Vorhaben hat Guben in den vergangenen Monaten entzweit. Während viele Einwohner auf neue Jobs hoffen, sehen andere die Menschenwürde aufs Schwerste verletzt. Gerade die Kirchen haben scharf gegen die „Leichenfabrik“ protestiert. Nach der Entscheidung am Mittwochabend warfen sie den Gubener Stadtverordneten vor, der „Debatte um die Werte menschlichen Zusammenlebens schweren Schaden zugefügt und einen Tabubruch befördert zu haben“.

Tatsächlich galt der Verkauf des Rathauses – in Kürze wird die Stadtverwaltung in ein neues Gebäude umziehen – als letzte Hürde für die Realisierung der Pläne von Hagens. Auch die Hoffnung seiner Gegner, dass die oberste Kommunalaufsichtsbehörde einschreitet, wird sich nicht erfüllen. Die Sprecherin des brandenburgischen Innenministeriums, Dorothee Stacke, erklärte gestern bündig: „Das ist Angelegenheit der Stadt Guben.“

Von Hagens selbst teilte mit, er werde nun so schnell wie möglich mit den Vorbereitungsarbeiten beginnen. 3,5 Millionen Euro wolle er investieren und 30 Arbeitsplätze schaffen. Er bedankte sich für das „von der Mehrheit der Gubener Bürger und Politiker ausgesprochene Vertrauen“. Und nutzte gleich die Gelegenheit, um einen neuen „Service“ vorzustellen: „Um ausreichend Plastinate fertigen zu können, wird ab sofort bundesweit ein kostenloser Abholdienst für Leichen eingerichtet“, heißt es in einer Mitteilung. Dies ermögliche eine „Trauer ohne Sorge um Begräbniskosten“. Voraussetzung sei lediglich die Zustimmung zur Körperspende durch den Verstorbenen oder seine Angehörigen.

Der Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Bestatter, Rolf Lichtner, sieht das mit Skepsis: „Wenn jemand zu Lebzeiten entscheidet, seinen Körper zur Verfügung zu stellen, mag das noch angehen“, meint er. Dass aber Angehörige sich ihrer verstorbenen Verwandten auf diesem Weg kostenlos entledigen, dürfte rechtlich nicht möglich sein. „Es gibt schließlich in Deutschland eine Bestattungspflicht“, sagt Lichtner.

Die Diskussion um die Plastinationsfabrik ist offenbar längst nicht zu Ende. In Guben, Cottbus und Berlin meldeten sich gestern vor allem die Kritiker zu Wort. Gubens Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP), der von Anfang an für die Fabrik war, wirkt indes nach dem knappen Votum seiner Abgeordneten sehr erleichtert. „80 Prozent der Gubener sind für die Fabrik“, verweist er auf eine von Gunther von Hagens in Auftrag gegebene Umfrage. Die Leute seien dankbar für jeden Hoffnungsschimmer – schließlich beträgt die Arbeitslosigkeit in der früheren Textilstadt seit Jahren mehr als 20 Prozent. 10 000 Menschen haben die Stadt seit der Wende verlassen, ehemalige Produktionsflächen verwandelten sich in Industriebrachen. Unlängst befragte ein Fernsehteam Gubener Bürger: Ob sie denn keine Angst hätten, dass die Leichenfabrik Investoren verschrecken könnte? Verwundert fragten die Gubener zurück: „Was für Investoren denn?“

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